FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Donauinselfest FM4 Bühne Lady Leshurr

Patrick Wally

Donauinselfest 2019

Donauinselfest Tag 1: „Insel muss Insel bleiben“

Die FM4 Bühne beim 36. Donauinselfest öffnet sich musikalisch: Beats & Raps der „Queen of Grime“ Lady Leshurr und des Wieners Jugo Ürdens geben noch immer den Takt vor. Doch zum Finale darf erstmals zu Drum & Bass von Camo & Krooked getanzt werden. Kann das gutgehen?

Von Florian Wörgötter

Das Donauinselfest geht in die 36. Runde. Oder wie der Hip-Hop-Head sagen würde: Enter the 36th chamber. Auch die FM4-Bühne hat wieder ihren Stammplatz beim größten Gratis-Open-Air des Kontinents.

Doch dieses Jahr wird es Zeit für etwas Neues: HipHop gibt zwar am Freitag noch immer den Beat vor, doch der Headliner-Slot wird heuer von den Drum & Bass-Superstars Camo & Krooked gehostet.

Dafür haben sich HipHop-Acts wie Yung Hurn (Headliner am Samstag) oder Scheibsta & die Buben (am Sonntag) ihren Platz auf der FM4 Bühne erobert. Im Musikkonsum der Gegenwart verschwimmen Genregrenzen ohnehin – und die einstige Subkultur HipHop hat nahezu jedes Genre unterwandert. Daher müssen Beats und Raps nicht mehr ausschließlich am Freitag gehört werden.

ROLA

Die Wiener Untergrund-Combo Kopf an, Kopf ab eröffnet den heißen Abend mit Wiener Boom-Bap-Schmäh. Danach überfällt das Snuff Syndicate, Gewinner des Rock The Island Contests in der Kategorie HipHop, maskiert mit Horror-Core in englischer Sprache die FM4 Bühne.

Diese Härte federt die freundliche Frankfurter Sängerin ROLA mit ihrem weichen R&B ab. Die junge Sängerin strahlt mit der gleißenden Sonne im Battle, so glücklich scheint sie darüber, hier in Wien erstmals eigene Songs präsentieren zu dürfen. Ihre Musik vibrieret zwischen Popgesang und HipHop-Beats.

Von den Männern verlangt sie weder Rolex noch Gucci, sondern dass sie sich einen Job suchen. Die letzte Nummer gibt das Thema vor: „Die Sonne steht tief, hebt die Becher hoch […] Baby, es ist Freitag, alle chillen, sei mit dabei!“

BHZ

Das Motto Kooperation statt Konfrontation manifestiert sich im HipHop oftmals in der kleinsten Einheit: der Gang. Auch die Berliner Rasselbande BHZ tritt im Rudel auf – ein DJ und fünf MCs namens Dead Dawg, Monk, Ion Miles, Big Pat und Longus Monugs. Ihre Themen: Rausch, Girls, die Klicke, ihre Hood in Berlin Schöneberg.

Benannt haben sich die Jungs nach der Marihuana-Sorte Banana Haze. Offenbar stehen einige Kids auf Banana Split, denn eine engagierte Crowd wirbelt ordentlich Staub auf, wenn die Jungs im Sprachrhythmus von Yung Hurn stottern: „Alle – meine – Freunde – stinken – morgen – schon nach Bier“.

In der ersten Reihe blinken die Briketts der Zahnspangen, wenn die Kids wilder moshen als beim Nova Rock. Die besonders aktiven unter ihnen beweisen, wie multitasking-fähig sie sind und springen und filmen gleichzeitig. „Ihr seid ein krankes Publikum“ loben die zufriedenen BHZ stolz ihre Fans.

BRKN

Der Berliner Nachbar BRKN [Berkan] zeigt, dass Rapper auch Alleinunterhalter sein können. Der gesprächige Deutschtürke aus Kreuzberg (siehe Bauchtattoo) gibt sich offen wie sein knallfarbenes Hemd, wenn er selbstironisch von den Leiden eines jungen Künstlers singt – zwischen brotloser Kunst und der Hoffnung, dass er seiner Liebsten doch noch einmal mehr bieten wird, als einen VW Golf 6 („Auto“) und eine Einzimmerwohnung („Ein Zimmer“).

Der sympathische Habenichts entpuppt sich jedoch als Alleskönner, wenn er soulful singt, am Stage-Piano klimpert („Softiemugge“) oder mit dem Saxofon den Turnup dirigiert. Die Dreadlocks im Moshpit wirbeln, Sonnenbrillen fliegen. Das einzige, was sitzt, sind die Bauchtaschen.

Die letzte Strophe rappt der selbsternannte türkische Martin Luther King direkt im geöffneten Kreis seines Publikums, der wohl gleich groß ist wie seine Einzimmerwohnung. Als der Chorus einschlägt, springen ihm seine Fans um den Hals. Wenn diese paar Quadratmeter Wiese jener Lebensraum sind, den der Mensch braucht, um er selbst zu sein, dann hat BRKN sein Ziel erreicht.

Jugo Ürdens

Auch der Wiener Jugo Ürdens erfüllt sich seinen Traum: Erstens wollte er schon als Kind auf der FM4 Bühne stehen, zweitens schon immer in der Frauenzeitschrift Woman – beides erledigt! Und dann nennt ihn auch noch die Landesgeschäftsführerin der SPÖ „den feschesten und frechsten Neo-Rapper“. Na bumm. Wenn jetzt auch noch der rote EU-Spitzenkandidat Andreas Schieder im Publikum mit ein bisserl mehr Pep schunkeln würde.

Jugo Ürdens ist ein Mann des Volkes. Seine bescheidene Haltung innerhalb des zweifelhaften Geltungskonsums der Rapwelt unterstreicht er schon mit seinem Fahrwerk, das sein Album betitelt: Ürdens fährt keinen Benz, Porsche oder Lambo, sondern Yugo, „das schlechteste Auto der Welt“.

Dass er ausgerechnet dieses Symbol des (kommunistischen) Scheiterns wählt, sagt viel über die Rolle, die er sich zuweist: Der Mann zwischen Akademiker und Gastarbeiter ist kein Prahlhans, der mit Rapstereotypen um sich schleudert – im Gegensatz zu seinem Bühnenpartner Slav. Er beherrscht auch zutiefst persönliche Songs wie „Vater“, die sich unter die Haut graben.

Zum Dank wirbelt das empathische Publikum noch mehr Staub auf als der Auspuff des Yugos, mit dem seine Familie der Legende nach von Mazedonien nach Wien gefahren ist.

Lady Leshurr

Die aus Birmingham stammende Lady Leshurr [lie-scha] verkörpert eine neue Generation von Rapper*innen, deren Release-Kalender keine Alben mehr plant, sondern YouTube-Episoden. In ihren „Queen’s Speech“-One-Take-Videos (das erfolgreichste wurde 57 Millionen mal angesehen) spaziert sie über Straßen oder durch einen Kanal und verarscht Hater*innen - sie mögen, bevor sie aufmucken, erst ihre Panties wechseln und die Zähne putzen. Dabei beweist sie komödiantisches wie schauspielerisches Talent, das der 1,58 Meter große Wirbelwind auch live zu inszenieren versteht.

Ihre Mission heute: „I’m here to represent all the women across the world - and steal some of the men. Joking.“ Die selbstbewusste Lady beweist Schmäh und die Fitness eines Gummiballs. „My training: liveperformances with you“. Daher kommt auch sie ohne Backup-Rapper aus.

Ihre Show liefert eine gesunde Kombination aus britischem Grime und Retro-Referenzen – von Eastcoast-Rap (KRS-One) bis Westcoast-Beats (Dr. Dre) zu jamaikanischem Reggae (Sister Nancy). Als Lady Leshurr mit ihrem offensiv gebrandeten DJ Enay die Rollen tauscht, legt sie sogar Backstreet Boys auf und alle singen mit. Wie der Song heißt? „Kennt ma eh, a Oldie“.

Camo & Krooked

Zum Finale dann die Premiere: Die Headliner Camo & Krooked tanzen aus der Reihe. Ob Drum & Bass der angemessene Schlusspunkt für die lange Nacht des HipHop ist? Oder doch der bessere Rausschmeißer?

Österreichs Drum-&-Bass-Gallionsfiguren Camo & Krooked und ihr MC Daxta zerstreuen die Zweifel recht schnell. Zurecht haben sich der Salzburger Reinhard Rietsch und der Lilienfelder Markus Wagner in die A-Liga der elektronischen Tanzmusik hochgespielt, was Remixe für Metronomy und Lana Del Rey unterstreichen. Doch was verbindet den Drum & Bass von Camo & Krooked mit HipHop & Rap?

Breakbeats und Bass geben auch hier den Ton an. Die programmierten Drums bewegen sich weitgehend in tanzbaren geraden Takten, allerdings meist doppelt so schnell wie im HipHop. Der Bass singt einmal luftig melodisch, einmal knarzt er zerstörerisch, als würde sein Sägezahn die Bühne zerfräsen. Die wummernden Bassdruckwellen gehen immer direkt ans Zwerchfell.

Die größte Herausforderung für die Mosher im Publikum: die unberechenbaren Drops, also die sich langsam aufbauende Brücke zum Absprung in den freien Fall des Chorus. Im Gegensatz zum Strophe-Bridge-Chorus-Schema des typischen Rap-Songs legen die Tänzer gleich mehrere Frühstarts hin.

Wenn MC Daxta rappt, animiert er hauptsächlich die Meute und hat eindeutig weniger zu sagen als im HipHop. Er darf heute das Publikum auch ohne Kitsch-Schelte bitten, mit der Hand ein Herzchen zu formen. Doch gerade sein Hosting macht den Crossfade von Lady Leshurr zum Drum-&-Bass-Abriss um einiges smoother.

Auch der retroverliebte Umgang mit altem Wein in neuen Schläuchen wird hörbar – im Cover von John Lennons „Come together“ oder „Break on through to the other side“ von The Doors. Jim Morrissons Refrain definiert auch das Ziel des Ganzen: Extase durch Tanzen. Und hiermit können Camo & Krooked heute voll punkten. Der Hang vor der FM4 Bühne ist berstend gefüllt mit jungen und alten Tänzer*innen.

Am Ende des Konzerts zu Mitternacht gehen auch die beiden Producer ans Mic und beenden den ersten Abend des 36. Donauinselfest mit einem würdigen Satz: „Insel muss Insel bleiben“. Ein Zitat aus der legendären ORF-Alltagsgeschichten-Episode „Die Donauinsulaner“ von Elisabeth T. Spira. Die heuer verstorbene Kult-Fernsehautorin wäre sicher stolz darauf gewesen, dass sich sogar im „Garten Österreichs“ die Traditionen weiterentwickeln können.

Diskutiere mit!

Aktuell: