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The Raconteurs 2019

Olivia Jean

Der Rock’n’Roll der Raconteurs

Wer wissen möchte, wo das alte Herz des Rock’n’Roll noch richtig kräftig schlägt, sollte in das neue Album der Super-Group The Raconteurs rund um Jack White und Brendan Benson reinhören.

Von Christian Lehner

Es gibt diese eine Szene in der letzten Folge der neuen Staffel von Black Mirror: Eine junge Frau – Typ High-School-Rebellin – unterhält sich mit einem kleinen Roboter. Der gehört ihrer jüngeren Schwester und ist nach einem Teenie-Popstar modelliert, der von Miley Cyrus dargestellt wird. Die Mischung aus Puppe, Alexa und AI fragt die an einem alten E-Bass Zupfende nach ihrem Musikgeschmack. „Pixies, Sonic Youth, Idles und Savages“, antwortet diese. „Sind das ausländische Bands?“, fragt der Pop-Roboter. „Nein, sie sind bloß vintage“, entgegnet die Gefragte.

Die Streaming Show

Der Dialog sagt sehr viel aus über die gegenwärtigen Verhältnisse im Pop. Alternative Rock ist out und gilt als gestrige Trotzmusik. K-Pop, Trap und R’n’B sind die neuen Ruler. Das zeigen die Daten des von Streaming dominierten Marktes seit einigen Jahren. Dass die Idles und Savages im Gegensatz zu den Indie-Veteranen Pixies und Sonic Youth noch relativ frische Bands sind, die auch die großen Bühnen angesagter Festivals bespielen, tut dabei nichts zur Sache. Alles mit Saiten dran gilt als hoffnungslos altbacken.

Das Konzert

Das Szenario hat auch etwas von Black Mirror. Wir stehen in der unendlich langen Schlange vor der neuen Konzerthalle, in der am Abend die Berlin-Show von The Raconteurs stattfinden wird. Die nach einer Versicherung benannte „Multifunktionsarena“ befindet sich auf dem hochpolierten Areal der Mercedes Benz Arena unweit der Spree. Kinder toben am Vorplatz in aus dem Pflaster schießenden Wasserfontänen. Wie aus Hohn hat irgendein Witzbold ein echtes Trojanisches Pferd aus Holz in die Corporate-Landschaft gestellt. Wir sind heute hier für Rock’n’Roll.

Zunächst heißt es aber Handys außer Funktion setzen. Am Eingang bekommen unsere Mobiltelefone funksignaldichte Beutel übergestülpt, die nach dem Konzert wieder abgemacht werden. Jack White, der Ex-Frontmann der White Stripes und jetzige Co-Sänger, -Gitarrist und -Songschreiber von The Raconteurs will es so. Die Leute sollen die Musik live erleben und nicht erst zu Hause, wenn sie sich auf den Screens anschauen, wie es so war.

The Raconteurs live in Berlin

David James Swanson

Das Konzept der neuen Konzert-Venue ist, wie ein rau-urbaner Club rüberzukommen, dabei aber 4.500 Besucher*innen Platz und Komfort zu bieten. Wir schweben mit der Rolltreppe von Stockwerk zu Stockwerk. In jeder Etage befindet sich die exakt selbe Dive-Bar, die 5-Euro Bier anbietet und vermutlich so etwas wie Erdung im kühlen Betonbau vermitteln soll.

Wir landen irgendwo knapp unter dem Dach. Die Bühne unter uns wirkt wie der Bildschirm eines HD-Fernsehers und die mit Schirmmütze ausgestatteten Stage-Hands, die für die Band die Gitarren stimmen, wie Lego-Männchen. Links vor uns eine Oma mit Barbara-Bush-Gedächtnisfrisur, rechts ein vielleicht achtjähriger Junge mit Jeansjacke samt „Rock’n’Roll“-Aufnäher. It’s family time.

Dann das Wunder. The Raconteurs stürmen auf die Bühne, legen los und tatsächlich packt uns bereits die erste Schallwelle am Kragen und wird uns die folgenden eineinhalb Stunden auch nicht mehr loslassen. Das liegt weniger an der perfekt austarierten Soundanlage, sondern an der Hitze, die diese winzige Band auf der winzigen Bühne über die weite Distanz zu entfachen vermag. Die Show kommt mit wenig Effekten aus. Im Zentrum stehen die vier Musiker und die Musik. Schön, dass Klischees manchmal auch stimmen. Das kann man hören, das kann man fühlen - selbst in dieser seltsam-sterilen Atmosphäre. An diesem Abend schlägt es kräftig, das alte Herz des Rock’n’Roll.

Das Interview

„Oh Jesses!“, entfährt es Brendan Benson ca. zwei Stunden vor dem Konzert in einem Backstage-Raum der Venue. Ich habe ihn nach der Entstehungsgeschichte des neuen Albums von The Raconteurs gefragt, während Jack White nebenan eine Foto-Session für das Zeitmagazin über sich ergehen lässt. „Ich weiß gar nicht, was ich da großartig erzählen soll“, sagt Benson. „Wir sind in Jacks Studio in Nashville zusammengekommen, haben gejammt und das war der Anfang des neuen Albums.“

11 Jahre sind seit der letzten Platte von The Raconteurs vergangen. In dieser Zeit gründen sich Bands, veröffentlichen einige Alben, gehen auf mehrere Tourneen, trennen sich und planen eventuell schon wieder ein Comeback. Brendan Benson spricht von Timing-Problemen und Freundschaften, die weiter zurückreichen als das erste Album der White Stripes. Diese Freundschaften seien das Fundament einer Band, bei der man sich nicht ständig vergewissern müsse, ob es sie überhaupt noch geben würde. Deshalb waren die 11 Jahre Pause auch kein Problem. „Wir haben uns nie offiziell aufgelöst, wir haben nicht einmal verkündet, dass wir eine längere Pause machen. Diese Kategorien zählen für uns nicht.“

The Raconteurs live in Berlin

David James Swanson

„Help Us Stranger“, so der Titel des neuen und dritten Raconteurs-Albums, ist in mehreren Live-Aufnahme-Sessions im Third Man Studio von Jack White in Nashville, Tennessee eingespielt worden. In der Country-Metropole im Süden der USA haben The Raconteurs im Jahr 2005 auch das Licht der Welt erblickt - ebenfalls im Rahmen einer Session in einem Dachboden.

Zwei Jahre zuvor feierten Jack und Megan White mit dem Album „Elephant“ und der Single „Seven Nation Army“ den bisher größten Erfolg der White Stripes. Der sich später als extrem umtriebig in Sachen Blues-Rock-Erneuerung erweisende Jack White suchte anscheinend schon damals nach einem Outlet für frische Ideen. Er und Brendan Benson verpassten der neuen Band mit dem Song Steady As She Goes auch gleich den ersten Hit. Zuvor waren Jack Lawrence am Bass von The Greenhorns und der Schlagzeuger Patrick Keeler von den Afghan Wigs dazugestoßen.

Die Hitze

Es hat auch Vorteile, im Jahr 2019 in einer traditionellen Rockband zu spielen. Der Innovationsdruck lastet auf anderen und man kann offensichtlich 11 Jahre ins Land ziehen lassen bis zu einer neuen Platte. Geschadet hat es weder der Band noch der Musik. Im Gegenteil. Die Raconteurs klingen frisch und hungrig. Hunger ist eine zeitlose Qualität von Rock’n’Roll.

„Help Us Stranger“ ist dennoch ein modernes Rockalbum, weil es gleich mehrere Dekaden der Rockgeschichte verinnerlicht, ohne seine Haftung in der Jetztzeit zu verlieren und ohne die individuelle Handschrift der vier Raconteurs zu überschreiben. Gegrüßt werden alte Helden wie The Who (u.a. im Song „Bored And Razed“), Donovan mit einer Coverversion seines Songs „Hey Gyp (Dig That Slowness)“, Led Zeppelin („What’s Yours Is Mine“), die Rednecks Lynyrd Skynyrd („Somedays (I Don’t Feel Like Trying)“) und sogar Whites anderes Nebenprojekt, The Dead Weather, mit „Don’t Bother Me“, doch in den Rillen will sich einfach kein Staub festsetzen.

Ein Händchen für gute Refrains und Hooks hat Brendan Benson, eines für gute Licks und Riffs Jack White. Der brüllt und spielt sich auch nicht in den Solo-Parts nach vorne. Auch live genießt es White sichtbar, nicht die erste Geige spielen zu müssen.

Keeler und Lawrence bilden eine ausgezeichnete Rhythmussektion und so sprießen die Songs in der Hitze der vielen guten Momente auf „Help Us Stranger“. Einer der besten ist die Single „Help Me Stranger“, in der das Quartett perfekt in Balance ist und dessen zweistimmigen Gesang Benson als den „Everly-Brothers-Augenblick“ des Albums bezeichnet.

Rock’n’Roll ist nicht nur durch die elektronischen Pop-Genres und das veränderte Konsumverhalten unter Druck geraten, sondern auch aufgrund der antiquierten Rollenbilder, die auf der Bühne und in den Texten vermittelt werden. „Das war schon auch ein Thema,“ meint Benson im Interview, ohne sich näher darauf einzulassen. Tatsächlich sind die genreüblichen Anspielungen und Anzüglichkeiten auch auf „Help Us Stranger“ vertreten, allerdings in schaumgebremster Form. Es geht um Anbahnungsversuche, Schlussmachen-Traumata und Außenseiter-Posereien.

Der von Brendan stammende Song „Live A Lie“ bedient mit Zeilen wie „I just want to lie with you, I just want to live a lie with you“ doppeldeutige Eindeutigkeiten, wie man sie aus den prüden 1950er Jahren kennt, wo man noch nicht direkt sagen konnte, was man eigentlich meinte. Das hat schon Klassikerklasse.

Sendungsbild Interview Podcast

Radio FM4

Das Interview mit Brendan Benson von The Raconteurs gibt’s im FM4 Interviewpodcast zum Nachhören.

Im Interview zeigt sich Benson vom Fan-Zuspruch der laufenden Tour überrascht. „Wir dachten, dass wir vor allem die alten Fans von vor 10 Jahren wiedersehen werden, aber wir treffen bei dieser Tour auf sehr viele Teenager, die vollkommen ausrasten und riesige Moshpits vor der Bühne bilden The kids are back!“

Übrigens: In der eingangs erwähnten Black-Mirror-Episode emanzipiert sich das von Miley Cyrus verkörperte Pop-Sternchen doch noch von der bösen Popindustrie und schafft es mit Hilfe des putzig-gruseligen Roboters und der beiden Schwestern auf eine echte kleine Rockbühne in einem kleinen verschwitzten Club. Dort gibt die gläuterte Sängerin einen Nine-Inch-Nails-Klassiker zum Besten.

Meine Wette: Ein heißeres Rock’n’Roll-Album als „Help Us Stranger“ wird dieser Sommer nicht hergeben, sorry Black Keys.

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