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Assange auf dem Shirt einer Demonstrantin

Tolga AKMEN / AFP

Assange-Anklage als Auftakt zum Generalangriff auf Medien

Die Anklageschrift gegen Julian Assange macht aus einem simplen Upload-Mechanismus für Dokumente eine Anstiftung zu einer Straftat. Kontakte zu Informanten werden zur „Verschwörung zur Spionage“ und „Verrat von Staatsgeheimnissen“.

Von Erich Moechel

Während das EU-Parlament noch vor den Wahlen eine Richtlinie zum Schutz von Whistleblowers beschlossen hatte, ist die angelsächsische Welt gegenläufig unterwegs. In den USA ist Whistleblower Chelsea Manning erneut in Haft, weil sie sich weigert, gegen Julian Assange auszusagen. Der sitzt bekanntlich in Auslieferungshaft in London, in den USA drohen ihm 175 Jahre.

Die gesamte Anklageschrift fußt auf Chats zwischen Assange und Manning während drei Tagen in 2009. Ihre Tragweite erschließt sich erst so richtig, wenn man sie auf die traditionelle Medienwelt umlegt. Eine verschlüsselte Upload-Möglichkeit wird da zur „Verschwörung“ und Kontakt zu Informanten „Anstiftung zum Landesverrat“. Wie die Razzien in Australien Mitte Juni gezeigt haben, werden die Staaten der „Five Eyes“-Spionageallianz gegen traditionelle Medien genauso vorgehen, wenn die geheime Regierungsdokumente publizieren.

Chelsea Manning

APA/AFP/Eric BARADAT

Chelsea Manning bei einer improvisierten Pressekonferenz vor dem Gerichtsverfahren im April, in dem die Beugehaft verkündet wurde

Journalisten der öffentlich-rechtlichen ABC in Australien wird wie Assange „Verschwörung zum Landesverrat“ vorgeworfen, weil sie geheime Regierungsdokumente veröffentlicht hatten

„Verschwörung zum Erhalten von Informationen“

Aus der Erklärung auf der Website, dass WikiLeaks „vertrauliche, zensurierte oder anderweitig geheimgehaltene Materialien akzeptiert, wenn sie politisch, diplomatisch oder ethisch relevant sind“, wird so zu einer „Verschwörung zum Erhalten von Informationen über die nationale Sicherheit“ der USA. Auf diesem ersten Anklagepunkt basieren alle 17 weitere „Delikte“, nämlich solche Informationen erhalten und dann publiziert zu haben. Als Höchststrafe sind für jeden einzelnen Klagepunkt zehn Jahre Gefängnis vorgesehen.

Text

Public Domain

Die Anklageschrift wurde vor demselben Bezirksgericht im Osten des Bundesstaats Virginia eingereicht, das vorher schon Edward Snowden in Abwesenheit verurteilt hatte. Der oberste Punkt der Anklage, auf dem alle anderen „Counts“ basieren betrifft die IRC-Chats zwischen Manning und Assange im Jahr 2010 (siehe unten).

Auch Großbritannien hat mit seiner blitzartigen Anerkennung des Auslieferungsbegehrens der USA bereits ein Zeichen gesetzt, dass auch dort die Strafverfolgung gegen missliebige Medienberichte im Raum steht. In der internationale Medienlandschaft wird diese Entwicklung, die das Verhältnis des Staats zu den Medien auf den Kopf stellen könnte, nur sehr zögerlich zur Kenntnis genommen. Anders als nach der ersten Verhaftung Julian Assanges im Jahr 2010 blieb die massenhafte Solidarisierung von Journalistenverbänden im Jahr 2019 bis jetzt weitgehend aus.

Repression gegen das Umfeld

Die jüngsten Entwicklungen im Umfeld von Assange widerspiegeln die dabei gefahrene Strategie der Abschreckung und Einschüchterung potentieller Berichterstatter recht deutlich. Nach zwei Monaten ergebnisloser Beugehaft verschärfte das Gericht die Gangart gegen Chelsea Manning. Ab Mitte Juli sollen zusätzlich täglich 500 Dollar Geldstrafe dazukommen. Danach soll diese Strafe auf tausend Dollar täglich angehoben werden, Manning weigert sich jedoch standhaft weiter, gegen Assange auszusagen.

Anklage gegen Assange

Public Domain

Diese Passage ist der wichtigste Punkt in der Anklageschrift, da sie das Wort „classified“ enthält. Gemeint sind damit Dokumente der Behörden ab der untersten Geheimhaltungsstufe „Secret“.

Vorläufig auf freiem Fuß ist hingegen der schwedische IT-Experte Ola Bini, der vor zwei Monaten in Ecuador verhaftet wurde, wo Bini seit fünf Jahren wohnhaft ist. Bis jetzt ist völlig unklar, warum gegen Bini so vorgegangen wurde, der am Projekt Wikileaks gar nicht beteiligt ist. Er wurde während seiner „Untersuchungshaft“ auch weder befragt, noch wurden konkrete Anschuldigungen erhoben, von einer Anklage ganz abgesehen. Kolportiert wurde nur, dass die US-Behörden Bini befragen wollten, dies wurde am vergangenen Freitag allerdings in Washington offiziell dementiert.

Chatprotokolle als Schlüssel

Die Verhaftung Mannings im Juni 2010 und die Rolle des notorischen Adrian Lamo dabei im Archiv der ORF-Futurezone

Die Chatprotokolle, um die herum die gesamte Anklage gegen Assange konstruiert ist, waren dem FBi bereits 2010 quasi in den Schoß gefallen. Manning hatte vor der Publikation der ersten Tranchevon Leaks, die zu einer der mithin wichtigsten zeitgeschichtlichen Quellen über den Krieg im Irak werden sollten, Rat gesucht und dabei den berüchtigten Hacker Adrian Lamo kontaktiert. Der hatte lange als „Hacktivist“ gegolten, der Sicherheitslücken auf Websites aus ethischen Motiven öffentlich machte, allerdings ohne die betroffenen Firmen und Behörden vorab zu informieren.

Ola Bini

Democracy Now

Ola Bini darf nach seiner vorläufigen Freilassung Ecuador nicht verlassen und muss sich wöchentlich bei den Behörden melden. Im Interview mit dem TV-Channel Democracy Now konnte Bini die wichtigste Frage nicht beantworten, nämlich warum er eingesperrt wurde. Es wurden ihm niemals Gründe für seine Verhaftung mitgeteilt.

Lamo war um diese Zeit allerdings bereits als Informant rekrutiert worden und verriet Manning sofort an das FBI. So war die US-Justiz 2010 an die Chat-Protokolle gekommen, die noch im selben Jahr zur Verurteilung des Gefreiten Bradley Manning (damals 22) vor einem US-Militärgericht zu 35 Jahren Haft geführt hatten. Nach sieben Jahren Einzelhaft, zwei Selbstmordversuchen und einer Geschlechtsumwandlung wurde Chelsea Manning 2017 schließlich von Präsident Barack Obama begnadigt. Nun ist sie wegen derselben Protokolle erneut in Haft.

Keine guten Nachrichten für Journalisten

Im Jahr 2001 hatte Lamo das Nachrichtenportal von Yahoo gehackt und Reuters-Meldungen umgeschrieben

Ohne diese Mitschnitte der Konversationen zwischen Manning und Assange wäre es für die US-Justiz nicht möglich gewesen, eine Anklage gegen Assange wegen Anstiftung und Verschwörung zum Landesverrat bzw. Spionage zu konstruieren. Für investigative Journalisten, von denen es in jedem Land eine sehr überschaubare Anzahl „üblicher Verdächtiger“ gibt, sind das keine guten Nachrichten. Wenn das Beispiel nämlich Schule macht, aus Konversationen von Journalisten mit ihren Informanten Verabredung und Anstiftung zu Straftaten zu konstruieren, dann müssen die Behörden auch irgendwie an solche Kommunikationen gelangen.

Anklage gegen Assange

Public Domain

Hier wird Julian Assange vorgeworfen, Manning zum Diebstahl angestiftet und quasi ferngesteuert zu haben. Die Passage weiter oben stammt aus den Chatprotokollen von 2010.

Heute sollen die Direktoren der drei größten Medienkonzerne Australiens ABC, News Corp und Nine in Sydney gemeinsam an die Öffentlichkeit treten. Sie verlangen Gesetzesänderungen zum Schutz von Journalisten, denn „Down Under“ ist den Journalisten inzwischen klar, dass die neue Vorgangsweise der Behörden auch vorbeugende Überwachung impliziert. Erst aus den Konversationen zwischen Journalisten und ihren Informanten können dann Delikte wie „Anstiftung zum Landesverrat“ und Verschwörungen zu weiteren solchen „Straftaten“ abgeleitet werden.

Die Ziele der „Five Eyes“-Allianz

Es ist ein seltsames Gefühl, das bei der Lektüre einer solche Anklage entsteht. Die geschilderten Vorgänge, etwa die gemeinsame Suche nach Dokumenten zusammen mit einem Insider, die Datenübermittlungen und notwendigen Warnungen an die Informanten, die oft ziemlich leichtfertig agieren, wirken da merkwürdig vertraut. Bei genauerem Hinsehen aber wirkt diese Niederschrift dann doch bedrohlich und das genau ist auch das Ziel dieser konzertierten Aktion der „Five Eyes“-Allianz.

Die Website des Autors akzeptiert auch vertrauliche, zensurierte, unter Verschluss stehende oder anderweitig geheimgehaltene Materialien, die für die Öffentlichkeit relevant sein könnten.

Ob ihre neuartigen Vorgehensweisen vor den Gerichten nun halten oder verworfen werden, so lässt sich die Zeitspanne bis dahin trefflich nützen. Um nämlich die „üblichen verdächtigen“ Journalisten, die zu Themen wie Überwachung und Geheimdienste berichten und auch die notwendigen Dokumente zu Untermauerung mit publizieren, nach Kräften zu verunsichern und einzuschüchtern. Aus diesem Grund wurde der übliche Verweis auf den Upload-Mechanismus zum Nachrichtenaustausch inhaltlich leicht abgeändert.

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