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Frauen Worldcup: USA gegen Frankreich

APA/AFP/FRANCK FIFE

Blumenaus Fußball-Journal

Vorweggenommene Finalspiele

Das Viertelfinale USA gegen Frankreich war eine weitere Perle in einer legendären Reihe. Außerdem: über den Vorgriff auf unser aller Zukunft, die Herrschaft des Videobeweises und die Charakterformung durch unbestrafte Unfairness.

Von Martin Blumenau

Es war im Viertelfinale der WM, die beiden bis dorthin klar besten Mannschaften trafen aufeinander. Die Fußball-Welt stöhnte im Vorfeld auf, weil eines dieser Teams ausscheiden musste.

Auf der einen Seite der Rekord-Weltmeister, der wieder eine flamboyante Mannschaft zusammen hatte, in der sich Spielintelligenz und physische Wucht ergänzten, noch dazu mit einem politisch denkenden und handelnden Leader. Auf der anderen Seite Frankreich, definitiv das Team der Stunde.

Zuletzt zur Frauen-WM in Blumenaus Fußball-Journal, das jetzt wieder regelmäßig erscheint: Frauen-Fußball wird wie Männer-Fußball und das ist nicht nur gut so. Davor: Zur Untrennbarkeit von Fußball und Politik mit zwei Beispielen aus dem Frauen-Fußball. Und das war die Vorrunden-Bilanz der Frauen-WM, nach einem ersten Blick und einem zweiten auf Deutschland vs Spanien.

Gestern: Vorteil Dänemark: Fußball im digitalen Zeitalter - die Junioren-App Tonsser.

Zuletzt auch: alles über die systematische Analyse-Verweigerung nach der U21-EM. Siehe dazu auch: Nachträgliche Relativierung, die Nachlese zur Niederlage der U21 gegen Dänemark; die Analyse des Sieges über Serbien. Davor Texte über den letzten Test vor Beginn der ersten U21-Euro an der der ÖFB teilnehmen darf.

Außerdem im Journal: die Analyse der Hahnenkämpfe um die globalen Fußball-Rechte anlässlich des Afrika-Cups, eine Analyse der zunehmend geschlossenen Gesellschaften im Fußball Closed Shop – am Beispiel der beginnenden UEFA-Bewerbe und des Trainingsbeginns der Liga-Meisterschaft. Dazu auch eine Analyse der Position der Chef-Coachs und die Bilanz der letzten Saison.

Außerdem: Nachbetrachtung zum Mazedonien-Ausflug des ÖFB-Teams sowie Preview und Nachlese zum Slowenien-Länderspiel. Und hier noch eine erste Bilanz und eine Preview auf die Copa America.

Das sind die Vorgängertexte, egal ob als #dailyblumenau auf der neuen oder der alten Website, oder im langjährigen Journal. Ein regelmäßiges Journal zu diesen Themenfeldern abseits des Fußballs, folgt im Herbst.

Die Rede ist von einem der großen Matches der Fußball-Historie, dem vorweggenommenen Finale zwischen Brasilien - Frankreich bei der WM 1986.

Die Rede ist aber genauso vom gestrigen Viertelfinale bei der Frauen-WM, zwischen den USA und Frankreich.

Und es ist eine sich wiederholende Geschichte. Denn immer wieder treffen einander die besten Teams ihrer Zeit bereits in den Vorschluss-Runden der großen Turniere.

Wie dann eben auch gestern, bei der Frauen-WM, als die USA sich gegen Gastgeber Frankreich durchsetzte. Die oben beschriebenen Gemeinsamkeiten zwischen den brasilianischen Männern und den amerikanischen Frauen (bis hin zu den Rapinoe/Socrates-Parallelen) sind durchaus verblüffend. Und in beiden Fällen war es ein Viertelfinale und ein unglaubliches, zur Legendenbildung geeignetes Spiel, ein vorzeitiger Klimax eines Turniers.

Der eklatanteste Unterschied der beiden Ereignisse liegt im Ergebnis: Damals kamen die Herausforderer, die Franzosen weiter, im Elferschießen und die brasilianischen Halbgötter (neben Socrates noch Zico, Branco, Junior oder Alemao) mussten die Heimreise antreten. Diesmal waren die alten Meisterinnen, die US-Frauen siegreich. Ihre Gegnerinnen, Bouhaddi, Renard, Mbock, Henry, Thiney, Boussaglia, Cascarino oder Le Sommer, müssen daheim bleiben und den anderen weiter zusehen.

Im Fall der alten Männer folgten noch zwei Höhepunkte, allerdings eher negativer Natur. In einem schrecklichen Halbfinale trat die deutsche Mannschaft die Franzosen aus dem Bewerb (im Fall ihres Tormannes, der einen Gegner bei einem Durchbruch ungestraft ins Krankenhaus beförderte; der heute eingesetzte Videobeweis hätte da den Lauf der Geschichte wohl dramatisch geändert). Und in einem auch nicht lässigen Finale wurden sie dann von auch unfairen Argentiniern (die sich mit der Hand Gottes schon zuvor ebenso illegal den Weg gebahnt hatten, auch das wäre heute, VARseiDank gar nicht denkbar) bestraft.

Im Fall der jungen Frauen von heute, die unter strenger Videoüberwachung stehen (wie sie in China etwa auch ins richtige Leben eingreift, wir erleben also eine Art Vorgriff auf unsere Zukunft, der Herrschaft des Videobeweises), wird sich nichts in dieser darwinistischen Negativität Vergleichbares abspielen. Das kann man als fad empfinden, als Eingriff in die fatalistische Brutalität des Lebens empfinden. Ich bin mir nicht so sicher.

Das merkt man daran, dass ich ’82 und ’86 vermische (danke für die Hinweise). Schumachers Tritt war im Halbfinale 82. Das Halbfinale 86 (Franrkeich war zwischendurch, 1984 triumphal Europameister geworden) war die Chance auf Rache für Battiston; und endete in einem unglücklich verlorenen Penalty-Shoot-Out. Prolongierte Ungerechtigkeit.

Ein Teil von mir ist immer noch aufgewühlt, wenn er an die Ereignisse von 86 erinnert wird. Würde mir jemand heute Toni Schumacher vorstellen, ich bin mir nicht sicher, ob ich ihm nicht ansatz- und vorwarnungslos und mit dem Ruf „Rache für Battiston!“ eine aufs Maul hauen würde, so fest ich könnte. Und ich bin ehemaliger Zivildiener und eigentlich gegen Gewalt.

Vielleicht ist es auch wichtig für die Charakterformung, unbestrafte Unfairness erlebt zu haben. Vielleicht ist es gar nicht gut, wenn der relativierende Videobeweis der jungen Generation das Gefühl eines generellen Sicherheitsversprechens gibt. Das ist mir zu einlullend und gefährlich; auch weil es weder absolute Sicherheit noch absolute Gerechtigkeit gibt, weil niemals alle Blickwinkel abgedeckt sein können.

Wie komm’ ich jetzt da drauf?
Richtig, der Ausgangspunkt war dieses vorweggenommene Finale, seine historischen Vorgänger, und die Auswirkungen auf das Denken und Handeln der Menschen und der Gesellschaft. Das bleibt ein offener Diskurs.

Offen bleibt auch ob es weitere Parallelen zu 1986 geben wird. Denn damals hat eben keine der wirklich besten Teams gewonnen, sondern das vielleicht drittbeste, dem man dann nur deswegen die Daumen halten musste um zu verhindern, dass eine schlechte Hooligan-Schlägertruppe sich durchsetzen würde.

Diesmal fehlen die Schläger. Und auch die Dritt- und Viertbesten (England und Deutschland) wären würdevoll genug für ein Finale. Das in dieser Saison ja schon oft genug nicht den wahren Höhepunkt darstellte. Siehe Champions League, siehe Europa League.

Trotzdem sollte, nach der emotionalen Logik eines solchen vorweggenommenen Finalspiels, der Gewinner dann auch den Titel holen. Es sei denn, es kommt noch ein anderer, wirklich großer, zur Legende taugender Moment dazwischen.

Den Text gibt’s auch zum Anhören als Podcast.

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