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„Am Rande der Demokratie“ - eine Doku über die gebrochene Demokratie Brasiliens

„Am Rande der Demokratie“ ist gleichzeitig erschütternde Chronik und Totengesang auf die brasilianische Demokratie. Eine junge Demokratie, geboren 1985 - im gleichen Jahr wie Regisseurin der Dokumentation Petra Costa.

Von Natalie Brunner

Die Doku „Am Rande der Demokratie“ besteht aus Archivmaterial, Fernsehbildern und Aufnahmen bei Demonstrationen. Darüber gelegt sind die poetisch, aber auch nüchtern sachlich vorgetragenen Texte der Regisseurin.

Es ist keine nüchterne Politdoku, sondern eine höchst emotionaler Versuch, eine Chronik zu schaffen, die belegt, wie unter den Augen der Welt das größte Land Lateinamerikas in die Zustände vor 1985, der Zeit der Militärdiktatur, zurückgefallen ist.

Die Chronologie der brasilianischen Geschichte

Jair Bolsonaro, der amtierende Präsident, ist ein aus den Reihen des Militärs kommender Faschist. Eine nicht abreißende Reihe von Korruptionsskandalen hat demokratische Apparate und Schutzmechanismen wie die Trennung der Gewalten und das Parlament in einem derart maroden Zustand gebracht, dass es dem Regime möglich ist, die Justiz zu kontrollieren und Gesetze selektiv gegen politische Gegnerinnen anwenden zu lassen, motiviert von wirtschaftlichen und machtpolitischen Eigeninteressen.

Cover "The Edge of Democracy"

Netflix

Der ehemalige Bundesrichter Sergio Moro, der den ehemaligen Präsidenten und Ex-Gewerkschafter Lula da Silvia wegen Korruption verurteilte, tat das in Absprache mit Militär, Oligarchen und den rechten Lager, um einen möglichen Wahlsieg der linken Arbeiterpartei zu verhindern, so dass Bolsonaro gewählt würde. Die Beweislage gegen Lula ist lückenhaft die Schlüssel der Luxuswohnung, die er als Bestechung von der größten Baufirma Brasiliens bekommen hat, wurden ihm zugestellt. Lula hat nie in der Wohnung gewohnt und sie blieb auch Eigentum der Baufirma.

Sergio Moro, der Richter, der ihn verurteilt hat, war auch federführend bei dem Putsch gegen Lulas Nachfolgerin, Präsidentin Dilma Rousseff, ebenfalls von der Arbeiterpartei.

Als 2017 ein 38 Minuten langer Tonbandmitschnitt veröffentlicht wird, in dem Temer den reichsten Mann Brasiliens in illegalen Vorhaben bestärkt, lehnt die Abgeordnetenkammer eine Suspendierung des Präsidenten und eine Aufhebung seiner Immunität ab. Die Justiz beginnt nicht zu ermitteln, Brasilien brauche jetzt Normalität und die unbeliebte Regierung mit Umfragewerten unter 5 Prozent soll bis zu ihrer Abwahl weiterarbeiten, hieß es.

Der damals noch im konservativen Lager zu verortende Richter Sergio Moro, der die zwei gewählten sozialistischen Präsidenten zu Fall brachte, wird nicht gegen den Präsidenten der unbeliebten konservativen Übergangsregierung tätig.

Heute ist Temer im Gefängnis, Sergio Moro ist in das Lager von Bolsonaro gewechselt und Justizminister von Brasilien.

Regie-Meisterleistung

Es ist eine Meisterleistung von Petra Costa und ihrer Dokumentation, dass man, selbst wenn man von brasilianischer Geschicht, Politik und sozio- ökonomischen Verhältnissen keine Ahnung hat, nach der knapp zwei-stündigen Dokumentation versteht, wie das über Jahrzehnte erstreckende Komplott von Militär, Wirtschaft und Justiz zu dem Fall der Arbeiterpartei Lulas und der Demokratie führte.

An einem Punkt der Doku meint die Regisseurin, starke Demokratie fallen, indem Panzer rollen und das Parlament aufgelöst wird, schwache Demokratien sterben leise und schrittweise. Gesetze werden nur für politische Gegner angewendet und oppositionelle Journalist*innen und Politiker*innen ermordet oder mit Morddrohungen ins Exil getrieben.

Rechercheplattform „The Intercept“

„Am Rande der Demokratie“ ist seit dem 19. Juni auf Netflix zu sehen. Eine Woche davor veröffentlichte der Journalist und Anwalt Glenn Greenwald auf der von ihm mitgegründeten Rechercheplattform „The Intercept“ Chat-Mitschnitte, die eine weitere Facette des in der Doku chronologisierten Komplotts belegen.

Der Inhalt: Der jetzige Justizminister Moro traf zu seiner Zeit als Richter mit der Staatsanwaltschaft per Messengerdienst Absprachen, um Ex-Präsident Lula da Silva zu verurteilen und einen möglichen Wahlsieg der linken Arbeiterpartei zu verhindern, sodass Bolsonaro gewählt wurde.

Der Justizminister Sergio Moro kann sich an die Chats nicht mehr erinnern und hat gegenüber dem Nachrichtendienst, betont, dass es sich bei der Beschaffung der Chats um einen illegalen Hackerangriff handle und den „Kriminellen“ das Handwerk gelegt werden müsse.

Stunden nach der Veröffentlichung der Dokumente von „The Intercept“ waren andere Headlines aus Brasilien in den globalen Nachrichten: Bolsonaro berief dagegen, dass der Mann, der während des Wahlkampfes ein Messerattentat auf ihn verübt hatte, für unzurechnungsfähig erklärt wurde.

Glenn Greenwald und sein Ehemann der Journalist und sozialistische Politiker David Miranda, sowie ihre zwei Kinder erhalten nicht erst seit der Veröffentlichung Morddrohungen. Das Paar war mit der vor 15 Monaten ermordeten Politikerin Marielle Franco befreundet. Ihre mutmaßlichen Mörder sind ehemalige Polizisten deren Verbindung zur Bolsonaro und seiner Familie belegt sind, die aber immer noch nicht gefasst sind.

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