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Deutschland-Coach Martina Voss-Tecklenburg

APA/AFP/LOIC VENANCE

Blumenaus Fußball-Journal

Zwei deutsche Niederlagen im Vergleich

Gestern Abend hat die deutsche U21 ihr EM-Finale verloren. Vorgestern sind die deutschen Frauen, Co-Favorit der WM, ausgeschieden. Ungewöhnlich für die sieggewohnten Nachbarn, aber nachvollziehbar. Eine Analyse.

Von Martin Blumenau

Die Voraussetzungen waren unterschiedlich, das Resultat dasselbe: Deutschland gewinnt keines der beiden großen Sommer-Turniere, wiewohl die DFB-Teams beide Male zumindest Mit-Favoriten waren.

Die U21 verliert die Final-Revanche von 2017. Und die Frauen scheiden ebenso wie bei der EM 2017 schon früh aus; wieder im Viertelfinale, wieder gegen einen skandinavischen Gegner.

Zuletzt zur Frauen-WM in Blumenaus Fußball-Journal, das jetzt wieder regelmäßig erscheint: Vorweggenommene Finalspiele - Assoziationen zum Viertelfinale Frankreich - USA sowie Frauen-Fußball wird wie Männer-Fußball und das ist nicht nur gut so. Davor: Zur Untrennbarkeit von Fußball und Politik mit zwei Beispielen aus dem Frauen-Fußball. Und das war die Vorrunden-Bilanz der Frauen-WM, nach einem ersten Blick und einem zweiten auf Deutschland vs Spanien.

Zuletzt auch: alles über die systematische Analyse-Verweigerung nach der U21-EM. Siehe dazu auch: Nachträgliche Relativierung, die Nachlese zur Niederlage der U21 gegen Dänemark; die Analyse des Sieges über Serbien. Davor Texte über den letzten Test vor Beginn der ersten U21-Euro an der der ÖFB teilnehmen darf.

Außerdem im Journal: Vorteil Dänemark: Fußball im digitalen Zeitalter - die Junioren-App Tonsser, eine Analyse der Hahnenkämpfe um die globalen Fußball-Rechte anlässlich des Afrika-Cups, eine Analyse der zunehmend geschlossenen Gesellschaften im Fußball Closed Shop – am Beispiel der beginnenden UEFA-Bewerbe und des Trainingsbeginns der Liga-Meisterschaft. Dazu auch eine Analyse der Position der Chef-Coachs und die Bilanz der letzten Saison.

Außerdem: Nachbetrachtung zum Mazedonien-Ausflug des ÖFB-Teams sowie Preview und Nachlese zum Slowenien-Länderspiel. Und hier noch eine erste Bilanz und eine Preview zur Copa America.

Das sind die Vorgängertexte, egal ob als #dailyblumenau auf der neuen oder der alten Website, oder im langjährigen Journal. Regelmäßiges zu diesen Themenfeldern abseits des Fußballs folgt im Herbst.

Die Gemeinsamkeit dieses für den DFB und die Fußball-Öffentlichkeit des großen Nachbarn dann doch enttäuschenden Abschneidens liegt in den Ursachen. Denn beide Niederlagen waren wohl vermeidbar und hatten ihre Gründe in ungewöhnlichen Maßnahmen der Coaches, die sich in beiden Fällen (wohl zu) stark an den jeweiligen Gegnern orientierten und ihre Denkmuster dann nicht mehr gut genug ändern konnten.

Die deutschen Frauen etwa, die ihre Spiele bislang aus einer Position der Selbstsicherheit heraus geführt und gewonnen hatten, gingen mit einer deutlich an ihren Kontrahentinnen aus Schweden orientierten, veränderten Spielanlage und Aufstellung ins Viertelfinale.

Nun ist Schweden im Frauenfußball ein durchaus klingender Name, die Nummer 9, zuletzt Olympia-Zweite. Aber nicht nur dort waren sie Deutschland unterlegen, sondern in allen bisherigen Begegnungen bei großen Turnieren. Warum also Martina Voss-Tecklenburg just gegen die Schwedinnen begann Rücksichten zu nehmen, die man erst gegen die Großen (USA oder Frankreich oder England) erwartet hätte, verwundert ein wenig.

Voss zog ihre Kapitänin und Stürmerin Alexandra Popp auf einen Part in der Doppel-Sechs zurück, neben Sara Däbritz, die gerne nach vorne geht, sogar den defensiveren. Nun kann Popp das, hatte es schon im Match gegen die Spanierinnen bewiesen, als es in der Schluss-Phase darum ging, Stabilität in die Defensive zu bekommen. Voss zahlte aber den Preis: nämlich Popp dann eben vorne nicht zu haben. Und weil sie die junge Bühl diesmal außen vor ließ, war es die bis dato weniger auffällige Lea Schüller, die die Alleinunterhalterin im Angriff spielen musste. Und noch eine Offensivkraft, nämlich Linda Dallmann, war recht neu und blieb ohne große Anbindung ans Spiel. Linda Magull, die wohl ein besserer Achter ist, bekam die Marozsan-Rolle, also die der Spielmacherin umgehängt. Es zerrte und ziepte also an zu vielen Ecken und Enden der Offensiv-Abteilung. Dzsenifer Marozsan, nach ihrem Zehenbruch noch nicht bei 100% kam zur zweiten Halbzeit statt Dallmann, mehr als ein paar Standards kamen von ihr in der Fortdauer, die ausschließlich aus Rückstand-Nachlaufen bestand, aber nicht.

Außerdem kam dazu, dass Gerhardsson, dem gegnerischen Trainer etwas aufgefallen war: dass man nämlich das deutsche Innenverteidigerinnen-Duo Doorsoun – Hegering mit langen Bällen und schnellen Läufen ausspielen kann; vor allem Hegering ist zu langsam. Mit so einem langen Ball (von Sembrandt) entstand der Ausgleich. Durch diese schwedische Spielanlage war der Plan mit Popp als abfangender und aufbauender Zentrale irgendwie hinfällig. Geändert wurde daran aber nichts/zu wenig. Ich nehme, wiewohl auch der Blick auf die Wechsel dafürspricht, ungern den Begriff „vercoacht“ in den Mund, aber so richtig sinnstiftend und den verlauf der Partie unterstützend war Martina Voss Strategie nicht.

Den Text gibt’s auch zum Anhören als Podcast.

Blumenaus Fußball-Journal 010719

Ähnliches trifft auch auf die deutsche U21 zu, die das EM-Finale gegen Spanien verlor. Das kann passieren, schließlich war es das Treffen der beiden besten Teams dieser Junioren-Euro (und die Neuauflage des Finales von 2017, von dem noch eine Handvoll – damals ganz junge - Spieler dabei waren). Unnötig war es trotzdem. Auch U21-Coach Stefan Kuntz, der vielleicht sympathischste Trainer des Planeten, ging mit veränderten Spielanlage und Aufstellung ins Match. Und auch er richtete sich erstmals nach dem Gegner, anstatt die bis dato gezeigten eigenen Stärken zu betonen.

Mit Serdar statt Neuhaus im Mittelfeld nahm Kuntz seinen Burschen zunächst einen ordentlichen Schuss Kreativität. Zudem blieben die Deutschen recht starr auf ihren Positionen anstatt wie bisher die Gegner durch die ununterbrochenen Rochaden der Offensivkräfte zu verwirren. Man konnte die Angst vor den Spaniern greifen. Kuntz wies seine Außenverteidiger sogar an mit ihren Gegenspielern mitzugehen und so trabten Klostermann und Henrichs dann Olmo und Fornals hinterher. Das war Kaninchen/Schlange, ein wenig lächerlich sogar.

Spaniens Offensive hingegen setzte genau die Mittel ein, mit denen auch Team Deutschland bis dorthin erfolgreich war. Ihr Oyarzabal ist genauso ein spielerischer Rückzugs-Center wie sein Gegenüber Waldschmidt, und weil er nicht nur von den Flügeln, sondern auch von Ceballos und dem vorstoßenden Fabian Ruiz auf den Halbpositionen auch immer wieder entlastet wurde, surrte den Deutschen schnell der Kopf. Es war wie eine selbsterfüllende Prophezeiung – die Angst vorm Spanier wurde von der Kopf- zur Tatsache.

Aus dieser Zwickmühle fanden die bis dorthin sorgenfrei agierenden jungen Deutschen nicht mehr hinaus, und zwei Aktionen von Fabian Ruiz (der für Napoli auch schon Salzburg aus Europa geschossen hatte) besiegelten das Schicksal. Wie die Frauen gab es final nur angestrengtes Rückstand-Nachlaufen, zu wenig Ideen und Traute.

Und auch in diesem Fall ist „vercoacht“ ein schlimmes Urteil, aber letztlich trifft es zu: die Strategie Spanien in seinem offensiven 4-1-4-1 zu spiegeln und sich sklavisch am Gegner zu orientieren, machte einen gleich Starken zum Sieger. Bei den Frauen war das sogar einen Deut schlimmer: Die Idee sich wegen eines zwar stabilen, aber spielerisch eigentlich unterlegenen Gegners selber spielerisch (und in der Offensive) zu schwächen, ging nach hinten los.

Fazit: Auch Teams, die ein Turnier auf hohem Niveau (und in voller Fitness…) spielen, sind vor Fehleinschätzungen nicht gefeit. Da ist es allemal besser, mit einer Idee zu scheitern, als ohne Idee in ein Match zu gehen und auf Glück oder die Götter zu hoffen, ist aber auch klar.

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