Die Virtual Reality des Klarträumens

Sinnbefreiter Gehirnmüll oder Schlüssel zu seelischen Problemen und kreativen Prozessen? Während die Wissenschaft immer noch über die Bedeutung des Träumens streitet, träumen viele längst klar.

Von Claudia Unterweger

„Ich klettere durchs Fenster und stelle fest, dass ich ganz oben auf einem Hochhaus bin. Da entscheide ich mich, einfach zu springen. Weil ich weiß: Ich träume gerade, mir kann nichts passieren. Das ist eine neugewonnene Freiheit.“

Klarträumer Alois Kozar erzählt mir von seinen nächtlichen Abenteuern im Kopf. Dabei blättert er in seinem kleinen schwarzen Traumtagebuch. Seite um Seite gefüllt mit Notizen zu seinen luziden Träumen. Der 34-jährige Kameraassistent träumt schon seit 12 Jahren immer wieder klar. Seine Ex-Freundin erzählte ihm davon, dass das möglich sei. „Ich war gleich begeistert von der Idee, noch eine zusätzliche Dimension in meinem Leben zu haben. Man verbringt schließlich ein Drittel der Lebenszeit im Schlaf. Das wäre doch lustig, auch in diesem Drittel die eigene Umwelt gestalten zu können.“

Den eigenen Nachtfilm steuern

„Inception“ und „Matrix“: Die Millioneneinnahmen durch diese Blockbuster zeigen, wie viele Menschen sich für die Idee begeistern, die eigenen Traumwelten steuern zu können. Voraussetzung für bewusstes Entscheiden im Traum ist allerdings: Die träumende Person muss sich erst einmal bewusst werden, dass sie gerade träumt, erklärt die Schlafforscherin und Psychotherapeutin Brigitte Holzinger. „Unter einem luziden Traum versteht man einen Traum, in den man hineinerwacht.“

Seit mehr als 20 Jahren erforscht Holzinger wissenschaftlich das Träumen in allen Facetten. „Beim Klarträumen ist man Autor, Regisseurin, Bühnenbild, Schauspieler und Kamerafrau der inneren Bilder. Psychotherapeutisch gesehen ist das sehr wertvoll, denn dadurch lässt sich größere Handlungsfreiheit erlangen. Weil man im Traum versteht, dass man die Dinge in die Hand nehmen kann, begreift man das im besten Fall auch im Wachzustand.“

Lebensentscheidungen durchspielen

Psychotherapeutin Holzinger berichtet von einer Frau, die nach dem Besuch von Klartraum-Seminaren den Mut für eine lang anstehende Trennung aufbrachte. Und davon, dass es Menschen gelingen kann, durch luzides Träumen mit dem Rauchen oder Trinken aufzuhören. Klingt nach einem traumhaft einfachen Mittel zur Selbstoptimierung? „Im Traum lassen sich lediglich Möglichkeiten durchspielen. Die Entscheidung im Wachzustand nimmt einem der Traum aber nicht ab.“

Dass sich luzides Träumen positiv auf die Psyche auswirken kann, ist mittlerweile kein Geheimnis mehr. Traumatisierte Menschen können durch luzides Träumen ihre Albträume überwinden und wieder ohne Furcht einschlafen. Doch anders als in den USA, wo die Beschäftigung mit dem Träumen schon seit 25 Jahren ein Riesenthema ist, wird in Österreich kaum in die Schlafforschung investiert.

„In unserem Kulturkreis war das lange Zeit verpönt. Weil wir Träume geringschätzen. Wir bekommen oft gesagt: So ein Blödsinn, du träumst! Das sagt viel über unser Menschenbild, unsere Selbstdisziplinierung und unsere Angepasstheit aus,“ sagt Holzinger.

Der Boden unserer Fantasie

Dabei kann luzides Träumen angeblich (fast) jede_r erlernen. 4 von 5 Erwachsenen haben die Fähigkeit dazu. Denn wir alle haben als Kinder und Jugendliche spontane Klarträume. Online Tutorials zum Wiedererlernen des Klarträumens gibt es mittlerweile viele. Sie alle behaupten, die ultra-effektive Methode dafür zu haben: Traumtagebuch führen, tagsüber laufend Reality Checks durchführen und sich auch in der Nacht nach 6 Stunden Schlaf aufwecken lassen, um zu prüfen: bin ich wach oder träume ich gerade?

Auch Alois Kozar ist mit dieser Technik ins Klarträumen eingestiegen. „Ich habe im Traum einen Reality Check gemacht und festgestellt, dass sich meine Hand schlangenförmig bewegt. Die Finger wabern. Ein Indikator dafür, dass man träumt. Und dann wusste ich: Ich erlebe gerade meinen ersten luziden Traum.“

Gelegenheiten zum Üben hätten wir genug. Ein Fünftel der Nacht verbringen wir träumend im REM-Schlaf und tun das bis an unser Lebensende. Doch im Traum mit dem eigenen Unterbewussten zu hantieren, ist vielen nicht geheuer. Schließlich ist immer noch nicht wirklich erforscht, was in unserem Gehirn beim Träumen geschieht.

Das Unterbewusstsein ist bis heute ein wissenschaftlich kaum ergründeter Ort, gibt Alois Kozar zu: „Ich fand es am Anfang auch ein bisschen gruselig. Wo blicke ich da hinein? Ich war aber immer schon fasziniert von Parallelwelten, wo die üblichen Gesetze außer Kraft sind. Deshalb bin ich auch begeisterter Computerspieler. Durch den Traum eine Verbindung zum Unbewussten herzustellen, genau das ist ja das Spannende, oder?"

FM4 Auf Laut: Träumen? Klar!

Wie selten und wie schwierig ist es, luzide Träume zu haben? Verschlafen wir die Möglichkeiten unseres Bewusstseins? Welche Wirklichkeit besitzt das, was wir träumen? Heute Abend in FM4 Auf laut erzählen die Musikerin Clara Luzia, Viel-Träumerin Isa Khom und der gelernte Klarträumer Alois Kozar von ihren nächtlichen Traumreisen.