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Sea Watch 3

AFP / picturedesk.com

„Keiner will Verantwortung übernehmen, das ist ein Armutszeugnis.“

Ein Interview mit dem Einsatzleiter der Sea Watch 3, Philipp Hahn, der sich gerade mit der Crew auf dem beschlagnahmten Schiff im Hafen von Lampedusa befindet.

Von Lena Raffetseder

Wochenlang hat das Schiff Sea Watch 3 auf eine Landeerlaubnis gewartet. An Bord über 50 Personen, die die Crew aus dem Mittelmeer gerettet hatte. Am Samstag hat die Kapitänin Carola Rackete gegen geltendes Recht verstoßen und ohne Erlaubnis im Hafen von Lampedusa angelegt. Seither steht sie unter Hausarrest, gestern, Montag, 1.7.2019, ist sie einem Richter vorgeführt worden.

Eine Entscheidung, wie es für sie und das Schiff, die Sea Watch 3 weitergeht, wird noch heute erwartet. Vorgeworfen wird Rackete Beihilfe zur illegalen Einwanderung, Verletzung des Seerechts und Widerstand gegen die Staatsgewalt.

Philipp Hahn Sea Watch Kapitän

Sea Watch

Philipp Hahn, hier zu sehen in einer Sea Watch-Kampagne

Wir haben mit dem Einsatzleiter der Sea Watch 3, Philipp Hahn, gesprochen. Er ist mit der Crew auf dem beschlagnahmten Schiff im Hafen von Lampedusa.

FM4: Wie ist die Situation an Bord?

Angespannt, weil man auch nicht weiß, was noch auf uns zukommt. Wir können nicht abschätzen, was genau die rechtliche Bedrohung für unsere Kapitänin bedeutet, gleichzeitig wissen wir nicht, was mit dem Schiff passiert, deswegen schweben wir da in der Luft.

Um ganz ehrlich zu sein, natürlich freuen wir uns über sämtliche Hilfe und Solidarität. Aber man muss ja auch ganz klar sagen, dass jetzt seit Jahren von der Politik nichts gemacht wurde, um dem Sterben im Mittelmeer ein Ende zu setzen, sondern im Gegenteil sich die Lage mehr und mehr verschärft. Ich würde mich mehr freuen, wenn die Politik endlich zu handfesten Mitteln greift, um dafür zu sorgen, dass auf dem Mittelmeer nicht mehr gestorben wird.

Vermisst ihr da die Unterstützung aus Deutschland?

Ganz klar, Deutschland hätte es in der Hand, in Europa dafür zu werben, dass Europa aktiv wird, dass es eine gerechte Verteilung auf verschiedene Länder gibt. Aber das wird immer wieder vertagt, gegenseitig wird einander da die Schuld zugewiesen. Keiner will richtig Verantwortung übernehmen, das ist für mich ein Armutszeugnis. Ich begreife das nicht, ich versteh nicht, warum Europa nicht die Chance ergreift sich hier als humanistischer Player zu zeigen und da aktiv zu werden.

Kann man derzeit Menschen aus dem Mittelmeer retten, ohne sich strafbar zu machen?

Ja das kann man durchaus, beziehungsweise ist das nur schwierig für zivile Seenotrettungsorganisationen wie unsere. Für Italien hingegen (ginge es, Anm.). Das hat jetzt auch der Prozess gezeigt: Das Wichtigste ist, dass sie nicht alleine gelassen werden mit der Frage, wo die Menschen an Land kommen, wo sie bleiben und wo man sich dann um sie kümmern muss. Es gab nur immer ad hoc-Lösungen über die Verteilung, aber keine dauerhaften.

Carola Rackete nach ihrer Verhaftung

Photo by Giovanni ISOLINO / AFP

Carola Rackete bei ihrer Festnahme

Was bedeutet euer Fall für die Zukunft der Rettung im Mittelmeer?

Das kommt darauf an, wie er ausgeht. Ob das Gericht unserer Argumentation folgt oder nicht. Folgt es unserer Argumentation, ist dadurch durchaus bewiesen, dass die neue Gesetzgebung, die vom italienischen Innenminister Salvini erlassen wurde, nicht Hand und Fuß hat. Und nicht mit der Verfassung Italiens übereinstimmt.

Man hört von der Politik aber auch vom italienischen Innenminister Salvini den Wunsch, diese Mittelmeerroute zu „schließen“. Kommen dann wirklich weniger Leute? Wie würdest du die Situation derzeit beschrieben?

Ich kann von gestern erzählen: Wir liegen ja hier vor Anker vor Lampedusa mit unserer Sea Watch 3 und vor unserem Fenster fährt ein Holzboot vorbei mit ungefähr 15 Leuten an Bord. Wir gucken uns das an und denken „Moment mal, das ist doch ein Flüchtlingsboot“. Wir haben daraufhin die Hafenbehörden hier informiert und haben bestätigt bekommen, dass es sich um ein Flüchtlingsbot handelt, dass auf dem Strand dann von alleine gelandet ist.

Es sind Leute unterwegs, es werden sich auch weiterhin Leute auf den Weg machen, das hängt nicht damit zusammen, ob eine Seenotrettung stattfindet oder nicht, weil die Menschen aus ihren Ländern A) fliehen müssen und B) ab dem Moment, wo sie in Libyen sind, auch gar keine andere Chance haben.

Kannst du die letzten Tage beschreiben, wie ist die Stimmung unter euch, der Besatzung?

Wir sind unglaublich erschöpft. Wir waren jetzt mehr als 2 Wochen mit 53 Menschen an Deck hier unterwegs und haben Tag für Tag Bettel-Emails geschrieben und darum gebeten, dass man uns einen Hafen öffnet, zu dem wir die Menschen bringen können. Nach all diesen Aktionen, die wir gestartet haben, um eine Lösung für uns zu finden, mussten wir letztendlich erkennen, dass wir die Situation nicht weiter aufrecht erhalten konnten, und sind komplett erschöpft und ausgelaugt dann in den Hafen hineingefahren, trotz des Verbotes, das bestand. Das war ein Akt der Erschöpfung, den wir da hingelegt haben.

Sea Watch Einsatz Jänner 2019

Federico Scoppa / AFP

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