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Überwachungskameras

Pixabay / CC0

Das Überwachungserbe von Türkis-Blau

Die Regierungskoalition von ÖVP und FPÖ ist nach weniger als zwei Jahren zerbrochen. Doch einer ihrer Themenschwerpunkte - die Etablierung neuer und stärkerer Formen von Überwachung - wirkt sich nachhaltig auf unser Leben aus.

Von Christoph „Burstup“ Weiss

Die gemeinsame Regierung von ÖVP und FPÖ endete im Mai 2019, nachdem Bundeskanzler Sebastian Kurz bekanntgegeben hatte, dass er Innenminister Herbert Kickl entlassen werde. Daraufhin legten alle FPÖ-Minister ihre Ämter nieder und beendeten die Koalition. In ihrer weniger als zwei Jahre dauernden Zusammenarbeit brachten ÖVP und FPÖ aber viele netzpolitische Maßnahmen auf Schiene, mit denen sie neue Formen der Überwachung etablierten.

Im Sommer 2018 beschloss das Parlament eine Aufweichung des Datenschutzes im Gesundheitsbereich: Im Zuge der Einführung des 12-Stunden-Arbeitstages wurden Krankenversicherungsträger zur Rasterfahndung in den sensiblen Gesundheitsdaten der Versicherten verpflichtet. Bis dahin wurde nach Missbrauch von Versicherungsleistungen nur auf Seiten der Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen gesucht. Jetzt aber werden auch die Daten von Patientinnen und Patienten in ein „Risiko- und Auffälligkeitsanalyse-Tool“ überführt und dort für unbestimmte Zeit gespeichert. Die Informationen umfassen alle Besuche in medizinischen Einrichtungen, die gesamte Medikamentenhistorie und alle sonstigen Behandlungen.

Ab 2020 dürfen E-Cards nur noch mit einem Foto ausgestellt werden. Deshalb erhalten die Sozialversicherungen Zugriff auf die Bilddatenbanken der Reisepass- und Führerschein-Behörde. Iwona Laub von der Grundrechts-NGO Epicenter.works kritisiert die hohen Kosten von über 32 Millionen Euro, sowie den sogenannten „mission creep“, der nämlich dann eintritt, wenn man Anwendungen über ihren eigentlich Zweck hinaus ausweitet. „Die Sozialversicherungen erhalten schleichend Zugriff auf alles, was es über einen Menschen gibt. Irgendwann muss Schluss sein.“

Iwona Laub

Iwona Laub

Iwona Laub von der Grundrechts-NGO Epicenter.works

Seit Anfang des Jahres 2019 müssen Wertkarten für Mobiltelefone und Tablets mit Ausweis registriert werden – anonyme Mobiltelefonnummern sind also nicht mehr erlaubt. Für bestehende Wertkarten gibt es eine Schonfrist bis 1. September – spätestens dann müssen auch sie unter Vorlage eines Ausweises registriert sein oder verlieren ihre Gültigkeit. Iwona Laub kritisiert die Registrierungspflicht: „Die Regierung hat behauptet, die Anonymität müsse weg, um Cyberkriminalität zu verhindern. Aber gerade in den Ländern, wo eine Registrierungspflicht schon länger existiert, gibt es keinerlei Hinweise, dass sie zu einer Verringerung von Cybercrime geführt hat.“

Die Registrierungspflicht für Mobiltelefonnummern sollte einhergehen mit dem sogenannten „Gesetz über Sorgfalt und Verantwortung im Netz“ – ein digitaler Ausweiszwang, den Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz auch als „digitales Vermummungsverbot“ bezeichnet hat. Auch hier steht das Verbot der anonymen Nutzung – in diesem Fall von Internetforen – im Mittelpunkt. Der Gesetzesentwurf befand sich im Mai - zum Zeitpunkt des Auseinanderbrechens der Koalition - noch in Begutachtung, wurde also noch nicht vom Parlament beschlossen.

Iwona Laub kritisiert, dass das Gesetz als Mittel zur Bekämpfung von Hassnachrichten angekündigt wurde, während es in Wirklichkeit darauf abziele, regierungskritische Medien und deren Diskussionsteilnehmer*innen als auch Forenbetreiber*innen mit hohen Nutzerzahlen an die kurze Leine zu nehmen: „Der Diskurs in der Öffentlichkeit soll klein gehalten werden.“ Die Umsetzung des Gesetzesentwurfs würde bedeuten, dass den Plattformbetreibern für strafrechtliche und privatrechtliche Rechtsdurchsetzung ein enormes Risiko umgehängt wird. Laub kritisiert die drakonischen Strafen, die verhängt werden können und die für kein Medium leistbar seien, sowie den Versuch, Risiken und Pflichten einzelnen Medien aufzubürden, von denen diverse Hass-Verbreitungsportale völlig unbetroffen blieben. Hingegen würden Angriffe wie etwa die Hasspostings gegen Sigi Maurer auf Facebook von dem Gesetz unberührt bleiben - denn diese wurden ohnehin bereits mit Klarnamen abgesetzt.

Noch nicht beschlossen, aber als Ministerratsentwurf in Begutachtung ist das Gesetz zur Einführung einer Digitalsteuer. Damit, meint Iwona Laub, habe die Regierung versucht, die vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür wiedereinzuführen. Bei der Auslieferung von Onlinewerbung sollen nämlich sieben Jahre lang alle IP-Adressen aufgehoben werden.

Netz Überwachung Symbolbild

CC0

Zu lax umgesetzt habe die frühere Regierung die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Sie ist seit 2018 in Kraft und setzt einen europaweiten hohen Datenschutzstandard fest. Die Datenschützerin kritisiert, dass Österreich die in der Verordnung festgelegten Strafen teilweise durch Verwarnungen ersetzt hat und internationale Konzerne mit groß angelegtem Datenmissbrauch in Österreich weiterhin ungeschoren davonkommen.

Übererfüllt wurde hingegen die EU-Richtlinie zur Fluggast-Datenspeicherung. Sie sieht eigentlich vor, dass Passagierdaten von Flügen in und aus Ländern außerhalb der EU nach dem Flug gespeichert und analysiert werden. In Österreich wird das sogar bei innereuropäischen Flügen gemacht, obwohl es nicht Teil der Richtlinie ist.

Ein neues Gesetz zur Betreuung Asylsuchender verpflichtet deren Rechtsberater*innen, Daten über Asylsuchende an eine neu geschaffene Behörde weiterzugeben.

Für viel Medienecho gesorgt hat der mittlerweile wieder ein bisschen in Vergessenheit geratene „AMS-Algorithmus“. Software unterteilt Arbeitssuchende in drei Kategorien, aufgrund derer zum Beispiel Frauen – insbesondere jene mit Kindern – hinsichtlich der Fördermöglichkeiten automatisch schlechter gestellt werden.

Und dann gibt es natürlich noch das Sicherheitspaket - von Epicenter.works auch Überwachungspaket genannt und 2018 mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ beschlossen. Es enthält eine Reihe von gesetzlichen Maßnahmen, unter anderem: Österreichweit verstärkte Videoüberwachung (seit März 2019), den Einsatz von IMSI-Catchern, verstärkte Überwachung im Straßenverkehr, eine neue Form der Vorratsdatenspeicherung, Einschränkungen des Briefgeheimnisses sowie den höchst umstrittenen Einsatz des sogenannten „Bundestrojaners“, also staatlicher Spionagesoftware: Behörden dürfen Viren und Trojaner auf unseren Smartphones und Computern installieren. Dazu ist derzeit eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof anhängig. „Warum unterliegt das nicht den gleichen Regeln wie eine ganz normale Hausdurchsuchung“, fragt Iwona Laub. Sie rechnet damit, dass der VfGH das Gesetz zumindest teilweise aufheben wird.

In ihrer weniger als zwei Jahre dauernden Regierungstätigkeit hat die türkis-blaue Koaltion eine geradezu erstaunliche Zahl an Überwachungsmaßnahmen eingeleitet. Sie werden uns noch viele Jahre lang beschäftigen.

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