Tsipras vor der „Nemesis“?
Von Chrissi Wilkens
Es ist ein normaler Sommertag am Syntagma Platz vor dem griechischen Parlament. Einheimische und Tourist*innen gehen in der Hitze herum. Es ist der Platz, wo seit Anfang der Krise vor zehn Jahren immer wieder Proteste stattgefunden haben, hauptsächlich gegen die von den Gläubigern angeordnete Sparpolitik, die alle Regierungen bis jetzt umgesetzt haben. Nun herrscht Ruhe. Nur ein paar Infostände von Parteien und wenige Plakate erinnern daran, dass am kommenden Sonntag, den 7. Juli, vorgezogene Wahlen stattfinden. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras hat dies nach der Niederlage seiner Partei SYRIZA bei der Europawahl und den Regional- und Kommunalwahlen Ende Mai entschieden.
Konservative vor Comeback?
Insgesamt treten zwanzig Parteien zur Wahl am Sonntag an, darunter neue Parteien wie die des früheren Finanzministers Yanis Varoufakis, MeRA25, sowie die rechtspopulistische Elliniki Lysi (Griechische Lösung). In den Umfragen führt die konservative Oppositionspartei Nea Dimokratia von Kyriakos Mitsotakis, die unter anderem Steuererleichterungen und hunderttausende Arbeitsplätze durch Investitionen verspricht.

Salinia Stroux
Alexandros, ein 45-jähriger Ladenbesitzer, steht deprimiert vor seinem leeren Geschäft. Er wünscht sich einen Regierungswechsel und hofft, dass die Konservativen die Unternehmer*innen unterstützen. „Tsipras hat versprochen, die Steuern zu senken. Wir haben keinen Unterschied gesehen, auch nicht im Markt. Wir bezahlen viel Geld, das wir nicht einmal verdienen. Es wird immer mehr von uns verlangt. Wir müssen Herrn Mitsotakis eine Chance geben, um zu sehen, was er machen wird. Wir haben keine andere Wahl“, sagt er.
Der Favorit für die Wahlen am Sonntag, der 51-jährige Kyriakos Mitsotakis, kommt aus einer der einflussreichsten Politikdynastien Griechenlands und seine Partei war maßgeblich für die Krise im Land verantwortlich. Trotzdem scheint es so, als ob die Griech*innen der Partei erneut das Vertrauen schenken wollen. Die Frage ist nun, ob es ihm gelingen wird, die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament zu erringen.

ARIS MESSINIS / AFP

Salinia Stroux
Laut aktuellen Umfragen hat Nea Dimokratia einen klaren Vorsprung von etwa 10 Prozent vor dem Regierungsbündnis SYRIZA von Ministerpräsident Alexis Tsipras. An dritter Stelle könnte sich Kinima Allagis (KiNal) (deutsch: Bewegung der Veränderung) etablieren, die aus der einst mächtigen sozialistischen Partei PASOK entstanden ist. An vierter Stelle folgt die Kommunistische Partei. Den Einzug ins Parlament könnte die Partei von Varoufakis schaffen, sowie die rechtspopulistische Elliniki Lysi. Knapp könnte es für die die Neonazis von Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) werden, deren Führung gerade vor Gericht steht.
Unsichere Prognosen
Es wird jedoch eine geringe Wahlbeteiligung erwartet, was die ohnehin schon schwierigen Vorhersagen der Meinungsforschungsinstitute noch unsicherer macht. Viele Griech*Innen werden gar nicht zur Urne gehen, entweder, weil sie auf Urlaub sind, oder, weil sie die Hoffnung verloren haben, wie der 23-jährige Dimitris. “Es ändert sich sowieso nichts. Im Allgemeinen glaube ich nicht, dass ein Politiker sich mit dem Wohl des Volkes befasst. Er kümmert sich mehr um sein eigenes Wohl und das Wohl seiner Bekannten, wie es halt in Griechenland der Fall ist“, sagt er.

Salinia Stroux
Auch Alexandra wird nicht wählen. Die 21-Jährige hat schon längst ihren Urlaub geplant und konnte die Reise nicht verschieben. Sie wünscht sich ebenfalls einen Regierungswechsel, obwohl ihr bewusst ist, dass Nea Dimokratia wahrscheinlich eine noch neoliberalere Politik umsetzen wird. Ihrer Meinung nach hat Tsipras Griechenland verraten, indem er in einen Kompromiss um die Namensfrage mit der Regierung in - jetzt - Nordmazedonien eingegangen ist. „Schlimmer kann es nicht werden. Das mit der Sparpolitik kann man ja verstehen, nicht aber, dass ein Premier sein Land verrät”, sagt sie.
Ein paar Meter weiter treffe ich Katerina, eine 35-jährige Privatangestellte, die für Tsipras stimmen will, weil er ihrer Meinung nach die ärmeren Schichten unterstützt hat, unter anderem mit Beihilfen. “Ich begegne armen Menschen, die mit dieser Regierung zufrieden sind. Ich bin bereit, ihm eine zweite Chance zu geben“, sagt sie.
Kostas, ein 39-jähriger Freiberufler hat sich entschieden, eine kleine Partei zu wählen. Er glaubt, dass egal, wer an die Macht ist, dazu gezwungen ist, den Forderungen der Gläubiger zu folgen, wenn das Land Teil der Eurozone und der EU bleiben will. “Ich habe das Gefühl, dass in den letzten Jahren ab 2010 eine Regierung der anderen nachfolgt, die jeweils nur ein Papier unterzeichnen muss. Und die heiße Kartoffel geht von der eine Partei zur nächsten“.

LOUISA GOULIAMAKI / AFP
Wunsch nach Konsens
Politikprofessor Seraphim Seferiades von der Universität Panteion in Athen findet, dass sich die griechische Politik gerade in einer Übergangsphase befindet. Die Griech*Innen wollen die jetzige Regierung wegen ihrer Politik und wegen der Versprechungen, die sie nicht erfüllt hat, bestrafen. Insbesondere die Haltung Tsipras’ nach dem Referendum im Juli 2015, wo die Mehrheit der Griech*nnen gegen die Sparpolitik gestimmt hat, hat viele Griech*innen verletzt.
“Es ist eine Forderung nach Nemesis, wie es im Altgriechischen heißt”, sagt er. Aufgrund der Apathie und der Enttäuschung der Bürger*innen bekommt Nea Dimokratia eine Chance, wieder an die Macht zu kommen. Auch für sie werde es schwierig sein, die Versprechen zu erfüllen, erklärt er: „Nea Dimokratia hat trotz ihrer Behauptungen keine Möglichkeit, die Probleme des Landes mit ihrem eigenen Programm zu lösen. Dies bedeutet, dass wir demnächst eine instabile Periode erleben werden. Allmählich werden neue soziale Widerstände stattfinden, und es wird erwartet, dass die Voraussetzungen geschaffen werden, um neue Alternativen zu gestalten“.
Falls Mitsotakis weder die absolute Mehrheit erreicht noch einen Koalitionspartner findet, gibt es wieder Neuwahlen in Griechenland, wahrscheinlich im Hochsommer. Auf der Straße trifft man immer wieder Menschen, die sich eine Zusammenarbeit zwischen den Parteien wünschen, zum Wohle Griechenlands. „Von den Politikern erwarte ich die Fähigkeit, einen Konsens über die vom Land benötigten langfristigen Pläne zu erzielen, d.h wir brauchen einen langfristigen Plan für die Bildungs- oder Sozialpolitik und auch für die Entwicklung des Landes. Wir brauchen Ziele, wir brauchen eine Vision. Dies erfordert eher einen Konsens als einen Kompromiss“, sagt Irini eine 40 jährige Lehrerin.
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Publiziert am 03.07.2019