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Küste der griechischen Insel Hydra

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Ein Sommerhit: Der Roman „Welch schöne Tiere wir sind“

Eine Entdeckung, die dem Cover entspricht: „Welche schöne Tiere wir sind“ von Lawrence Osborne ist einer der ultimativen Romane für diesen Sommer. Die Handlung flirrt wie die Luft in der Hitze auf der griechischen Insel Hydra. Eine Robinsonade, die zum Psychospiel wird.

Von Maria Motter

“Can’t make it to the beach? These novels will take you there”, betitelt die New York Times kürzlich eine Buchgeschichte. Und das sind exakt die zwei Sätze, die auf diesen Sommerhit zutreffen: „Welch schöne Tiere wir sind“ führt an steile Klippen, der Abgrund tut sich allerdings in und mit den Protagonist*innen auf.

Man schlägt diesen Roman des britischen Journalisten und Autors Lawrence Osborne auf und landet direkt auf der kleinen griechischen Insel Hydra, inmitten Reicher und Superreicher, in ihren Sommerresidenzen und ihrem Ennui. Alles, wirklich alles, was Osborne als Koordinaten für dieses Buch gewählt hat, könnte in grauenhaften Klischees und in Kitsch enden. Und allzu leicht könnte man im „komatösen Sonnenbad“ versinken wie die Ahnungslosen unter den Charakteren – doch „die Hitze störte alle Lebewesen auf“. Dabei interessiert sich Lawrence Osborne herzlich wenig für Tiere, als vielmehr für Menschen und deren Beziehungen. Mit Reisereportagen für The New Yorker und das Magazin der New York Times hat sich der Brite profiliert, er wird als Erbe Graham Greenes gehandelt und in jenen zwei Romanen, die in deutscher Übersetzung erschienen sind, steckt er Expats in Extremsituationen.

Cover "Welch schöne Tiere wir sind"

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Lawrence Osborne: „Welch schöne Tiere wir sind“ ist 2019 bei Piper erschienen. Übersetzt hat den Roman Stephan Kleiner, der bereits Hanya Yanagiharas Romane großartig ins Deutsche übertragen hat.

Lawrence Osborne verhandelt Macht und Schuld

Schon auf den ersten Seiten dringt eine Ungewissheit durch die atmosphärischen Beschreibungen und macht sich breit: Die Hitze mag die Menschen ermatten, doch mit Naomi ist hier ein einnehmender, unberechenbarer Charakter unterwegs. Naomi ist 24, Tochter einer Griechin und eines britischen Luftfahrtunternehmers und Kunstsammlers, doch nicht ganz freiwillig zurück in der Sommervilla bei Papa und der Stiefmutter. Ihre Anstellung als Anwältin ist sie los, weil sie in einem politisch brisanten Fall unorthodoxe Mittel zur Verteidigung eines türkischen Klienten anwandte. Es ist ein Detail, das klar macht, mit wem man es hier zu tun haben könnte.

In einer Bucht lernt Naomi die New Yorkerin Sam kennen. Sam ist Anfang zwanzig und urlaubt mit ihren Eltern auf der Insel. Naomi bietet sich als Guide und Sam mehr als die Zerstreute an, sie geriert sich als Kennerin von Land und Leuten. Lawrence Osborne setzt zu einer geschickten Doppelung an, als die jungen Frauen bei einem Yachtausflug auf einen gestrandeten jungen Syrer treffen.

Denn wie der Geflüchtete sind sie Fremde in Griechenland, aber ihnen spuckt der Bankomat auch mehrere hundert Euros aus. Es ist Naomis Vater, der sie vor allzu großem Engagement für den geflüchteten Unbekannten warnt. Sie wolle eine Samariterin sein: „der einfachste Beruf der Welt und perfekt für die nutzlose europäische Mittelklasse“. Es ist ein Dialog, der die Grenzen von Gesellschaft festmacht, der Denkweisen verhandelt, die Naomi unter „faschistisch“ führt und von denen sie zeitlebens profitierte.

Lawrence Osborne

Chris Wise / Piper Verlag

Der Autor Lawrence Osborne.

Die Leichtigkeit, mit der Macht und Verantwortung definiert werden, ist herausragend. Auf fast naive Weise wird Naomi eins und eins zusammenzählen: Hier die ungeliebte Stiefmutter, dort in den Bergen der versteckte Geflüchtete. “Sie begann, einen Gedanken zu entwickeln, der so radikal war, dass es für ihn keine andere Richtung gab als vorwärts.“ Naomis frühe Kindheit und der Tod ihrer Mutter liegen ebenso im Dunkeln wie sich die Figur des Gestrandeten vor allem aus den Projektionen der jungen Frauen formt.

Aus der Robinsonade wird ein Psychospiel

Superreichtum und Langeweile, die Wirtschaftskrise Griechenlands und die Flucht über das Mittelmeer – Lawrence Osborne gelingt es, die Gegenwart in Nebensätzen festzuhalten und betörend von der Schönheit des Sommers zu erzählen, während die Handlung gnadenlos ihren Lauf nimmt. Bald inszeniert sich Naomi als Anker in der Not und ist doch selbst erstaunt über den Einfluss, den sie über Sam und den Geflüchteten ausübt, und über deren widerstrebende Formbarkeit. Es wäre „ein Fall von Gravitation“, heißt es dazu und wie hier ein Schachzug nach dem anderen ausgespielt wird, macht den Roman zu einem Page-Turner, den man nicht aus der Hand legen will, bis man Gewissheit hat. So elegant wird hier von Verbrechen erzählt.

„Welch schöne Tiere wir sind, dachte Sam, schön wie Panther. Als sie bei den weißen Felsen am Wasser ankamen, sah sie im Vorübergehen zwei rote Flecken. Blut, schoss es ihr durch den Kopf. Sie blieb stehen und kniete sich hin, um es genauer zu betrachten, und mit einem Mal legte sich Verwunderung auf ihr Gesicht.“

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