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FM4 Im Viertel: 5/8erl in Ehr'n Wallensteinplatz

Florian Wörgötter

FM4 Im Viertel: Mit 5/8erl in Ehr’n am Wiener Wallensteinplatz

In der ersten Episode von FM4 Im Viertel führt die Wiener Soulband 5/8erl in Ehr’n über den Wiener Wallensteinplatz in der Brigittenau. Sänger Bobby Slivovsky und Pianist Clemens Wenger verraten beim Spaziergang, wo sie 20-Kilo-Melonen anschneiden, ihre Hosenträger maßanfertigen lassen und ob die Bobos schon angekommen sind. 

Von Florian Wörgötter

Die vier Herren von 5/8erl in Ehr’n samt Gitarristin sind bekannt als Wiener-Schmäh-Wuchteln in Hosenträgern. Für ihre soulige Neuinterpretation des Wiener Liedes und ihre politisch-gewitzten Texte wurde die Band schon vierfach mit dem Amadeus-Music Award in der Sparte World/Jazz/Blues ausgezeichnet.

FM4 Im Viertel: Eine Reportagereihe

In der neuen Radioreihe FM4 Im Viertel spaziert Florian Wörgötter mit österreichischen Musiker*innen durch ihr Wohnviertel. Beim Flanieren durch spannende Gegenden erfahren wir, wie die Künstler leben, wie ihr Viertel klingt und wie sich dieser Sound in ihrer Musik wiederfindet.

Die Idee zur Sendung entstand bei einer Grätzltour mit dem Wiener Rapper Monobrother durch das Stuwerviertel in Wien Leopoldstadt. Den offiziellen Auftakt der Radio-Reihe machen nun die Wiener Soulband 5/8erl in Ehr’n, die uns das neue Zentrum ihres Bandlebens zeigen: den Wallensteinplatz in der Brigittenau, Wien 1200.

Heute empfangen mich Pianist Clemens Wenger, Hausherr seit 19 Jahren, und Sänger Bobby „Slivo“ Slivovsky, Ex-Brigittenauer, am Wallensteinplatz. Anfang der Nullerjahre wurde der Platz mit EU-Geldern als Ruhepol des Verkehrsknotenpunkts installiert. Die Wasserfontänen plätschern vor sich hin, der Wind weht zügiger als in der Innenstadt und der Würstelstand verkauft nach einem gescheiterten Experiment mit Veggie-Würsteln wieder Fleisch.

FM4 Im Viertel: 5/8erl in Ehr'n Wallensteinplatz

Florian Wörgötter

Willkommen auf der Ferieninsel

Vor kurzem noch probten die 5/8erl in Ehr’n am Yppenplatz im 16. Wiener Gemeindebezirk. Eigenen Aussagen zufolge ist ihnen das Pflaster dort zu heiß geworden, weshalb sie samt Studio und Proberaum hierher an den gemütlichen Stadtrand gezogen sind. „Alles entspannt hier auf der Ferieninsel der Friedlichen“, sagt Slivo und schleckt sein Himbeer-Eis vom unechten Italiener.

Hier zwischen Donaukanal, Augarten und Neuer Donau entsteht auch gerade ihr neues Album, das wir im Frühjahr 2020 erwarten dürfen. „Siaße Tschick“ darf im neuen Proberaum aber nicht mehr geraucht werden. „Wir komponieren täglich acht Stunden Musik, müssen aber den Großteil rausschneiden, weil so viele Raucherhusten drauf sind“, scherzt Clemens Wenger, der Mann an den Tasten des Wurlitzer und Akkordeons. Schon nach den ersten Gags wird klar: Der Schmäh spaziert heute mit.

FM4 Im Viertel: 5/8erl in Ehr'n Wallensteinplatz

Florian Wörgötter

Wir starten die Tour mit einem Besuch bei der „Brigittenauerin des Jahres“, der Köchin von Chang Thai Curry. „Das beste Pad Thai auf der Insel“, meint Clemens. „Sie bestellen, wir kochen mit Liebe“, erwidert die freundliche Köchin und erklärt, dass der Name „Chang“ für den Elefanten steht, der in Thailand das Königshaus und auch das bekannte Bier ziert.

Jogginghose und Hemd

„Das schöne hier am Wallensteinplatz: Man sieht auch in Jogginghose und Hemd völlig normal aus“, so Slivo. Im vergitterten Schaufenster bewundern wir eine hellrote Camouflage-Steppjacke, kombiniert mit schwarzer Lederhose, kunstvoll dekoriert mit Sonnenblumen. „Für unsere Band ist das eher nix, aber ich vermute, die Bilderbuch kaufen hier ein“.

5/8erl in Ehr'n am Wallensteinplatz

Florian Wörgötter

Die 5/8erl hingegen lassen sich ein paar Straßen weiter exklusiv von „Gürtel Mode“ mit Hosenträgern ausstatten. „Das Leiwandste ist, man kann sich die Hosenträger in der Länge anpassen lassen“, sagt Slivo. „Nicht schlecht, wennst an Bauch hast.“

Lambo im Gemeindebau

Am Weg zum Hannovermarkt passieren wir einen Swinger Club, aus dessen begrünter Hausfassade zwei Bäume im rechten Winkel wachsen, und eine Peepshow mit neun Video-Räumen, die Paare kostenlos besuchen dürfen.

Vorm Gemeindebau bleiben wir aus gleich zwei Gründen hängen: Die Grünen haben sich hier in einem Schaufenster eingemietet, gleich groß wie jenes von Questo Mondo. „Wusste gar nicht, dass die Partei im 20. Bezirk existiert“, wundert sich Clemens. „Die sind Untermieter bei den Roten“, meint Slivo. Als davor ein junger Herr aus seinem Lamborghini mit blauer Nummerntafel [Wortlaut: Lambordschini] steigt und in den Gemeindebau geht, lautes Gelächter: „Der Bezirksvorsteher der Grünen?“

5/8erl in Ehrn vor Sportwagen

Florian Wörgötter

Clemens erinnert sich an das traditionelle Wahlsonntagsmenü des ehemaligen Restaurants Hermi (heute ein Ms. Sporty-Fitnesscenter): ein Schweinsbraten (meist ein Frustessen). Und an den sogenannten Ibiza-Tag, als die FPÖ Brigittenau ein riesengroßes Fest veranstaltet hat (versehentlich?) und die Coverband drei mal den Song „Bad Day“ spielte.

Für die Statistiker: Bei den Bürgermeisterwahlen 2015 wählten 41% der Brigittenauer die SPÖ, 30% die FPÖ und 13,3% die Grünen.

Baby, schneid’ die Melone an

Am Hannovermarkt, bekannt aus der Komödie „Die Migrantigen“, erleben wir die multikulturelle Vielfalt des Grätzls. „Hundert Prozent World Music", beschreibt Clemens den Sound des Ecks. "Wie früher zur guten alten Zeit. Hier ist das Leben noch in Ordnung“.

Ein Marktverkäufer macht uns in gebrochenem Deutsch seine Wassermelonen schmackhaft. Was kostet eine Melone? „Ein Kilo 1,20 Euro. Schmeckt süß“. Und was wiegt eine Melone? „10 Kilo, 15 Kilo, 20 Kilo“. „20 Kilo?! Na eh.“ Für Slivo, den Gewichtheber der Band, sind Melonen bis 165 Kilo überhaupt kein Problem.

FM4 Im Viertel: 5/8erl in Ehr'n Wallensteinplatz

Florian Wörgötter

Neben dem Café Brasil, dem Inder Abu Elabed und der Bäckerei Gül spiegle vor allem das Café Adabei das bunte Kaleidoskop der Brigittenau. „Hier verkehrt das Who is Who des Hannovermarkts", erklärt Slivo. "Du kannst hier auch wirklich großartig saufen. Und wennst um vier Uhr früh hungrig bist, kriegst ein frisches Gulasch – aus der Dose.“ Die Hipsteria habe ihre Glamping-Zelte am Hannovermarkt bislang noch nicht aufgestellt. Noch nicht.

Wo bleiben die Bobos?

Immer wieder wird gemunkelt, das Grätzl um den Wallensteinplatz hätte das Zeug zum Next-Big-Bobo-Thing. Stimmt das? Clemens sagt: „Es gibt erste Anzeichen wie die ‚Wohnküche‘, ich bin mir aber nicht sicher, ob das mit dem Bobo-Viertel hier was wird“. Slivo meint: „Das würde die Margit vom Café Frame, unserem Stammbeisl, niemals zulassen. In Margit wie trust“.

5/8erl in Ehr'n am Wallensteinplatz

Florian Wörgötter

Doch sind die beiden Herren, die sich im Song „Geh bitte Bobo“ herrlich über die Klischees der Bourgeois Bohémien amüsieren, nicht selbst Bobos? „Ich glaube schon, ja“, gesteht Clemens, der gutes Essen mag, sich modisch einkleidet, den Konsum liebt, aber auch über das alles schimpfen möchte. „Wir sind Teil des Problems: Wir sind Opfer und Täter. Doch wenigstens kann ich mit der Ambivalenz leben“, schmunzelt er. „Ich bin eher das Opfer“, ergänzt Slivo. „Der Clemens ist der Täter.“

Doch inwieweit führen Immobilienspekulation auch hier bereits zu höheren Mieten? Die Nähe zum Augarten würde die Gentrifizierung durchaus vorantreiben, was sich an den wachsenden Dachausbauten zeigt. „Hoffentlich hören die Vermieter ein bisserl auf ihr Gewissen, dass sie nicht alles verkaufen, um große Profite zu machen“, wünscht sich Clemens.

Can I kick it? Yes we does

Einst hat die Liebe den Sänger Slivo ins Grätzl gezogen – und nach fünf Jahren wieder verabschiedet. Wenn der Neo-Gersthofer zurückschaut, erinnert er sich an lange Nächte im einstigen Shelter, an die After-Partys des Derby of Loves, dem freundschaftlichen Fußballmatch zwischen Wiener Sport-Club und First Vienna FC 1894. Oder als er selbst als Wiener Sängerknabe mit seinen Kollegen im benachbarten Augarten Bankerl-Matches gekickt hat.

FM4 Im Viertel: 5/8erl in Ehr'n Wallensteinplatz

Florian Wörgötter

„Wenn jemals Altersheim, dann hier im Augarten. Wenn du dich hier verläufst, bist du schön im Grünen.“ 
Was Slivo als Sängerknabe abseits des Singens und Kickens noch gelernt hat: „Überheblichkeit und in großen Räumen schnarchend gemeinsam zu übernachten“. Ob ein Sängerknabe in der Band eine sichere Bank ist? „Der Robert trifft Töne wie die italienische Verteidigung – da geht nix daneben.“

Auf die gute alte Zeit fordern die beiden ein paar Burschen zum Barfuß-Match im Käfig am Gaußplatz, dem eigenwilligsten Kreisverkehr Wiens. Die Gegner sind gleich alt wie Slivos Sängerknaben-Kollegen damals. Die Taktik: Clemens hütet das Tor, Slivo staubt ab wie Toni Polster. Das Resultat: Die 5/8erl besiegen die drei Halben 1:0. Wenn das Alaba gesehen hätte.

FM4 Im Viertel: 5/8erl in Ehr'n Wallensteinplatz

Florian Wörgötter

Zum Ende noch ein Aufruf: Wer das Shelter neu übernimmt wird, hat die 5/8erl in Ehr’n als Stammkunden gewonnen. „Wir können nur nicht versprechen, dass wir auch wieder nach hause gehen.“

Episode 2 von FM4 Im Viertel erscheint in 14 Tagen.

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