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CC0 via pixabay.com

Szczepan Twardoch - literarischer Chauvinismus aus Polen

In seinem Tagebuch „Wale und Nachtfalter“ lässt uns der polnische Erfolgsautor an seinen Gedanken teilhaben. Ein großes Unglück.

Von Christian Pausch

Im Zug von Gdánsk nach Wien, saß mir unlängst ein Mann gegenüber, der einen Roman von Szczepan Twardoch auf polnisch las, während ich eine neu erschienene Übersetzung des selben Schriftstellers vor mir hatte. Wir beide mussten schmunzeln aufgrund des Zufalls und das obwohl dieser Zufall derzeit wahrscheinlich gar nicht mal so selten eintritt, denn Szczepan Twardoch ist immerhin der meistgelesenste Autor in Polen.

BUchcover "Wale und Nachtfalter"

Rowohlt Berlin

„Wale und Nachtfaler“ ist in der Übersetzung von Olaf Kühl bei rowohlt Berlin erschienen.

„Wale und Nachtfalter“ heißt das Buch, das ich auf dieser fast 10-stündigen Zugfahrt durch Polen lesen wollte. Unter „Wieloryby i ćmy“ ist es bereits 2015 auf polnisch erschienen und hat nun im Deutschen den Untertitel „Tagebuch vom Leben und Reisen“ bekommen. Doch es sind nicht nur Lebens- und Reiseberichte, die dieses Buch dominieren, sondern vor allem die Weltanschauung des Autors, die fast in jedem Absatz durchscheint, wenn nicht sogar eindeutig zum Vorschein tritt. Konservativ ist noch zu milde ausgedrückt, so viel sei an dieser Stelle schon mal verraten.

Abwesende Frauen und „Männlichkeitskitsch“

Szczepan Twardoch fährt mit seinem Auto durch die Natur, hört dabei Rammstein und Jamiroquai und erzählt uns von seinem qualvollen Leben als Schriftsteller. Die Mystifizierung des ach so gequälten, weißen, priviligierten Mannes, der schreiben muss, um zu leben. Das ist nichts Neues in der Literatur und spätestens seit Hemmingway, Handke, Kafka und Co. auch nicht mehr modern. Selbst dieser Zugang zu seinem Tagebuch ist also konservativ.

„Ich habe das ‚Ewige Tannenberg‘ abgeschlossen, und mir ist klargeworden, dass kein Buch mich bislang so viel gekostet hat: als hätte ich mich auf den Seiten ausgewrungen. Als wäre ich in die Datei gesickert und als wären in mir schreckliche, leere Löcher geblieben.“

Die schrecklichen Löcher bleiben allerdings bei uns Leser*innen, wenn er - ganz im Sinne der polnischen Regierung - gegen Abtreibung anschreibt und das grausame Wort „Ausschabung“ verwendet. Man windet sich beim Frauenbild des Autors, wenn die einzige wiederkehrende Frauenfigur nur auf ihr Äußeres reduziert wird und er Frauen mit schauderhaften Bildern beschreibt, wie: „geschniegelte Blondine mit der Aura eines wollüstigen Hamsterweibchens“.

Das - und dies soll nicht unerwähnt bleiben - sind aber die Stellen in denen Frauen überhaupt vorkommen. Bei der Erziehung seines Sohnes zum Beispiel, stellt er sich als Vater-Figur alleinig in den Vordergrund, die Mutter des Kindes wird verschwiegen, aber so laut, dass man sich sicher sein kann, sie allein ist zuständig für Windeln wechseln und Brei anrühren. Denn wenn Twardoch über sich als Vater schreibt, geht es um bedeutungsschwangere Dinge wie das Weitergeben von Traditionen, von Lebensweisheiten, von „Männlichkeitskitsch“, wie es in der SZ so schön heißt.

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Das Unglück Polens

Eine erzkonservative Regierung und einen Nationalautor zu haben, der eine sehr ähnliche Meinung vertritt, ist keine gute Kombination und ein Unglück für das ganze Land. Die Literaturkritik muss mit wachen Augen nach Polen schauen und die Schriftsteller*innen finden, denen es vielleicht nicht so leicht gemacht wird, ihre Werke zu veröffentlichen, weil sich darin womöglich regierungskritische Ansichten finden lassen. Die regierende PiS-Partei hat nicht nur bei den polnischen Medien ihre Finger im Spiel, auch die Literatur könnte betroffen sein, denn auch sie ist höchst politisch.

Es gibt sie die linken, queeren, humanistischen, andersdenkenden Stimmen in der jungen polnischen Literatur. Und sie werden einem Autor wie Szczepan Twardoch das Feld nicht kampflos überlassen. Es ist die Aufgabe des Feuilletons sie dabei zu unterstützen.

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