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Buchcover mit Grafik: Frau mit Kopftuch und geflochtenem Zopf

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„Der Zopf meiner Großmutter“ ist eine tragikomische Lesefreude

Alina Bronskys soeben erschienener neuer Roman, „Der Zopf meiner Großmutter“, spielt in den 90er Jahren bei russischen Flüchtlingen in einer deutschen Kleinstadt: Oma, Opa und Enkel Maxim.

Von Gerlinde Lang

Die Berliner Autorin Alina Bronsky hat vor dem Hintergrund, dass sie selbst als Kind in den 90er Jahren von Russland nach Deutschland ausgewandert ist, schon viele lustig-traurige Bücher verfasst: „Scherbenpark“, „Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche“, und „Baba Dunjas letzte Liebe“.

Ihr neuer Roman, „Der Zopf meiner Großmutter“, hat alles, was eine richtige russische Saga von Format braucht: Es spielen fast nur Russen mit, es wimmelt vor Übertreibungen, es gibt eine Tat, die das Gewissen schwer belastet und viele typisch russische Zweitnamen, die auf -witsch enden. Wie den des Opas Tschingis Tschingisowitsch, der eine folgenschwere Affäre anfängt mit Maxims Klavierlehrerin.

Alina Bronsky

Julia Zimmermann

Alina Bronsky

„Ich kann mich genau an den Moment erinnern, als mein Großvater sich verliebte. (...) Ich ahnte, dass die Großmutter nichts davon mitkriegen sollte. Sie hatte schon bei geringeren Anlässen gedroht, ihn umzubringen, zum Beispiel, wenn er beim Abendessen das Brot zerkrümelte.“

Erst glaubt man, Ich-Erzähler Maxim sei die Hauptperson. Schließlich rotiert seine Oma mit dem hennaroten Zopf dauernd um den sechsjährigen Buben, ständig desinfiziert sie ihn, kocht ihm Brei und hat Zweifel, dass aus dem armen Waisenkind jemals was Vernünftiges wird. Autorin Alina Bronsky schreibt Dialoge, die Spaß machen und ständig lässt sie die zentrale Figur der Oma hin- und herschillern zwischen sympathisch und unsympathisch.

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„Der Zopf meiner Großmutter“ von Alina Bronsky ist bei Kiepenheuer und Witsch erschienen.

„Am Tag des Sommer-(Schul)festes stand die Großmutter um fünf Uhr auf. Nach der üblichen Morgentoilette desinfizierte sie sich die Hände und steckte eine Sprayflasche und Feuchttücher in die Tasche. Sie ließ ungesalzenen Reisbrei für mich auf dem Tisch stehen(...). Der Großvater hatte außerdem die Aufgabe, mich die ganze Zeit zu bewachen und beim kleinsten Anzeichen von Gefahr über den Zaun des Schulgeländes zu werfen. Großveranstaltungen waren in den Augen meiner Großmutter ähnlich riskant wie Grippeepidemien. Aber sie war moralisch zu geschwächt, um sich auch noch darüber mit Deutschland zu streiten: ‚Faschisten, was soll man von ihnen erwarten.‘“

Auch eine so allmächtige Oma tut sich ziemlich schwer mit der neuen Heimat Deutschland, wie Bronsky mit einem Zwinkern durchschimmern lässt. Und mehr noch: Die Oma hat ein eigenes Vorleben.

„Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie die Großmutter erst die Jacke, dann die Hose ihres Trainingsanzugs auf den Stuhl warf und sich in etwas zwängte, das wie ein Badeanzug aussah (...). Sie drehte sich um die eigene Achse, drückte den Rücken durch, hob die Arme. (...) Nun senkte ich den Blick auf ihre Füße und verschluckte mich. Die Großmutter stand auf ihrem großen Zeh.“

Wo ist Maxims Mutter? Ist der „rote Jude“, mit dem die Oma Maxim Angst einjagt, wirklich hinter ihm her? Alina Bronskys verzwickte Geschichte dieser etwas verrückten Patchworkfamilie ist eine tragikomische Lesefreude.

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