FM4 Sonic Essay: Primal Scream - „Screamadelica“

Sonic Essay ist eine Mischform aus Mixtape und Radiodoku, in der der Berliner DJ und Produzent Daniel Haaksman die Entstehungsgeschichte legendärer Alben erzählt. Für FM4 hat er sich diesen Sommer sieben weitere Alben vorgenommen, die Musikgeschichte geschrieben haben. Heute: „Screamadelica“ von Primal Scream.

Von Natalie Brunner

Der Sommer 1991 geht los mit einem Kokettieren mit den Spätfolgen des zweiten Summer of Love. Im Jahre 1988 bis 1989 veränderte eine Substanz, die wir heute unter den Namen MDMA, Molly oder XTC kennen, die Spaß-, Arbeits- und Feiergewohnheiten von Tausenden jungen Menschen zuerst in Großbritannien und in weiterer Folge auch global. Viel von dem, was heute unter dem schwammigen Begriff Clubkultur gehandelt wird, entstand damals, als der pharmazeutische Wirbelsturm der Euphorie über das United Kingdom fegte und auch den damals 27-jährigen Bobby Gillespie mit sich riss.

Bobby Gillespie hatte in den frühen 80er Jahren bei The Jesus and Mary Chain Schlagzeug gespielt. Bereits 1986 trat er zum letzten Mal mit ihnen auf, um von da an seinen gesamten Impetus seiner im Jahr davor gegründeten Band Primal Scream zu widmen. Nach zwei Alben mit Achtungserfolgen und wohlwollenden Reviews kam der mit Gillespie befreundete DJ und Produzent Andrew Weatherall als sonischer Katalysator ins Spiel. Der Chef ihres Labels Creation Records, Alan McGee, hatte die Band zu Acid-House-Partys mitgenommen und ihnen Weatherall als einen der Pioniere vorgestellt. Primal Scream baten ihn um einen Remix des Songs „I’m Losing More Than I’ll Ever Have“.

Weatherall lieferte etwas ab, das die Band völlig begeisterte. Er hatte die Nummer mit einem Filmsample aus dem B -Movie „Wild Angels“ mit Peter Fonda versehen, hatte ein Drum Loop hinzugefügt, das er aus einem Bootleg der Singer-Songwriterin Eddie Brickell herausgeschnitten hatte, ließ Gillespie einen Text der Blues-Legende Robert Johnson singen und sparte vor allem nicht mit Echos.

Der Remix von „I’m Losing More Than I’ll Ever Have“ mutierte zur neuen Nummer Loaded und ebnete die Zusammenarbeit von Primal Scream und Andrew Weatherall für das Album „Screamadelica“, das als eine bis heute nachhallende Spätfolge des Summers of Love die Hörer*innen in seinen Bann zieht, Indie Kids zum Raven brachte, Euphorie und Melancholie über uns ergießt und auch fast 30 Jahre nach seinem Erscheinen eine 60-minütige Reise ist, auf die man immer wieder gerne geht.