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Spokaoke bei ImPulsTanz

yako.one / Annie Dorsen / ImPulsTanz

impulstanz

Freedom Of Speech

Bei ImPulsTanz kann man derzeit Spokaoke ausprobieren: Wie Karaoke, nur mit berühmten Reden statt Songs. Eine spannende Idee, die aber noch ausbaufähig ist.

Von Christian Pausch

Spokaoke - so nennt die amerikanische Regisseurin und Autorin Annie Dorsen ihre Veranstaltung bei Impulstanz. Es ist ein Wortspiel aus „spoken“ und „Karaoke“. Hier wird also nicht gesungen, sondern gesprochen, aber genauso, wie man das vom Karaoke kennt, nämlich abgelesen vom Bildschirm.

Dorsen ist die Kuratorin des Abends: Über neunzig Reden legt sie uns mit jeweiligem Titel und Redner*innen-Name vor. Man schreibt den eigenen Namen und die ausgewählte Rede auf einen Zettel und reicht ihn der Künstlerin, die dann vor einem Laptop in der Ecke sitzend auch die Reihenfolge kuratiert.

Doch schon die Auswahl der Reden irritiert auf den ersten und auch auf den zweiten Blick: zu viele Männer, kaum Frauen und dann auch noch Männer wie Ronald Reagan, Donald Trump, Muammar al-Gaddafi oder Osama bin Laden. Hier liegt auch schon der grundlegende Unterschied zum Karaoke: Gute Laune ist bei Spokaoke anscheinend kein Faktor.

Spokaoke bei ImPulsTanz

yako.one / Annie Dorsen / ImPulsTanz

„I have sinned“ - Bill Clinton

Gleich die erste Rede, die geschwungen wird, ist „Blood and Iron“ von Otto von Bismarck. Für viele im Raum eine ungewöhnliche Wahl, doch genau das macht es ja spannend: Wer wird welche Rede auswählen und warum? „Ich komme aus einer Metall-Techniker-Familie“, sagt mir die Teilnehmerin später lachend, „darum fand ich den Titel ansprechend.“

Ob man die Rede performt, oder nur vorträgt, bleibt den Teilnehmer*innen übrigens freigestellt. Wie bei Karaoke gilt auch hier: Kurz und poppig zieht mehr als langwierig und dramatisch. Die Rede von Alicia Silverstone als Cher im Film „Clueless“ wird zu einem ersten Highlight des Abends, da kann man mitlachen und sich entspannen. So auch bei Bill Clinton, der uns nach seiner Affäre davon überzeugen will, dass daraus auch Gutes für die USA und seine Familie entstehen könnte. Gejohle im Publikum.

„You’ve got to give them hope“ - Harvey Milk

Doch während einem bei Harvey Milk die Tränen in die Augen steigen und bei Mahatma Gandhi alle andächtig lauschen, ist es die Rede von Joseph Goebbels, die dem Abend einen mehr als unangenehmen Beigeschmack verleiht. Man muss hier zwei Fragen stellen, nämlich warum man diese Rede performen möchte und warum diese Rede überhaupt in den Spokaoke-Katalog mitaufgenommen wurde.

Theater und Performance soll natürlich kein Wohlfühltempel sein, hier kann und soll sich mit Geschichte auseinandergesetzt werden, hier kann Unangenehmes und Unaussprechbares besprochen werden. Aber wenn Worte einfach so in den Raum schallen, und das Publikum selbst performt, ohne sichtbaren Rahmen, dann wird es schnell real und das Performative rückt in weite Ferne. Das Vertrauen in die Kuratorin Annie Dorsen beginnt spätestens in diesem Moment zu bröckeln und sie bleibt uns bis zum Ende jeglichen Kontext schuldig.

„Ain’t I a woman?“ - Sojourner Truth

Spokaoke hat als Idee großes Potential, denn es gibt sie die schönen und ermutigenden Reden, die auch ohne Kontext funktionieren: Von Klima-Aktivistin Greta Thunberg, von Feministin Sojourner Truth, bis hin zur politischen Aktivistin Abbie Hoffman, die in ihrer „Yippie Workshop Speech“ aus 1968 die besten und dramatischsten Tipps für Revolutionär*innen gibt.

Am Donnerstag, 18.07.2019, findet Spokaoke noch einmal statt: um 20:30 Uhr im Leopold Museum.

Doch der Funke mag nicht mehr überspringen an diesem Abend im Vestibül des Wiener Burgtheaters. Anders als bei Karaoke kann man bei Reden nicht mitgröhlen und den*die Vortragende*n zu gleichen Teilen nerven und unterstützen. Die Reden sind entweder zu unbekannt oder zu delikat, um es versöhnlich auszudrücken. Es kommt kein echtes Gemeinschaftsgefühl auf, wie man es aus der Karaoke-Booth kennt.

Dass hier „historische Dringlichkeiten und Anliegen (...) auf unvorhersehbare und unerwartete Weise aufeinandertreffen“, wie es im Programmheft heißt, stimmt wohl, aber welcher Zweck damit verfolgt wird, bleibt unklar.

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