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Screenshots aus The Lion King

Disney Pictures

Mein erstes Mal „The Lion King“: Nur „friend or food“ ist gut gealtert

Auch diesen Sommer stellen sich Filmredakteurinnen endlich jenen berühmten oder vieldiskutierten Streifen, die sie bislang immer verpasst haben. Heute am Programm: „The Lion King“ von 1994, den FM4-Catlady Alexandra Augustin noch immer nicht gesehen hat, trotz großer Katzenliebe.

Von Alexandra Augustin

„Was? Du hast König der Löwen noch nie gesehen?“

FM4-Kollegin Lisa T. ist entsetzt. Nein, ich hab den Film noch nie gesehen. Dafür Alien, die Gremlins und Friedhof der Kuscheltiere. Letzteren sogar über 20 Mal. Der Film rund um ein süßes kleines Löwenbaby erschien mir im Kontrast dazu immer viel zu kitschig und berechenbar. Ein Hybrid aus Bambi und Hamlet, sozusagen ein „Bramlet“, geformt nach den Regeln der griechischen Tragödie.

In der FM4 Sommerserie „Das erste Mal“ stellen sich Redakteur*innen jenen berühmten Streifen, die sie bislang immer verpasst haben.

Man weiß eigentlich eh schon, wie alles ausgeht. Viele werden sterben. Die Welt ist schlecht. Aber (vermenschlichte) Löwen sind auch nur größere Hauskatzen. Katzen sind die besseren Menschen. Immerhin hat das Bramlet, entstanden zur Zeit der Disney Renaissance, bisher fast eine Milliarde US-Dollar eingespielt. Internetfilmanbieter, nimm mein Geld! Bring mich mit deinen Babykatzen zum Weinen!

Die Story ist flink erzählt (Achtung! Äh, Spoiler!):

Löwenkönig Mufasa herrscht über das afrikanische Tierreich, die Pride Lands. Er und Löwendame Sarabi haben Stress mit ihrem halbstarken Sohn Simba und außerdem mit dem launischen Löwenonkel Scar. Klein-Simba soll eines Tages König werden. Onkel Scar ist nicht entzückt. Zu wenig gefressen, kein Love Interest in Sicht: Der drahtige Onkel mit dem irren Blick und der wallenden Mähne wie einst bei 90s-Ikone Cher ist einfach nicht ganz sauber. Außerdem nervt ihn diese heteronormative, glückliche Familie tierisch.

Bei der nächsten Gelegenheit wirft der Onkel seinen herrschenden Bruder über die Klippen und redet dem Löwenkind - wie bei einer schlechten Scheidung - ein, es sei am Vatertod schuld. Der böse Onkel reißt mit einer Heerschar dunkler Hyänen das Imperium an sich. Ab nun wird hier autokratisch und passiv-aggressiv regiert!

Der durchtriebene Scar chillt in Frank-N-Furter-Manier gemütlich auf der Couch. Das Paradies geht den Bach runter. Das Löwenbaby findet sich mit dem ausgestoßenen Erdmännchen Timon und dem bodyshaming-gewohnten Warzenschwein Pumbaa zusammen. Das karnivore Löwenbaby mutiert zum slackerhaften Teenie und wird Flexitarier („Würmer! Glitschig, aber nahrhaft!“).

Löwenbaby wächst trotzdem stattlich heran. Es kehrt zurück und es hagelt Watschen für den Löwenonkel, der den Hyänen zum Fraß vorgeworfen wird. Dann werden Nägel mit Köpfen gemacht und die Jugendliebe geheiratet. Ein neues Löwenbaby erblickt das Licht der Welt. Große Gefühle, viele Krokodilstränen.

Screenshots aus The Lion King

Disney Pictures

The dark side of the Disney kingdom

Es ist aber auch eine düstere Geschichte. The Lion King war der erste Disneyfilm überhaupt, in dem ein Protagonist einen anderen sichtbar gemeuchelt hat. Unter der Oberfläche der farbenfrohen Flora und Fauna brodelt der Kampf zwischen Gut und Böse: Liebe, Freundschaft, Familie, Neid und Verrat. Dazu der fleischfressende Lebensstil frech erklärt: Klar essen wir Tiere! Überhaupt haben sich hier alle zum Fressen gern. Kein Film für Veganer.

Dazu überlebensgroße Vaterfiguren, die dahinsiechen oder gar nicht existieren. Das hat Tradition: Die Walt Disney Company ist zur Zeit der großen Weltwirtschaftskrise in den 1920er Jahren entstanden. Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs ist das Unternehmen mit Filmen wie Bambi, Pinocchio und Schneewittchen aufgeblüht. Disney hat es immer schon verstanden, in tierischen Familienaufstellungen und eskapistischen Filmmomenten kollektive Traumata zu verarbeiten. Der abwesende Vater. Der tote Vater. Der vom Thron gestürzte Katzenkönig, eiskalt ersetzt: Auch nur ein Mensch.

Filmtalk Podcast Bild

Radio FM4

Christian Fuchs und Natalie Brunner im FM4 Filmtalk Podcast über „The Lion King“ und das Disney-Trauma beim Tod eines Film-Elternteils

Die Idealisierung einer bedingungslosen Liebe zu den Eltern wird in Disneyfilmen zelebriert. Auch für diejenigen, die im echten Leben zu kurz gekommen sind.

Auch die Allegorien auf die nahende Adoleszenz, wie man sie auch im Dschungelbuch und Arielle findet, sind Standard in der Disneyfabrik: Die Protagonist*innen verirren sich und sind auf sich allein gestellt. Der Weg raus aus dem Irrgarten der Pubertät muss gefunden werden. Disneyfilme, oft ganz klassische Coming-of-Age Dramen, sollen den kindlichen Zuschauer*innen Trost und einen Vorgeschmack auf die Früchte des Lebens bieten: Die erste große Liebe, hormongeschwängertes Herumtollen, Hochzeit, Brutpflege und dazu natürlich Boden wischen, putzen und Steuern zahlen.

„Life’s great adventure is finding your place in the circle of life“, right?

Can you feel the sex (-ism) & queerness tonight?

Aber auch Klischees und Stereotypen fallen im Film auf. Der eitle Löwenonkel hat zwar eine auffallend gepflegte Löwenmähne und schicke Krallen, muss aber ohne Partnerin im finsteren Exil hausen. In einem musikalischen Mix aus Transvestit in der Rocky Horror Picture Show und David Bowie in Labyrinth erhebt er seine Stimme. Bald werden die Pride Lands ihm gehören! Mein Gaydar schlägt an.

Sexuelle Diversität spielt in diesem Disneyfilm, wie natürlich allgemein im Hollywood der 1990er Jahre, eine verkürzte und verzerrte Rolle. Homosexuelle Protagonist*innen fanden in den 1990ern erstmals auf den großen Leinwänden und im Mainstream Platz. Aber noch nicht auf Augenhöhe, sondern eigenwillig ausgeschildert: Entweder böse, asexuell, verrückt, in der Opferrolle oder in Faschingsoutfits gepackt.

Wasserhexe Ursula aus „Arielle“ ist ebenso ein Beispiel: Dick, hedonistisch, laut, ungezügelt, aufreizend gekleidet: Sie gilt heute als Gay Icon, was wohl auch an ihrer Ähnlichkeit mit dem queeren Role Model „Divine“ liegt. Die latent homosexuellen Trickfilmwesen sind bei Disney mit einer düsteren, abgeklärten Aura umgeben und leben in Abgeschiedenheit. Nur nicht in den dunklen Wald verlaufen, wo die wilden Kerle wohnen. Noch so ein Fall: Erdmännchen und Warzenschwein müssen in „The Lion King“ als Drag Queens herhalten. Aber klar doch, LGBTQI-Menschen singen und tanzen den ganzen Tag.

The Lion Queen

Was besonders auffällt: Andere männliche Löwen sieht man im Film nicht. Der Löwenherrscher Mufasa führt scheinbar einen Harem mit sieben weiblichen Raubkatzen an. Wer ist eigentlich der Vater von Simbas Freundin Nala? Auch Mufasa? Dann wären die beiden ja Bruder und Schwester! Ew. Als der böse Scar im Showdown sogar eine Kätzin schlägt denke ich mir: Die weiblichen Katzen hätten locker das Zeug dazu, ihr Imperium als Matriachat ohne diesen nichtsnutzigen Kater zu führen. Wieso wurde die Pfeife überhaupt zum interimistischen Leiter ernannt?

Der Zustand der „dunklen“ und „verlogenen“ Hyänen im Film ist auch problematisch: Am untersten Ende der Nahrungskette angesiedelt, knabbern sie an den modrigen Kadavern, welche die schönen, weißen Löwen übrig lassen. Outlaws am Rande der Gesellschaft, mit Akzent und immer nur am kichern. Muss wohl am Savannengras liegen. Tatsächlich sind Hyänen Allesfresser, haben auch gerne Aas als Snack, um die Wildnis zu reinigen. Sie leben mit Mensch und Tier in Balance. Fun Fact: Ein Biologe hat Disney damals wegen der zwielichtigen Darstellung von Hyänen geklagt.

Simba, the White Lion

Der Vorwurf, dass „The Lion King“ ziemlich „weiß“ wäre, ist in der Vergangenheit bereits des Öfteren gefallen. Auch hinter der Leinwand: Die meisten Synchronsprecher*innen des Originals waren weiße Schauspieler*innen, wie Matthew Broderick als Simba und Jeremy Irons als Scar. Erst kürzlich konnte man in der Washington Post eine interessante Analyse dazu lesen. Auch der Vorwurf, dass die Geschichte zum Film einst vom japanischen 1960er Jahre-Comic Kimba, the White Lion geklaut worden ist, lässt viele Fragen offen. Zeichner Osamu Tezuka ließ aus Kostengründen von einer Klage gegen den US-amerikanischen Disneygiganten ab. Kulturdiebstahl oder wirklich nur ein Zufall?

„Der König der Löwen“ feiert ein Comeback

Christian Fuchs bezeichnet die computeranimierte Neuverfilmung von „The Lion King“ als Animations-Meilenstein.

In der Neuverfilmung versucht man vieles wieder gut zu machen, mit Beyoncé und Childish Gambino in tragenden Stimmen.

Einzig das Thema „friend or food?“ dürfte gut gealtert sein, befindet sich die Menschheit 25 Jahre nach Entstehung des Films am Höhepunkt der Veganismus- & Tierrechtswelle. Wie im Film angepriesen, sind Insekten mittlerweile ein anerkannter Fleischersatz.

Natürlich sind Disneymärchen nicht geschaffen worden, um zu Tode analysiert zu werden. Sie sollen unterhalten. Aber Märchen transportieren sozialrealistische und -utopische Momente und haben immer schon viel über gesellschaftliche Zustände ihrer Zeit erzählt. Insofern ist es spannend, diverse Trickfilme als erwachsener Mensch zu sehen. Gedanken und Emotion schließen einander auch nicht aus: Auch ich musste stellenweise mit glasigen Augen kämpfen, auch wenn natürlich Bambi einst schon mein Leben zerstört hat.

Aber es ist Zeit für neue Rollenbilder und Filme, die Klischees nicht zementieren, sondern den Horizont erweitern. Weiter, als die Sonnenstrahlen in den Pride Lands reichen.

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