FM4 Sonic Essay: „The Miseducation of Lauryn Hill“

Sonic Essay ist eine Mischform aus Mixtape und Radiodoku, in der der Berliner DJ und Produzent Daniel Haaksman die Entstehungsgeschichte legendärer Alben erzählt. Für FM4 hat er sich diesen Sommer sieben weitere Alben vorgenommen, die Musikgeschichte geschrieben haben. Heute: Lauryn Hill - „The Miseducation of Lauryn Hill“

Von Natalie Brunner

„The Miseducation of Lauryn Hill“ ist 1998 erschienen, das erste und bislang einzige Album der damals 23-jährigen Musikerin, die bereits viel erlebt hatte: Höhenflüge und Ruhm, der sich als Fluch herausgestellt hat. „It’s funny how money changes situations“, rappt sie auf der Nummer „Lost Ones“ in Richtung ihrer ehemaligen Bandkollegen der Fugees.

Vier Jahre früher veröffentlichte das Trio Fugees ihr Debüt „Blunted Reality“. Fugees ist eine abwertende Bezeichnung für haitianische Flüchtlinge, und mit diesem Namen wiesen die Cousins Pras und Wyclef auf ihre diasporische Familiengeschichte hin, auch musikalisch bezogen sie sich darauf.

Das zweite Fugees-Album „The Score“ sprengte 1996 die Grenzen zwischen Hip Hop, karibischer Musik und Rock. Der Erfolg war nicht nur metaphorisch überwältigend. Lauryn Hill wurde aufgerieben zwischen dem Leben bei ihren Eltern im Kinderzimmer, Welttourneen und den romantischen Beziehungen zu ihrem späteren Lebenspartner und Vater ihrer Kinder, Rohan Marley, und ihrem Bandkollegen Wyclef Jean.

Wyclef heiratete seine damalige Freundin, während er noch mit Hill liiert war. Hill wurde schwanger von Bob Marleys Sohn Rohan. Unter diesen Umständen zerbrachen die Fugees und Hill ging nach Jamaika, um in den Tuff Gong Studios der Marley-Familie ihr Soloalbum „The Miseduction of Lauryn Hill“ aufzunehmen und die Geschehnisse zu verarbeiten.

„Road to Zion“ ist ein Song, in dem sie ihr Kind noch vor der Geburt in dieser Welt willkommen heißt, „Lost Ones“ ist an die zwei anderen Fugees gerichtet. Lauryn Hill rappt mit dringlicher Stärke, die in alle Ewigkeit Gänsehaut erzeugende Zeile, dass sie keine Lust hat, ihre Seele zu verlieren, auch wenn sie dafür die ganze Welt gewinnen würde.

Doch das Drama von Ms. Lauryn Hill wollte nicht enden. Kurz nach dem Erscheinen von „The Miseducation of Lauryn Hill“ klagten die Musiker, die mit Lauryn Hill an dem Album gearbeitet haben, nicht ausreichend Credits und Geld bekommen zu haben. Kaum verwunderlich, dass Hill gebrochen beschloss, dem babylonischen Musikgeschäft den Rücken zu kehren.

Lauryn Hill zog sich ab dem Jahr 2000 aus der Öffentlichkeit zurück und bekam sechs Kinder, veröffentlicht sporadisch Songs, spielt Konzerte und lässt durch pointierte politische Statements gegen rassitische Polizeigewalt und Unterdrückung aufhorchen. Lauryn Hill hat kein weiteres Album veröffentlicht. Wyclef, bereits vor Jahren zum zig-millionsten Mal auf eine Fugees-Reunion angesprochen, sagte in unfassbarer Weise wörtlich in einem Interview, dass das nur ginge, wenn Hill zuvor psychiatrische Hilfe in Anspruch nehmen würde. Pras meinte ebenfalls vor Jahren, es sei wahrscheinlicher, Bush und Bin Laden gemeinsam Kaffee trinken zu sehen, als ihn im Studio mit Hill.

Wer nun auch immer wen für verrückt erklärt oder welche Männer auch immer behaupten, eine weiblichen Künstlerin habe ihren Beitrag zur Geschichte geschmälert: „The Miseducation“ strahlt über Dekaden. All Hail to Miss Lauryn Hill.