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Martin Blumenau

Blumenaus Fußball-Journal

Viktoria oder: Die andere Seite des Fußballs

Ein Besuch bei der einzigen Sensation in der ersten Runde des ÖFB-Cup, bei SC Wiener Viktoria gegen TSV Hartberg.

Von Martin Blumenau

Manchmal ist Fußball einfach. Manchmal ist Fußball einfach nur ein kleines Stück Rasen zwischen Gemeindebauten mitten in der Stadt. Zum Beispiel in der Brigittenau, eingepfercht zwischen Höchstädt-Platz und Engels-Platz, die WAF-Gruabn. Dorthin ist die Wiener Viktoria aus Meidling ausgewichen, weil der eigene Platz gerade saniert wird. Nicht wegen der geographischen, wohl aber wegen der ideologischen Nähe. Mehr Working Class ohne blauen Touch, mehr Oldschool-Gemeindebau geht nämlich nicht.

Die Viktoria ist zuletzt Wiener Liga-Meister geworden, darf in die Regionalliga aufsteigen und im ÖFB-Cup mitspielen. Und in der ersten Runde hat sie den TSV Hartberg zugelost bekommen. Und weil ich immer, wenn es geht, ein Erstrunden-Cup-Match, wenn möglich abseits der big names besuche, komme ich mit meinem Begleiter also in die Brigittenau, an diesem heißen Samstag-Nachmittag.

Dass es die einzige und große Sensation der Runde werden wird, dass die Irgendwie-gar-nicht-Hausherren den Bundesligisten als Verlierer heimschicken werden, daran dachte vorher keiner.

Das Match eignet sich gut um meinem Begleiter, der gerade beginnt sich wirklich für Fußball zu interessieren, die andere Seite zu zeigen - die jenseits von Glanz, Glamour, Champions League, Nationalhymnen-Pathos, jenseits der Stars und Fernsehkameras.

Zwar sind auch hier Prominente zu sehen: der Adam-Wickerl, die Rauch-Sibylle, der Schöttel- und der Linden-Peter. Die Jelena, die alte Bekannte meines Begleiters, treffen wir leider nicht, sie muss auf Urlaub sein. Meine Bekannten sind beide da: der Präsident von den einen und der Coach von den anderen.

Den Präsidenten kenne ich eigentlich gar nicht als Popstar (als der er immer noch verehrt wird, allein in der Zeit, wo wir kurz tratschen, nähert sich mehr als nur ein Huldiger), sondern als Ex-Freund einer Freundin. Woher ich den Coach kenne, hab ich vergessen. Ich hab ihn schon als Spieler geschätzt und dann hatten wir ein, zwei freundliche Begegnungen. Ich spreche natürlich von Markus Schopp, nicht dem Heimtrainer. Den kenne ich nur aus Erzählungen von Insider, zu gruselig um zu zitieren.

Die andere Präsidentin, Brigitte Annerl, ist auch da, als Anführerin einer stattlichen Hartberger Fan-Abordnung, als Leitfigur, als Repräsentantin im positivsten Sinne. Nahe an Fans, Spielern und Platz. Gut, das ist am WAF-Platz kaum anders möglich: da ist alles nah dran. Die ausgewechselten Spieler etwa sitzen auf einer Treppe zwischen Kabine und Spielfeld, die eigentlich für alle zugänglich ist. Später im Match sitzen dort mit dem verletzt ausgewechselten Stefan Rakowitz und den Neuzugängen Andi Lienhart und Klem drei Hartberg-Spieler, die zunehmend nervöser werden. Als ein Hartberg-Tor, das von Dominik Rotter (der oft zeitgleich Stürmer und Innenverteidiger spielt) abgefälscht wurde, wegen Offside (wie geht das?) nicht gegeben wird, verliert Klem die Contenance und schreit in Richtung Schiri, dass ich meinem Begleiter die Ohren zuhalten möchte.

Letztlich ist das Remis nach 90 Minuten und auch das nach 120 aber völlig in Ordnung. Hartberg, der Bundesligist mit den Profispielern hat nie richtig ins Spiel hineingefunden, war zu stark im Schablonendenken. Und das ist gegen einen Außenseiter, der in punkto Laufleistung und kämpferischer Disziplin auf Augenhöhe ist, egal ob mit halben oder ganzen Amateuren, doch zu wenig.

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Martin Blumenau

Mein Begleiter ist von den Nummern 15 und 8 beeindruckt, Innenverteidiger Milos Milutinovic und Linksverteidiger Denis Bakici, weil die ihre Gegenspieler ein ums andere Mal wegblocken und so vor allem den neuen Hartberger Tschechen, aber auch Cup-Schützenkönig Tadic lange aus dem Spiel nehmen. Mir gefällt die Mittelfeld-Zentrale mit Kapitän Lazarevic und Sebastian Leimhofer, der (das erzählt der Präsident später detailliert) aus der 6. spanischen Liga kam, obwohl er ein Angebot aus der 3. hatte, das deutlich besser war als alles, was sich der Neo-Regionalligist leisten kann. Leimhofer schießt dann auch beide Tore der Viktoria, das erste nach einer wunderschönen, des Bundesligisten würdigen Aktion mit Fersen-Vorlage (von Kevin Bangai) für einen Hinterläufer und toller Flanke.
Hartberg kommt nur durch einen dieser modischen Hand-Elfer zum Ausgleich.

Und dass sich im Elferschießen dann der bessere der beiden Torleute (Günther Arnberger, ein Mann mit Austria-Vergangenheit) durchsetzt, ist dann fast folgerichtig. Den ersten Penalty verwandelt er gleich selber, eine beinharte Platzhirschen-Symbolik und dann hält sich mein Begleiter, der mittlerweile auf seinem Sessel steht, beim entscheidenden Elfer die Hände vor den Mund, so als würde er nicht zu atmen wagen. Der Rest ist dann glückseliges Gehupfe der Funktionärs- und Organisations-Crew, neben der wir uns unabsichtlich platziert hatten. Es fließen Tränen, und das schon im ersten Match des Jahres.

Manchmal ist Fußball einfach.
Manchmal ist Fußball einfach schön.

Schopp geht vom Platz, er wirkt verärgert, aber nicht planlos. Zornbinkerl Klem ist schon vorher in der Kabine verschwunden. Der Präsident und die Obfrau sind längst am Platz und busseln die Spieler. Mein Begleiter hat hinter den Hartberger Fans ein BVB-Freundschafts-Schild entdeckt und will ein Erinnerungs-Foto. Wir trösten die betrübten Fans, indem wir ihnen versprechen, dass sie die Liga halten werden. Ich meine es auch so. So schlecht war der TSV nicht. Die Viktoria war an diesen mittlerweile lauen Abend mit normalem Mitteleinsatz einfach nicht zu überrennen.

Die 2. Runde können sie dann wieder daheim spielen, in Meidling. Wenn wir es schaffen, sind wir wieder dort.

ÖFB Cup, Runde 1, 20. Juli 2019, 17:30 Uhr, WAF Gruabn
SC Wiener Viktoria - TSV Hartberg
5:3 i.E., 2:2 n.V. (2:2, 0:1),
500 Zuschauer, Schiedsrichter: Kijas Alan.

Viktoria:
12 Arnberger; 6 Nigel Blair (57., 17 Rumbold), 14 Rathfuss, 15 Milutinovic, 8 Bakici; 5 Köse (90., Milosavljevic), 16 Leimhofer, 7 Lazarevic (K), 2 Maier; 28 Dominik Rotter, 3 Fetai (60., 9 Bangai).

Hartberg:
1 Swete; 6 Andi Lienhart (74., 28 Heil), 4 Huber, 32 Luckeneder (2H: 31 Thomas Rotter), 14 Klem (115., 7 Sigi Rasswalder); 23 Tobias Kainz, 18 Cancola; 19 Ostrak, 24 Dario Tadic, 9 Rajko Rep, 10 Rakowitz (2H: 27 Ried).

Das ist der offizielle Spielbericht. Hier eine längere Matchzusammenfassung. Da ist ein kurzes Video von Wien Heute dabei, hier eines aus dem Sportbild. Wer genau schaut, sieht wie mein Begleiter vor dem letzten Elfer die Hände hebt.

Peter Linden nützt das Match für seine Agenda, nämlich seinen Kumpel Toni Polster für höhere Aufgaben ins Gespräch zu bringen. Und das ist das gesamte Match im Stream:

Zuletzt in Blumenaus Fußball-Journal, das jetzt wieder regelmäßig erscheint: Warum viele den politisch vernetzten Fußball hassen, am Beispiel Linz. Und: Germanys Next Bundesliga-Coach - die heimische Liga als Versuchs-Labor. Dazu auch eine Analyse der Position der Chef-Coaches und die Bilanz der letzten Saison. Und alles über die systematische Analyse-Verweigerung nach der U21-EM. Nachträgliche Relativierung, die Nachlese zur Dänemark-Niederlage der U21: und die Analyse des Sieges über Serbien. Davor Texte über den letzten Test vor Beginn der ersten U21-Euro an der der ÖFB teilnehmen darf. Und eine Nachlese zum Finale.

Zuletzt zur Frauen-WM: Bilanz und Ausblick, alles zum Halbfinale, zwei deutsche Niederlagen im Vergleich, Vorweggenommene Finalspiele zum Viertelfinale Frankreich - USA sowie Frauen-Fußball wird wie Männer-Fußball und das ist nicht nur gut so. Davor: Zur Untrennbarkeit von Fußball und Politik. Und das war die Vorrunden-Bilanz der Frauen-WM, nach einem ersten Blick und einem zweiten auf Deutschland vs Spanien.

Zur Copa America: alles zum Halbfinale Brasilien - Argentinien, eine erste Bilanz und eine Preview.

Zum Afrika-Cup: Afrika, Next Gen und eine Analyse der Hahnenkämpfe um die globalen Fußball-Rechte anlässlich des Afrika-Cups.

Außerdem: Vorteil Dänemark: Fußball im digitalen Zeitalter; eine Analyse der geschlossenen Gesellschaften im Fußball Closed Shop – am Beispiel Liga & Europacup.

Plus: Nachbetrachtung zum Mazedonien-Ausflug des ÖFB-Teams sowie Preview und Nachlese zum Slowenien-Länderspiel.


Das sind die Vorgängertexte, egal ob als #dailyblumenau auf der neuen oder der alten Website, oder im langjährigen Journal. Regelmäßiges zu diesen Themenfeldern abseits des Fußballs folgt im Herbst.

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