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Ocean Vuong

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Ocean Vuong: Der schwule Einwanderersohn einer traumatisierten Mutter

Nach mehrfach ausgezeichneten Gedichten veröffentlicht Ocean Vuong nun seinen ersten Roman, der seine eigene Identität reflektiert: Als Einwandererkind, als Homosexueller und als Erster in seiner Familie, der lesen kann.

Von David Riegler

Der Debütroman von Ocean Vuong ist ein Brief an seine Mutter, die weder lesen kann noch Englisch spricht: Es ist ein Versuch mit Sprache eine Brücke zwischen zwei Menschen zu bauen, der von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist. Ocean Vuong teilt das Schicksal mit tausenden Einwandererkindern, die eine andere Sprache sprechen als die eigenen Eltern. Der Autor beschreibt in seinem Roman „Auf Erden sind wir kurz grandios“ wie er von seiner Mutter Rose geschlagen wurde, als er ihr das Lesen beibringen wollte:

„Das erste Mal, als du mich geschlagen hast, muss ich vier gewesen sein. Eine Hand, ein Wimpernschlag, eine Strafe. Mein Mund ein Aufflammen von Berührung. Wie ich versuchte, dir Lesen beizubringen, so wie Mrs Callahan es mir beibrachte, meine Lippen an deinem Ohr, meine Hand auf deiner, die Worte huschten unter unseren Schatten dahin. Doch ein Sohn, der seine Mutter erzieht – das verkehrte unsere Hierarchien und damit unsere Identitäten, die ohnehin fragil und vorgezeichnet waren in diesem Land.“

Ausgrenzung, Rassismus und Weltverlorenheit

Buchcover

Hanser Verlag

Das Buch „Auf Erden sind wir kurz grandios“ ist im Hanser Verlag erschienen und von Anne-Kristin Mittag übersetzt.

Trotz der Gewalterfahrungen und sprachlichen Distanz, beschreibt er die Beziehung zu seiner Mutter wie die eines symbiotischen Paares. Sie ist ein Kind des Vietnam-Krieges, der sich als traumatische Erfahrung eingebrannt hat. Mit einem Kleinkind am Arm beschloss sie, Vietnam zu verlassen, um ihrem Sohn ein besseres Leben zu ermöglichen. Doch die Kindheit am Rand der US-amerikanischen Gesellschaft war für Ocean schwer und der amerikanische Traum ging nie in Erfüllung.

Ocean Vuong schreibt von Ausgrenzung, Rassismus und einer Weltverlorenheit, in der die einzigen Verbündeten seine Mutter und seine Großmutter sind, mit denen er in der kleinen Ein-Zimmer-Wohnung in Hartford, Connecticut aufwächst. Beide nennen ihn nur „Little Dog“. Die Großmutter ist psychisch krank und erzählt ihrem Enkel offen von Kriegserfahrungen und der Zeit als sie sich an amerikanische Soldaten prostituiert hat, um ihr Kind zu ernähren.

Seine eigene Existenz stellt der kleine Junge im Buch immer wieder in Frage. Ständig zweifelt er an sich selbst und versucht, nicht gesehen zu werden, um sich selbst zu schützen. Als 5-Jähriger sagt er zu seinem Wahl-Großvater Paul, dass die anderen mehr leben würden als er, ohne ihm zu erklären, wie diese Aussage zu verstehen ist. Es ist genau dieses Gefühl, das nach dem Lesen seiner Literatur bleibt. Eine Existenz so unsichtbar und trotzdem so berührend.

Ein Moment, in dem sich der Junge erlaubt, sichtbar zu werden, ist seine erste Liebe. Er verliebt sich in den Jungen Trevor und erlebt mit ihm Zärtlichkeit, Begehren und Lebenslust. Doch auch dieses Kapitel in seinem Leben wird nicht vor der grausamen Realität geschützt, die das Buch wie einen roten Faden durchzieht: Er verliert Trevor an eine Überdosis Drogen.

Über Selbstzweifel und Lebensfreude

Mit seiner kunstvollen und feinfühligen Art zu schreiben, hat Ocean Vuong es geschafft, dass all diese tragischen Themen nur leicht berührt werden ohne das Narrativ des Erzählers zu überschatten. Es ist nicht nur ein Buch über Krieg, Homosexualität oder Einwanderer. Es ist ein Buch über eine Existenz voll Sensibilität und Selbstzweifel, die in einer neuen Sprache Stärke, Mut und Lebensfreude findet.

Ocean Vuong

Tom Hines

Virtuos formuliert Vuong Sprachbilder und wechselt ständig zwischen verschiedenen Lebensphasen und geliehen Geschichten seiner Familienmitglieder hin und her. All das ergibt einen ausführlichen Brief an seine Mutter - seinen Debütroman „Auf Erden sind wir kurz grandios“. "Ich erzähle dir weniger eine Geschichte als ein Schiffswrack.“, schreibt er etwa.

In manchen Passagen scheint er sich in einer Metapher zu verlieren und bremst sich selbst plötzlich wieder ein, um die Erzählung weiterzuführen. „Ich weiß. Es ist nicht gerecht, dass das Wort lachten in schlachten gefangen ist. Wir müssen es aufschneiden, du und ich, so wie ein Neugeborenes rot und zuckend aus der gerade erlegten Hirschkuh gehoben wird.“

Kein eindeutiges Genre

Der Roman verweigert uns die Einteilung in ein literarisches Genre, doch im Rhythmus der Erzählung schwingt mit, dass der Autor sich eigentlich in Gedichten am wohlsten fühlt. 2017 wurde er für seinen Gedichtband „Night Sky with Exit Wounds“ mit dem TS Eliot Preis ausgezeichnet und in der New Yorker Literaturszene gilt er seitdem als Zukunftshoffnung einer modernen, politisch motivierten Literatur.

Ocean Vuong ist gerade einmal 30 Jahre alt und hat für einen Autor eine recht große Gefolgschaft. Auf Instagram veröffentlicht er Passagen aus seinen Texten, Gesänge und intime Einblicke in sein Leben. In seiner Selbstbeschreibung steht: „very libra. ultra basic.“

Doch basic ist Ocean Vuong keineswegs. Er ist ein Mensch mit vielen Facetten: Dichter, Einwanderer, Homosexueller, Vietnamese, Amerikaner, Selbstzweifler und vor allem ein außergewöhnlicher Schriftsteller, der von sich selbst im Buch behauptet, noch immer auf der Suche nach seiner poetischen Stimme zu sein. Wenn das stimmt und er seine Stimme in diesem Buch noch nicht gefunden hat, erwartet uns in der Zukunft noch Bemerkenswertes von Ocean Vuong.

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