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Fünf Banky-artig geschredderte Festplatten

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Die Chronologie der Schredder-Affäre

Ein Mitarbeiter von Sebastian Kurz (ÖVP) hat kurz nach dem Auffliegen der Ibiza-Affäre unter falschem Namen fünf Festplatten aus dem Bundeskanzleramt schreddern lassen. Die ÖVP spricht von einem „normalen Vorgang“, die Opposition vermutet mehr hinter der Aktion. Doch inzwischen sieht sich die SPÖ mit einer eigenen Schredder-Affäre konfrontiert. Eine Chronologie.

Von Lukas Lottersberger und Ali Cem Deniz

Der 17. Mai 2019 war ein Schicksalstag für die österreichisches Innenpolitik. An diesem Tag wurde das Ibiza-Video publik, das ein politisches Erdbeben in Österreich ausgelöst hat. Heinz-Christian Strache ist am 18. Mai als FPÖ-Chef und Vizekanzler zurückgetreten, innerhalb der türkis-blauen Koalition schien der Haussegen plötzlich schief zu hängen und das Vertrauen der Oppositionsparteien in die Regierung wurde gehörig erschüttert.

Montag, 20. Mai

Liste-JETZT-Gründer Peter Pilz kündigt einen Misstrauensantrag gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) an. Dieser soll in einer Sondersitzung des Nationalrats eingebracht werden.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) muss den Termin für die Sondersitzung festlegen. Spätestens am 29. Mai muss diese stattfinden.

Dienstag, 21. Mai

Die FPÖ will dem Misstrauensantrag gegen Kanzler Sebastian Kurz zustimmen, zitiert die Tageszeitung „Österreich“ Herbert Kickl (FPÖ). Neo-FPÖ-Chef Norbert Hofer hatte das Montagabend noch offen gelassen. Mit den Stimmen der SPÖ droht Kurz damit die Abwahl durch das Parlament.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka legt den Termin der Sondersitzung auf den 27. Mai, also einen Tag nach der EU-Wahl.

Die Opposition protestiert heftig: Sie plädierte nämlich einhellig für einen möglichst baldigen Termin. Der stellvertretende SPÖ-Klubobmann Jörg Leichtfried wirft der ÖVP vor, die Sondersitzung zu verzögern um die Aufklärung zu verschleppen.

Mittwoch, 22. Mai

Fünf Tage nachdem die Ibiza-Affäre öffentlich bekannt wurde und einen Tag, nachdem Nationalratspräsident Sobotka den Termin für die Sondersitzung, bei der ein Misstrauensantrag gegen den Bundeskanzler erwartet wurde, bekannt gegeben hat, ruft ein Mann bei der Firma Reisswolf an, stellt sich als „Walter Maisinger“ vor und erklärt, dass er Festplatten vernichten wolle.

Bei dem Mann handelt es sich um Arno M., einem Mitarbeiter aus dem Bundeskanzleramt und Vertrauten von Sebastian Kurz. Der Mann fragt die Mitarbeiterin von Reisswolf am Telefon, ob er bei der Vernichtung persönlich dabei sein könne. Das ist möglich, sofern er als Besucher eine Vertraulichkeitsverpflichtung unterschreibt.

Donnerstag, 23. Mai

„Walter Maisinger“ kommt einen Tag später persönlich zu Reisswolf und bringt fünf Festplatten mit. Er ist bei der Vernichtung anwesend, stellt den Sonderwunsch, die Datenträger dreimal zu schreddern und nimmt nach der Zerstörung der Datenträger die Überbleibsel mit.

Dem Kanzleramts-Mitarbeiter wird von Reisswolf eine Rechnung über 76,45 Euro ausgestellt, die er angeblich vor Ort bar begleichen möchte. Das ist jedoch nicht möglich.

Sonntag, 26. Mai

Tag der Europawahl. Die Volkspartei bekommt 34,55 Prozent der Stimmen, das ist ein Plus von 7,57 Prozent. Die ÖVP ist damit mit sieben Mandaten im EU-Parlament vertreten.

Montag, 27. Mai

Der Nationalrat spricht der Regierung von Kanzler Sebastian Kurz das Misstrauen aus und enthebt sie damit des Amtes.

Der schließlich von der SPÖ eingebrachte Misstrauensantrag wurde von der FPÖ und der Liste JETZT unterstützt und hatte damit die Mehrheit, ÖVP und NEOS votierten dagegen.

Nach dem 27. Mai

„Walter Maisinger“ lässt die Zahlungsfrist und die Mahnfrist verstreichen, weshalb Reisswolf stutzig wird. Ein Reisswolf-Mitarbeiter erkennt „Walter Maisinger“ in einef ZIB-Sendung, in der Sebastian Kurz nach seiner Absetzung als Bundeskanzler durch einen Misstrauensantrag im Parlament eine Rede hält.

Sebastian Kurz vor Anhängern nach seiner Abwahl

ORF

In dieser ZiB-Sondersendung soll ein Reisswolf-Mitarbeiter Arno M. alias „Walter Maisinger“ erkannt haben

Der Bundeskanzleramts-Mitarbeiter hat bei Reisswolf zwar einen falschen Namen, aber eine richtige Handynummer angegeben. So kommt die Firma dahinter, dass „Walter Maisinger“ nicht sein richtiger Name ist. Reisswolf erstattet eine Betrugsanzeige, die Polizei macht den Mann ausfindig. Wegen der ungewöhnlichen Vorgehensweise und der politischen Verbindungen wird der Fall an die Staatsanwältin verwiesen, die für die Ibiza-Affäre zuständig ist.

Auch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) untersucht den Fall wegen möglicher illegaler Parteienfinanzierung.

Donnerstag, 18. Juli

Laut der Tageszeitung Kurier gab es am 18. Juli eine Hausdurchsuchung bei Arno M. Er sei kooperativ, heißt es aus der ÖVP-Zentrale. Die Rechnung soll inzwischen bezahlt worden sein.

Samstag, 20. Juli

Der Kurier berichtet erstmals über die „Schredder-Affäre“. Auch die Wochenzeitung Falter recherchiert bereits seit einigen Tagen an der Geschichte. In Medienberichten gibt es unterschiedliche Angaben darüber, um wie viele geschredderte Festplatten es sich gehandelt haben soll.

In der ÖVP bemüht man sich, die Sache als mehr oder weniger alltäglich darzustellen. Es sei ein völlig üblicher Standardvorgang, dass persönliche Arbeitsunterlagen oder Daten, die nicht Bestandteile von Akten sind, bei einem Ressortwechsel bzw. Büroauszug von Mitarbeitern aussortiert, gelöscht oder geschreddert werden: „Auch bei der Übergabe von Christian Kern an Sebastian Kurz im Dezember 2017 wurden leere Büroräumlichkeiten und keine Datenträger oder Unterlagen aus der Ära Kern vorgefunden.“

Zuletzt hatte ein LKW der Firma Reisswolf für Aufsehen gesorgt, als er rund um den Abgang von Ressortchef Herbert Kickl (FPÖ) vor dem Innenministerium gesichtet worden war. Welche bzw. ob überhaupt Daten vom Ministerium vernichtet wurden, ist freilich unklar.

Montag, 22. Juli

Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein zeigt Verständnis dafür, dass das Büro ihres Vorgängers vor dem Auszug Daten schreddern ließ. Angesichts der parlamentarischen Anfragen mehrerer Parteien hat die Regierungschefin aber umgehend eine Untersuchung einleiten lassen.

„Die Löschung bestimmter sensibler, nicht dem Bundesarchivgesetz unterliegender Daten entspricht der üblichen Praxis bei Regierungswechseln“, hieß es in einer kurzen schriftlichen Stellungnahme aus Bierleins Büro. In der Stellungnahme wird auch die interne Evaluierung angekündigt.

Der stellvertretende SPÖ-Klubobmann Jörg Leichtfried ortet einen Gesetzesverstoß. Offen sei auch, ob Kurz oder seine engsten Vertrauten den Auftrag zu der „Vertuschungsaktion“ gegeben hätten. NEOS-Mandatarin Stephanie Krisper hatte schon am Sonntag einen Alleingang des Mitarbeiters bezweifelt.

Ein Fachmann erklärt, dass technisch tatsächlich die Möglichkeit bestanden hätte, aus dem Drucker Informationen abzusaugen. Festplatten seien bei modernen Standdruckern Standard und die Daten ließen sich ohne viel Aufwand wiederherstellen, erklärt Otmar Lendl vom Computer Emergency Response Team Austria der APA.

Dienstag, 23. Juli

In einem Video der Wochenzeitung Falter wird Überwachungsvideomaterial der Firma Reisswolf gezeigt. Auf diesem sieht man Arno M. und einen Reisswolf-Mitarbeiter in der Halle mit den Schredderanlagen.

Siegfried Schmedler, Geschäftsführer von Reisswolf, erklärt im Falter-Video, dass er einen solchen Fall in 25 Jahren noch nicht erlebt habe. Laut Schmedler habe sich Arno M. während des ganzen Prozesses „sehr nervös“ verhalten. „Er wollte auf keinen Fall die Festplatten aus der Hand geben“, so der Geschäftsführer. Zudem habe Arno M. darauf bestanden, die geschredderten Teile wieder mitzunehmen.

Die Liste JETZT bereitet einen Antrag für eine Sondersitzung des Nationalrats zur Causa vor, berichtete die Tageszeitung „Österreich“ Dienstagabend. Für ein Zustandekommen bräuchte es allerdings aufgrund der Sommerpause des Parlaments ein Drittel der Abgeordneten. JETZT-Mandatar Peter Pilz will daher mit SPÖ und FPÖ reden.

ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer ist am Abend zu Gast in der ZiB 2 bei Armin Wolf. Er rechtfertigt das Vernichten der Datenträger als „normalen Vorgang“.

Nehammer erklärt, dass man sich im Kanzleramt auf einen Regierungswechsel vorbereitet habe und aus Angst vor Daten-Leaks die Festplatten zerstören ließ. Die Aktion soll von Vorgesetzten abgesegnet worden sein, doch der Mitarbeiter habe Fehler gemacht und sich für diese später auch entschuldigt, so Nehammer. Dass sich auf den Festplatten Daten zum „Ibiza-Skandal“ befunden haben könnten, schloss der ÖVP-Generalsekretär aus.

ÖVP-Generalsekretär Nehammer zur Datenvernichtungs-Causa

Der ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer nimmt im ZIB-2-Studio Stellung zur Vernichtung von Datenträgern aus dem Bundeskanzleramt. Laut Nehammer handelte es sich um Druckerspeicherfestplatten.

Mittwoch, 24. Juli

Die SPÖ nimmt der ÖVP die Rechtfertigungen in der Schredder-Affäre nicht ab: „Der Ex-Kanzler soll damit aufhören, die Bevölkerung für dumm zu verkaufen und jetzt die Wahrheit sagen", sagt SPÖ-Wahlkampfmanager Christian Deutsch der APA.

Liste-JETZT-Gründer Peter Pilz ortet einen Konnex zum ehemaligen Kanzleramtsminister Gernot Blümel. Dessen Referent soll den Auftrag zur Vernichtung der fünf Festplatten gegeben haben. Pilz glaubt weder, dass es sich bei der Vernichtung um einen „normalen Vorgang“ gehandelt habe, noch, dass nur Druckerfestplatten vernichtet wurden.

Werner Kogler, Bundessprecher der Grünen, fordert einen Untersuchungsausschuss, um die „Schredder-Affäre“ aufzuklären.

Dienstag, 30.Juli

Nur wenige Tage nachdem Ex-Bundeskanzler Christian Kern ÖVP-Chef Sebastian Kurz mit einer Klage gedroht hatte, berichtet die Kronen Zeitung, dass auch beim Regierungswechsel nach Kerns Bundeskanzlerschaft Festplatten geschreddert wurden.

Der Krone liegt eine Rechnung vor, die zeigt, dass im Auftrag des Bundeskanzlers sieben Festplatten geschreddert wurden. Kostenpunkt: 2100 Euro. Kern will erst durch die Medienberichte von der Vernichtung der Datenträger erfahren haben.

Während der ÖVP-Generalsekretär der SPÖ Doppelmoral vorwirft, zeigt Peter Pilz Ex-Kanzler Kurz und seine Mitarbeiter an. Der Standard berichtet inzwischen, dass eine der vom Kurz-Mitarbeiter vernichteten Festplatten eine abweichende Seriennummer aufweist. Daran lässt sich erkennen, dass die Festplatte nicht für Drucker, sondern für Laptops konzipiert wurde. Dass eine solche Festplatte auch in einem Drucker zum Einsatz kommen könne, ließe sich allerdings nicht ausschließen, heißt es.

Wie geht es weiter?

Seit der Falter die „Schredder-Affäre“ aufgedeckt hat, herrscht weiterhin Unklarheit über die Vorgänge im Bundeskanzleramt. Die Parteien versuchen sich mit gegenseitigen Schuldzuweisungen durch die Krise zu manövrieren. Tatsache ist, dass die Festplatten-Vernichtung sowohl für die Regierung Kern, als auch für die Regierung Kurz ein juristisches Nachspiel haben könnte.

Wolfgang Maderthaner, Ex-Generaldirektor des Staatsarchives, bezeichnet das Schreddern als gesetzeswidrig und fordert mehr Macht für das Staatsarchiv. Wenn die Affäre sich ausweitet, könnte seine Forderung mehr Gehör finden.

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