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I’ll ever be yours, Popfest

Der zweite Abend am 10. Wiener Popfest: technoider Elektropop, ironischer Schlager, der ganz große Soul. Alternative-R’n’B Musiker Lou Asril spielt den wohl jetzt schon besten Gig des Wochenendes.

Von Lisa Schneider

Spoken Word, Hiphop und Soul werden im heurigen Popfest-Line-up groß geschrieben, nicht nur am ersten Abend etwa bei Lylits Auftritt, sondern auch gestern, am Freitag. Und so starten wir mit der großen Stimme von Renee Benson alias Sister Raie in den Feierabend. Die ursprüngliche New Yorkerin steht mit JOV – kurz für Jazzorchester Vorarlberg – auf der Bühne.

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Der rote Faden durch die Sets

Moderne Folklore, Jazz und Hiphop-Beats. Dass Hiphop musikgeschichtlich die logische Fortsetzung von Jazz ist, beweist hier einmal mehr der smoothe Übergang zwischen feiner Down-Tempo-Ballade und satten, schnell getakteten Groove-Jams. Dass sich die Musiker*innen auf der Bühne ihre Freiheit und mit ihr den Improvisationsanspruch nehmen, wie es im Moment gerade passt, wird zu einem musikalischen enjoy the moment. Es wirkt alles so frei und leicht, als hätten sich Sister Raie und das Jazzorchester erst gestern Abend zusammengesetzt und mal eben so beschlossen, eine Band zu gründen. Die Leichtigkeit und der spielerische Songzugang ziehen sich durch den gestrigen Abend.

Musikalisch gut gewählt knüpfen Swankster mit ihrem Auftritt auf der Seebühne an: Ein Abklatschen der Beats. Die eigentlich jazzig angehauchte Band, die den ersten Allstar-Auftritt am heurigen Popfest präsentiert, als MCs kommen hier unter anderem Yasmo höchstpersönlich oder Misses U, die heute Abend noch ihr Soloset spielen wird, auf die Bühne.

Die Liebe (zur Disko) siegt

Dazwischen rumpelt es gewaltig auf der kleineren Open-Air-Bühne, die Wiener Produzentin und Songschreiberin Mascha singt und rappt und ravt. Und sie ist, trotz der Hitze, sehr dick angezogen: Auf dem Rücken ihres Hoodies prangen die Worte „Schweigen tötet (mich)“. Bevor sie dann Schicht für Schicht die Gewänder ablegt und plötzlich ein Dirndl freilegt.

Freak-Pop, ukrainischer Techno und nur vermeintlich volkstümliche Klänge: Das ist frisch, gut und bedroom-produziert. „Seit fünfzehn Jahren freu’ ich mich drauf, mal hier zu spielen - und ich kann’s gar nicht glauben, dass ich jetzt endlich all meine Issues mit euch teilen kann“, ruft Mascha in der heißen Abendsonne. Und ihre Issues sind: Rassismus, Frauenhass, die immer noch oft fehlende Emanzipation und vor allem der angenehm selbstironische Umgang damit. Ein erstes kleines, gesellschaftskritisches Highlight des Abends, mit allem, was man im Fall Sigi Maurer so in Piano-Balladen umwandeln kann.

Schlag auf Schlag zwischen den Genres im Set von Mascha - so fühlt sich auch das Herumsausen zwischen den einzelnen gestrigen Auftritten an: Nebenan baut dann nämlich schon ein Musiker auf der großen Seebühne sein umfangreiches Live-Set-up auf. Er ist, ich wage es vorauszusagen, der große Star des heurigen Popfests: Lou Asril.

Lou Asril Superstar

Viele Worte, viel Lob und viele Superlative habe ich in den letzten Monaten, seit dem Release seiner ersten Single „Divine Goldmine“, aber auch anlässlich seines Auftritts bei den Amadeus Awards und seiner kürzlich eingespielten FM4 Acoustic Session über Lou Asril schon niedergeschrieben. Und trotzdem, man muss jedes Mal, wenn man ihn live sieht, noch ein bisschen höher greifen.

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Das Set-up am Popfest ist dasselbe, mit dem der oberösterreichische Musiker seinen ersten Wien-Gig – vor einigen Wochen im Wiener Gürtellokal B72 – gespielt hat: Lou Asril hat drei Backgroundsängerinnen mit auf der Bühne, einen Bassisten, einen Drummer. Und, das vielleicht wichtigste Instrument, ein E-Piano.

Die Band ist sehr jung, Lou Asril selbst ist gerade erst 19 Jahre alt geworden. Sein Selbstbewusstsein raubt kurz den Atem. Man überlegt, wo man selbst war, mit 19, und wie man aufgetreten ist - und sei es nur auf der Straße. Sicher nicht so.

Es ist die oben erwähnte Leichtigkeit, die in der Luft hängt, kaum hat Lou Asril die Bühne betreten. Man bekommt das schöne Gefühl, als wäre man hier heimlich in den Proberaum gestolpert, im musischen Zweig des BORG Linz. Wo gerade heimlich an der Alternative-R’n’B-Weltherrschaftsübernahme gebastelt wird.

Es ist wirklich, aber auch wirklich alles cool hier. Der Look. Die Bewegungen. Die überkreuzten Beine, das langsame Kopfnicken, die fast immer geschlossenen Augen, die wohl zu diesem Zeitpunkt noch ein bisschen die Nervosität vor dem bis jetzt größten Gig seiner Karriere als Lou Asril überspielen sollen. Vielleicht ist es aber auch der beste Trick, in Gedanken zu dem Ort zurückzufinden, an dem die Songs entstanden sind, um sie lebendig und frisch wieder an die Oberfläche zurückzuholen. Es ist schön, dass Lou Asril in Österreich auf der musikalischen Bildfläche erschienen ist, wo er doch genauso gut nach England, nach London passen würde, wo eine ganz neue, starke Welle junger Soulpop/R’n’B-Musiker*innen aktuell Kritiker*innen und Publikum begeistert.

Lou Asrils erstes Album wird aller Voraussicht nach erst nächstes Jahr erscheinen, bei den Liveauftritten darf man sich einen Vorgeschmack auf das holen, was da noch so kommen wird. Songs wie „Heaven“ etwa, oder „Freak“, die sich alle an Lou Asrils großem Thema abarbeiten: der Liebe, die noch nicht so ganz funktioniert hat, der einen Sehnsuchtsfigur, der man nachhimmelt, obwohl der Schmerz größer ist als das Wollen.

Popfest-Tipps der FM4 Redaktion

Als Lou Asril dann - wohlgemerkt: ungeplant - eine der raren Zugaben im dichten Line-Up der Seebühne spielen darf, er sichtlich gelockert noch einmal seine allererste Single, das Soulpop-Meisterstück „Divine Goldmine“ singt, ist klar: Wer hier dabei war, hat Großes erlebt.

Wen interessiert der Songcontest?

Paenda ist gestern Abend die Headlinerin auf der Seebühne. Ja, die heurige Songcontest-Kandidatin für Österreich. Und nein, ohne die aktuelle Reichweite der früheren Gewinnerin Conchita Wurst. Bei Paenda tut man aber gut daran, ihren für den Songcontest ausgewählten Song „Limits“ erst dann anzuhören, wenn man den Rest ihres aktuellen Albums kennt. Gibt’s doch auf „Evolution II“ so viel Besseres, Hookigeres, Originäreres zu hören. Technoide Beats und die Liebe zum vielleicht besten Jahrzehnt der jüngeren Popgeschichte: Paenda ist ein Kind der 90er.

Die Promo-Maschine rund um Paenda und ihr Auftreten lief - ob positiv oder negativ und natürlich inklusive dem Trollhaufen, der Social Media nun mal ist - im heurigen Mai auf Hochtouren. Auch wenn sich zum Zeitpunkt des Songcontests wohl die meisten Österreicher*innen eher mit der Ibiza-Affäre denn mit diesem schrillsten Kabinett europäischer Musik beschäftigt haben. „Limits“ hat also nicht allen gefallen, aber wie Paenda das als die aufgeschlossene, kluge, junge Frau, die sie ist, eben tut, wandelt sie blöde Kommentare einfach um: in Musik. Der Song „I like the way you hate me“ steht genau dafür. Live dann pfeffert sie tanzend und springend genau diese Zeilen denen entgegen, die mal eben nur gekommen sind, um zu sehen, was das Songcontest-Komitee da für uns ausgesucht hat: Es ist sehr schön zu sehen, dass ihr das sichtlich egal ist.

Die Band, in der ihr immer sein wolltet

Die nächste Band, für die viele Menschen aktuell viele Türen einlaufen würden, macht sich währenddessen im TU Prechtlsaal bereit. Ein Schwitzkasten, und das passt wunderbar zum grungigen, gern auch mal unsauberen Gitarrensound von My Ugly Clementine. In aller Munde seit ihrem in nur 24 Stunden ausverkauften Gig im Wiener Rhiz wäre heuer sicher kein Kurator, keine Kuratorin umhin gekommen, sie fürs Popfest zu buchen: eine Band der Stunde. Mira Lu Kovacs schlüpft gestern Abend also kurz von der Kuratorinnen- in die Bandmitglied-Rolle. Dass sie da jetzt einfach eine Stunde mal nur Gitarre spielen und dann und wann singen darf, scheint ihr gut zu gefallen.

Kathrin Kolleritsch, eins der größten Allround-Talente des heurigen Popfests, hat eben erst mit ihrem Solo-Rap-Projekt Kerosin85 im Wien Museum gespielt. Gestern setzt sie sich an die Drums und zieht das Mikro näher.

Es ist so vieles gut an My Ugly Clementine.

Dass eben die Schlagzeugerin singt, dass sich die zwei Frontfrauen anderer Bands (Mira Lu Kovacs und Sophie Lindinger) gesanglich zurücknehmen und mit dieser Band ganz offensichtlich zur Freude am Spielen, am Probieren zurückgefunden haben. Dass aber auch jedes Mitglied der Band alles kann: Da steht Kathrin Kolleritsch mal vom Hocker auf und singt ein Duett mit Mira Lu Kovacs, bevor Barbara Jungreithmeier an Bass und Gesang übernimmt und schließlich an Sophie Lindinger abgibt.

So viel eingespieltes und abgestimmtes Können, so viel Euphorie, so viel gutes Retro-Abschlussball-Gitarrenfetzrock-Feeling ist schon fast nicht mehr zu auszuhalten. Und schon wieder diese Leichtigkeit: Es muss unendlich viel Spaß machen, Teil dieser Gruppe zu sein.

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