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Petrol Girls

Patrick Wally

Das Popfest am Samstag war laut und höchst persönlich

Am dritten Tag der zehnten Popfest-Edition gab es wütenden Punk, Rap straight outta Ottakring, Acoustic-Pop und große Persönlichkeiten.

Von Michaela Pichler

Manche Dinge am Popfest geschehen recht still und leise. Wie das Verschwinden des Red-Bull-Brandwagens etwa, der die letzten Popfeste immer als fixe Konzertvenue vor der Karlskirche bespielt wurde. Nach der Protestaktion der Wiener Queer-Punk-Pop-Band Schapka im vergangenen Jahr, bei der die Band den Konzern und dessen Inhaber Dietrich Mateschitz kritisiert hatte, ist die Red Bull Music Stage Geschichte und wurde von der Open Air Bühne 2 – welch klingender Name – ersetzt. Es kommt aber noch besser.

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Red Bull ist passé, nicht aber der Protest: Bereits am Popfest-Freitag gab’s mit dem Solo-Act Mascha solidarische Sigi-Maurer-Lieder und antirassistische Lyrics, verpackt in technoiden Freak-Pop. Die Petrol Girls, die am Samstag die kleine Bühne eröffnen, legen in ähnlicher Content-Manier nach, musikalisch gestaltet sich das aber ein wenig anders. Die Wahl-Grazer*innen, die hinter Petrol Girls stecken, machen Feminist-Post-Hardcore-Punk, aber richtig. Das fängt bei den krachenden Gitarren an, geht mit elektrifizierender Energie weiter und hört spätestens bei den T-Shirts der Bandmitglieder auf, auf denen „#SolidarityNotSilence“ prangert. Zwischendurch gibt es No-Means-No-Ansagen und Songs vom Überleben statt übers Opfer-Sein. Red Bull vermisst hier niemand.

Im Anschluss wird es auf der Seebühne wieder etwas gediegener und braver. Miriam Hufnagel alias Avec betritt mit sechsköpfiger Band die Stage. Als Avec 2016 zum ersten Mal beim Popfest aufgetreten ist, sah die Besetzung mit zwei Personen und viel Singer-Songwritertum noch wesentlich minimalistischer aus. Für die zehnte Edition des Festivals hat sie aber ihr Ensemble mit dabei, das auch auf ihrer zweiten Platte „Heaven / Hell“ für ausgefuchsteren Sound sorgt. Mit Posaune, Saxophon und Backing-Vocals ausgestattet feiert die Gewinnerin des Amadeus Austrian Music Award Pop in all seiner Verletzlichkeit.

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Apropos Backvocals: Die scheinen heuer am Popfest DER „hot shit“ zu sein – Wurst hatte sie, Lucid Kid im Wien Museum holen sich stimmliche Verstärkung und auch Shootingstar Lou Asril steigt auf den Background-Zug mit auf – der sogar mit ein bisschen gemeinsamer Choreo.

Wer wieder mehr grobes Rumpeln und schrammelnden E-Gitarren-Vibe will, geht ins Wien Museum in die Hall of Fame, wo Lime Crush vor der von Streetartist Golif besprühten Museumswand stehen und das Publikum in schwitzende Bewegung bringen.

Persönliche Persönlichkeiten

Der Popfest-Samstag fühlt sich heuer sehr nach großen Persönlichkeiten an, die sich alle ein bisschen in der TU verschanzen. Denn da wird es ganz persönlich. Zuerst bei der Private Session von Ankathie Koi. Niemand anderes verkörpert in der österreichischen Musikszene Pop in all seinem Glanz, Glitzer und Schimmer wie die Künstlerin mit der goldenen Mähne. Und Ankathie Koi und das Popfest sind längst schon alte Bekannte geworden, die heurige Performance im Kuppelsaal ist die fünfte für die Glam-Pop-Künstlerin.

Der Popfest-Co-Kuratorin Mira Lu Kovacs war es allerdings ein persönliches Anliegen, eine weitere Facette von Ankathie Koi dem Publikum näher zu bringen. Kovacs lernte sie vor vielen Jahren nämlich bei einem Singer-Songwriter-Wettbewerb im B72 kennen, bei dem Ankathie Koi nicht nur den ersten Platz abstaubte, sondern auch ganz alleine und nur mit Gitarre bewaffnet auf der Bühne stand. Keine Spur von 80ies-Synthies oder Glam-Rock-Nuancen. Ähnlich sollte es auch im Kuppelsaal werden und das Konzept geht auf: Als Ankathie Koi die erste Nummer ganz ohne instrumentale Begleitung bestreitet und nur ihre umwerfende Stimme den Raum füllt, ist es stecknadel-fallen-hören-still.

„Normalerweise springe ich wie eine wildgewordene Tarantel von einer Bühnenecke in die nächste!“, lacht Ankathie Koi, das gibt es fürs diesjährige Popfest aber nicht. Umso gespannter sind alle Augen auf die Bühnenpersona gerichtet, die Rio Reiser und David Bowie covert, von schwarzen Tauben singt und von der Freiheit. „She wants to be free / free to say yes / free to say no“ – da sind sich Ankathie Koi und die Petrol Girls einig.

Die FM4 Live-Sendung zum Popfest für 7 Tage im FM4 Player:

„Welcome to Tschuschistan!“

Während Soul-Diva Soia als letzter Seebühnen-Act den Abend headlined und von Pizza singt, machen sich zwei weitere Persönlichkeiten im Kuppelsaal, im vierten Stock in der TU, bereit: Esra und Enes Özmen sind als Rap-Duo Esrap die wohl sympathischsten Geschwister in ganz Wien. Davon konnte man sich bereits am Donnerstag überzeugen, als Esrap beim Wiener Queer Comedy Club PCCC eine kleine Stand-Up-Show performt haben. Tränenlachanfälle waren das Mindeste.

Für das Konzert im Kuppelsaal haben sie ihr Debütalbum mitgebracht, das Ende Juni erschienen ist. „Tschuschistan“ – so heißt nicht nur das Debüt, sondern so nennen Esra und Enes auch ihre Hood Ottakring, in der sie am Yppenplatz auch ihren Open-Air-Abriss gefeiert haben. Ähnlich ausgelassen ist die Stimmung beim Popfest: Wer Esrap schon einmal live erleben durfte, weiß um die Energie auf der Bühne, die sich wie ein Lauffeuer ins Publikum ausbreitet. Dabei ist Rap der Molotov-Cocktail, mit dem das Ottakringer Duo die Revolution anführt. Und Esra verspricht: „Jetzt kommen die 90er-Kinder – wir machen alle fertig!“

Musikalische Sozialisation: Christina Aguilera

Unten im Prechtlsaal wartet schon das nächste 90ies-Kid. „Ich bin mit Christina Aguilera aufgewachsen“, lacht Misses U im Interview, „und das hört man bei meinen Auftritten extrem“. Während der Schweiß schon von den Wänden tropft und es vom vertanzten Dampf nur so nebelt, steht Misses U mit MC und Live-Drummer auf der Bühne und macht Christina Aguilera und auch ein bisschen J. Lo alle Ehre. Sie selbst assoziiert mit ihrem Sound vor allem „fette Bässe und geile Beats.“ Das kann man auch bei der Popfest-Show spüren. Aber auch Soul und RnB fallen im Interview als Referenzen: „Es ist alles irgendwie Pop.“ Wer heuer am Popfest war, weiß Bescheid.

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