FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Golnar Shahyar

Patrick Wally

So war der letzte Popfest-Tag

Das zehnte Popfest ist vorbei! Der Sonntag lockte noch ein letztes Mal mit starken Worten und sakralen Konzerten die Popfest-Meute Richtung Karlsplatz.

Von Michaela Pichler

Es ist Sonntag und Tag 4 der zehnten Popfest-Edition. Nach fast 70 Acts aus dem österreichischen Pop-Potpourri kann man schon auch mal eine Pause brauchen. Im Karlsgarten zum Beispiel, wo am Nachmittag vielversprechende Lesungen stattfinden. Ruhige Unterhaltung also. Aber wenn Marie Luise Lehner, Martin Peichl und Nicole Schöndorfer zu lesen beginnen, plätschern die Worte alles andere als ruhig dahin, denn sie haben Gewicht, auf ganz unterschiedliche Weise.

Marie Luise Lehner ist eines dieser Talente in Wien, die irgendwie alles unter einen Hut bekommen. Als Gitarristin der queeren Pop-Punk-Band Schapka singt sie über Vibratorinnen und das weibliche Ejakulat. Und als Autorin hat sie bereits zwei Romane veröffentlicht. Für ihr Debüt „Fliegenpilze aus Kork“ wurde sie mit dem Literaturpreis Alpha ausgezeichnet, ihr zweiter Roman erschien vergangenes Jahr und heißt „Im Blick“. Daraus liest sie am Sonntagnachmittag beim Popfest. Die Blicke in ihrer queer-feministischen Coming-of-Age-Erzählung spielen sich alle innerhalb einer patriarchalen Hegemonie ab. Sei es der Blick und der Übergriff des Flötenlehrers, der beim Unterricht jede Woche die Grenzen der Schüler*innen überschreitet. Oder die eigenen Mitschüler*innen. Marie Luise Lehner benennt mit ihrem klaren Stil die Dinge beim Namen selbst dann, wenn Worte fehlen und sich unausgesprochene Erfahrungen in den Köpfen des Publikums weiterspinnen.

Um Blicke – speziell den male gaze – geht es auch bei der Lesung der Journalistin und Twitter-Queen Nicole Schöndorfer. In den vergangenen Monaten konnte man ihren Gedanken zu Feminismus im Zeiten des Neoliberalismus abseits der Twitterblase auch über ihren sehr erfolgreichen und empfehlenswerten Podcast „Darf Sie das?“ lauschen. Für ihre Popfest-Lesung hat Schöndorfer eigens ein Essay verfasst, in dem Alltagssexismen abgearbeitet werden, die jede Freundin, Schwester, Tochter, Mutter, Oma und Bekannte erleben. Am Ende fragt sie: „Wo war ich? Ach ja, im Patriarchat.“

Für die FM4 Literaturredaktion ist Martin Peichl kein Unbekannter. Bereits 2017 gewann er beim Wortlaut-Wettbewerb den dritten Platz, auch heuer steht er mit einem Text zum Thema „Privat“ auf der aktuellen Wortlaut-Shortlist. Im Karlsgarten macht er dem Popfest-Publikum Auszüge aus seinem im Februar erschienenen Debütroman „Wie man Dinge repariert“ schmackhaft, in dem es um eine zwischenmenschliche Halb-Beziehung geht, die man wahrscheinlich gar nicht mehr reparieren kann. Peichl liest außerdem vom Verlieren – nicht etwa vom Dinge Verlieren, sondern vom Verlust bester Freunde. Der Protagonist im Roman denkt bei der Beerdigung seines Kindheitsfreundes ans gemeinsame Erwachsen-Werden, an erste Räusche und an die seltenen Berührungen, die innerhalb der Freundschaft nur beim Fußball-Spielen ausgetauscht wurden. Die Worte sind schwer am Popfest-Sonntag, aber umso wichtiger.

So waren der Donnerstag, Freitag und Samstag beim Popfest!

Die alljährliche Popfest-Messe

Wenn sich schließlich der Tag langsam zu Ende neigt und die ersten Blitze über den Abendhimmel ziehen, ist es Zeit, sich für die letzten Konzerte in der berühmt berüchtigten Karlskirche anzustellen. Als Eröffnungsact betritt die Solo-Künstlerin The Unused Word mit einem extra Setting die Bühne: Begleitet von Kontrabass und Gesangstrio gibt sie ihre Popsongs zum Besten – mal mit Sample untermalt, dann mit schüchternen Beats, die sich in den schmalsten und mit Blattgold verpinselten Winkeln der Kirche verkriechen. Mit glitzernden Pailletten bestückt verspricht The Unused Word „lautes Gewand und leise Musik!“ Unter so einem Gewölbe wie dem in der Karlskirche klingt der leise Sound allerdings gar nicht so leise. Künstlicher Hall wird hier auch nicht benötigt, von dem gibt’s dank der sakralen Architektur schon genug.

Während dann schließlich der Schauerregen auf die Kuppel niederprasselt, beginnt schon die nächste Musikerin ihren Auftritt. Diese wird von Co-Kuratorin Mira Lu Kovacs als „die Jahrtausendstimme“ angekündigt: „Ich kann mich nicht erinnern, dass mich je eine Stimme so berührt hat wie die von Golnar Shahyar.“ In der nächsten Stunde wird das gesamte Publikum davon noch ein Lied singen können. Denn Golnar Shahyar braucht keine Background-Sänger*innen, A-Capella-Trios oder Loop-Stations, sie zieht allein mit ihrer Stimme alle Register. Und das auf Arabisch, Kurdisch und Englisch.

Den endgültigen Abschluss des diesjährigen Popfests wagt schließlich die zwölfköpfige Ensemble-Formation Iris Electrum. Mira Lu Kovacs war selbst als Sängerin einmal Teil des Kollektivs, aber aufgrund massiven Zeitmangels (Bandproben für drei andere Projekte brauchen Zeit und das Popfest kuratiert sich schließlich auch nicht von selbst) nimmt in der Karlskirche stattdessen Friederike Merz den Platz der Sängerin ein. Ein Streichquartett, Holz- und Blechblasfraktion, Percussion, E-Gitarre und Synthesizer mischen sich in den letzten Minuten des Popfests zu Merz, sie fischen aus minimalistischer Elektronik, orchestraler Klangteppiche und Teils verjazzten Harmonien. Ein Klangbild, das sich in der Karlskirche sehr wohlfühlt.

Trendfarben und andere Hypes

Das Popfest 2019 schien voll im Trend zu sein. Man denke an den Eröffnungsabend, als sich eine gefühlt unendliche Warteschlange quer über den halben Karlsplatz erstreckt hat, um für das Clara-Luzia-Konzert im Wien Museum anzustehen. Gleichzeitig setzte das Popfest heuer auch eigene Trends. Irgendwie war es zum einen das Jahr des schwarzen Dresscodes: Lou Asril, Ankathie Koi oder Avec, sie alle bedienten sich der Farbe Schwarz der klassischen Orchester-Garderobe. On Vogue war aber auch die Verwendung von Background-Sängerinnen, wie es zuerst Lylit und Wurst vorgemacht haben und bei Lou Asril inklusive Choreografie ausgebaut wurde.

2019 war aber auch das Jahr der großen Cover. Am Eröffnungsabend bediente sich Wurst auf der Seebühne beim Prince-Evergreen „Purple Rain“, die Lichtshow folgte dem Wurst-Aufruf in purpurnen Scheinwerferarrangements über dem betonierten Karlsteich. So halb romantisch. Ankathie Koi griff gleich zweimal tief in die Cover-Trickkiste während ihrer Private Session im TU-Kuppelsaal. Mit Rio Reisers „Für immer und dich“ und David Bowies „Heroes“ brachte sie die ein oder andere Person im Publikum zum Seufzen oder peinlichst berührt zum Tränen Verdrücken. Pop kann große Gefühle, auch wenn er zum hunderttausendsten Mal aufgegriffen und interpretiert wird.

Popfest-Ehrenkodex

Jedes Jahr verspricht das Popfest wieder und wieder das gleiche: Raum zu schaffen, um neue und junge Musik aus Österreich zu entdecken. Oder etwas schon Altbekanntes neu kennenzulernen oder Bands von der Liste abzuhaken, die man schon lange am Radar hat. Und vom ein oder anderen Konzert überrascht zu werden, wie beispielsweise gleich am Eröffnungsabend in der „Hall of Fame“ im Wien Museum mit der Rapperin Kerosin95, die eigentlich als Drummerin in Bands wie My Ugly Clementine (auch so eine Band, die einen live am Popfest ein bisschen umgehauen hat) lauthals auf die Drums schlägt. Auch heuer hat das Popfest sein Versprechen gehalten. Und fürs nächste Jahr gilt: „Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen.
“

Die FM4 Live-Sendung zum Popfest für 7 Tage im FM4 Player:

mehr Popfest 2019:

Aktuell: