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Toni Morrison

FRANCOIS GUILLOT / AFP

Jazz und Schmerz: Toni Morrison ist tot

Als erste schwarze Autorin wurde sie 1993 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Nun ist die afroamerikanische Schriftstellerin Toni Morrison im Alter von 88 Jahren gestorben.

Von Alexandra Mantler

Ein Mietshaus in der Lenox Avenue in Harlem, 1926, im „Jazz Age“. Bei einer ausgelassenen Party fällt plötzlich ein Schuss - die achtzehnjährige, umschwärmte Dorcas liegt tot am Boden. Der Mörder: ihr 50jähriger Geliebter Joe. Mit der Polizei spricht niemand, denn bedrohlicher als der Tod ist das „weiße“ Gesetz. In dem Roman „Jazz“, den Toni Morrison 1992 veröffentlicht hat, geht es um zerstörerische Leidenschaft, um Zorn und Trauer und die blutenden Wunden und Traumata, die die Sklaverei auch in den nachfolgenden Generationen hinterlassen hat. Morrison erzählt die Geschichte wie eine Jazz-Nummer, lässt einmal diese, dann wieder jene Stimme in den Vordergrund treten. Im folgenden Jahr wurde Morrison mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.

Sie wollte ein bestimmtes Buch lesen, und dieses Buch gab es nicht, also schrieb sie es. So erzählte Toni Morrison selbst gerne die Geschichte, wie sie eines Tages zu schreiben begann. Eine klare Aussage darüber, wem Morrisons Hauptinteresse galt: jenen, die in der offiziellen amerikanischen Geschichtsschreibung nicht vorkommen, den vielen Millionen Sklaven und Sklavinnen.

The Bluest Eye

Vintage

Ihren ersten Roman veröffentlichte die 1931 in Ohio geborene Morrison im Jahr 1970. „Sehr blaue Augen“ (orig. „The Bluest Eye“) erzählt die Geschichte eines von der eigenen Mutter verachteten und vom Vater missbrauchten Mädchens, das sich nichts sehnlicher wünscht als blaue Augen. Zwei Jahre zuvor war Martin Luther King erschossen worden. Morrison erzählt in ihrem Roman über verinnerlichten Rassismus und darüber, was er im verletzlichsten Glied der Gesellschaft anrichtet: einem schwarzen Mädchen.

Immer wieder kreisen Toni Morrisons Geschichten um Rassismus und Sklaverei und ihre Folgen auf die Seelen von Menschen, die eine Last mit sich schleppen, die kaum zu ertragen ist. So auch in Morrisons bekanntestem Roman „Menschenkind“, den manche für den besten amerikanischen Roman des 20. Jahrhunderts halten: Eine Sklavin ist mit ihren kleinen Kindern auf der Flucht. Als sie die Sklavenhändler einholen, bringt die Mutter eines ihrer Kinder um. Es soll den Menschenhändlern nicht in die Hände fallen. Eine historische Begebenheit hat Morrison zu ihrem Roman inspiriert. Bei ihr lebt die Mutter in Freiheit weiter. Doch wie weiter machen mit dieser Schuld? Noch 18 Jahre nach den Ereignissen spukt das tote Kind im Haus der Mutter, die eigentlich gar keine Vergebung will. Sie will sie verweigert bekommen.

Neben ihrer Tätigkeit als Romanautorin war die Anglistin Toni Morrison aber auch eine bedeutende Stimme in der Literaturwissenschaft und hatte eine Professur für afroamerikanische Literatur an der Elite-Universität Princeton inne.

Eines Tages war die Schriftstellerin zu Gast in einer berühmten Talkshow. Manche ihrer Sätze müsse man zweimal lesen, sagte die Moderatorin zu Morrison und spielte damit auf die Komplexität ihrer Romane an. Morrison antwortete: Das, meine Liebe, nennt man lesen.

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