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Die irische Autorin Sally Rooney ist viel mehr als nur die Stimme der Millenials

Die irische Schriftstellerin Sally Rooney wird unter anderem von der New York Times als „Stimme ihrer Generation“ gefeiert. Jetzt ist ihr erster Roman „Gespräche mit Freunden“ in deutscher Übersetzung erschienen. Er ist hervorragend - und hat den wohl besten satirischen Twitter-Thread des Sommers #dichterdran losgetreten.

Von Lisa Schneider

Wer in den letzten Tagen wenig gelacht hat, sollte sich auf Twitter einloggen und alles lesen, was dem Hashtag #dichterdran vorangeht. Da liest man von Frauen - meist Autorinnen oder Journalistinnen - die Literatur von Männern so rezensieren, wie Männer gerne mal Literatur von Frauen rezensieren. Besser und unterhaltsamer kann man Sexismus in der Literaturkritik nicht enttarnen.

Losgegangen ist alles mit einem Artikel über Sally Rooneys Debütroman „Gespräche mit Freunden“ im Schweizer Tages-Anzeiger. Der Autor bezeichnet das Aussehen der irischen Schriftstellerin in seiner Rezension „wie ein aufgeschrecktes Reh mit sinnlichen Lippen“.

Zwei Lieblingstweets als Beispiel:

Literarische Star-Generierung

Jede Werbung ist gute Werbung, heißt es. Der sehr gute, erste Roman von Sally Rooney hätte die #dichterdran-Diskussion gar nicht nötig gehabt, wird er aktuell ohnehin in allen Feuilletons rauf- und runterbesprochen. Er wird momentan in 30 Ländern verlegt, im englischen Sprachraum gilt Rooney aber schon seit 2017 als „große Stimme ihrer Generation“. In diesem Jahr ist ihr Debüt im englischen Original erschienen.

Ein Hype in der Literaturwelt ist nichts Seltenes, hat aber nicht immer (nur) mit Qualität, sondern auch sehr viel mit Vermarktung zu tun (siehe „Cat Person“ von Kristen Roupenian). Im Fall der 1991 in Castlebar, Irland geborenen Sally Rooney aber gilt: believe the hype.

Erster Roman: „Gespräche mit Freunden“

Im Titel „Gespräche mit Freunden“ steckt schon drin, was das Buch als Roman auszeichnet: es geht um die Kommunikation, bzw. vor allem um die Beziehungen zwischen den Hauptpersonen.

Im Zentrum steht Frances, die Anfang 20-jährige Ich-Erzählerin. Sie studiert, wie auch Sally Rooney früher, am Trinity College in Dublin Englische Literatur, ist intelligent, arm und in höchstem Maß selbstreflexiv („Ich legte mir schon Komplimente und bestimmte Mienen zurecht, um charmant zu wirken“).

Buchcover "Gespräche mit Freunden" von Sally Rooney

Luchterhand / Randomhouse

„Gespräche mit Freunden“ von Sally Rooney erscheint in der deutschen Übersetzung von Zoë Beck im Luchterhand Verlag.

Mit der Beziehung zu ihrer ehemaligen Freundin, mittlerweile nur mehr platonischen Lebenspartnerin Bobbi entwirft Sally Rooney ein Zwillingsmotiv: Bobbi ist für Frances dieser eine Mensch, der alles verkörpert, was sie selbst gerne wäre. Den sie wegstoßen will und gleichzeitig braucht:

Manchmal, wenn ich etwas Langweiliges machte, zum Beispiel wenn ich von der Arbeit nach Hause ging oder Wäsche aufhängte, stellte ich mir gern vor, ich sähe wie Bobbi aus. Sie hatte eine bessere Körperhaltung als ich und ein wunderschönes Gesicht, das man so leicht nicht vergaß. Ich steigerte mich so sehr hinein, dass ich es selbst glaubte, und wenn ich dann zufällig in mein Spiegelbild sah, überkam mich ein seltsam entpersonalisierender Schrecken.

Frances lebt von Fertignudeln, Kaffee und anregenden Gesprächen. Was ihr an - wie sie glaubt - emotionaler Überzeugungskraft anderen gegenüber fehlt, überspielt sie mit ihrem IQ: „Mein Ego war immer ein Thema gewesen. Ich wusste, dass intellektuelle Leistung moralisch bestenenfalls neutral zu bewerten war, aber wenn mir etwas Schlechtes widerfuhr, ging es mir besser, wenn ich daran dachte, wie klug ich war.“ Oder: „Ich werde irgendwann so klug sein, dass mich niemand mehr versteht.“ Der Wunsch, sich selbst die Welt durch erlerntes Wissen rational erklären zu können, scheitert wie immer dann, wenn Gefühle ins Spiel kommen.

Frances und Bobbi lernen über Poetry-Slam-Auftritte, bei denen sie gemeinsam auf der Bühne stehen, Melissa kennen, die wiederum mit Nick verheiratet ist. Es entspinnt sich eine seltsame Vierecks-Beziehung, in der jeder jeden zur gegebenen Zeit hasst und liebt. „Ich konnte nur entscheiden, ob ich Sex mit Nick haben würde oder nicht. Ich konnte nicht entscheiden, wie ich mich dabei fühlte oder was es bedeutete.“

Klug und überraschend

Sally Rooney ist vielleicht die erste irische Schriftstellerin seit Autor Colm Tóibín, die auf fantastische Art den Alltag mit ständiger Reflexion durchwebt, ohne dabei prätentiös zu klingen:

„Ich legte auf. Danach spritzte ich mir viel kaltes Wasser ins Gesicht und trocknete es ab, dasselbe Gesicht, das ich schon immer hatte, das ich bis zu meinem Tod haben würde.“ Oder: „Ich saß auf dem Boden (...) und dachte über meinen Tod nach. Ich war wie ein leeres Glas, das Nick ausgekippt hatte, und jetzt musste ich mir ansehen, was aus mir herausgequollen war: all meine irregeleiteten Vorstellungen über meinen eigenen Wert und meine Behauptung, ein Mensch zu sein, der ich nicht war.“

Die Sprache ist trocken und unausgeschmückt, so, wie es sein muss, wenn Dialoge aus dem realen Leben wiedergegeben werden. Was die Themen, die dann besprochen werden, nicht kleiner macht: In Gesprächen von Melissa, Nick, Bobbi und Frances geht es um das unverdiente Privileg der weißen Hautfarbe, um Impressionismus, um Wirtschaftspolitik oder Neoliberalismus: „Ich erklärte ihm, dass ich den Kapitalismus zerstören wollte und dass ich Männlichkeit persönlich als unterdrückend empfand.“

Keiner Generation verpflichtet

Gute Literatur zeichnet sich unter anderem dadurch aus, den Leser*innen das Gefühl zu geben, es ginge hier um genau ihr Leben. Um ihre Erfahrungen, um ihre Gefühle. Viele Rezesent*innen haben Sally Rooney die Medaille „Autorin der Millenials“ umgehängt.

Tipp!

Der zweiter Roman von Sally Rooney heißt „Normal People“ und ist fast noch eine Spur fantastischer als der erste. Aktuell ist er nur in englischer Sprache erhältlich.

Dabei haben sie sich wahrscheinlich vorgestellt, dass sich besagte „Millenials“ vor allem dann in Frances hineinversetzen können, wenn sie davon spricht, keinen Plan für ihr Leben zu haben: „Manchmal kam es mir so vor, als würde ich es nicht schaffen, mich für mein eigenes Leben zu interessieren, und das deprimierte mich. Andererseits fand ich, dass mein Desinteresse an Reichtum ideologisch gesund war.“

So einfach ist es aber nicht. Abgesehen davon, dass Sally Rooney in ihrem Roman fast keine popkulturellen Verweise streut (einmal läuft James Blake, einmal Animal Collective im Radio; einmal liegt ein Buch von Chris Kraus am Tisch - das war’s), die die Geschichte in der Gegenwart verankern würden, sind auch ihre wichtigsten erzählerischen Motive zeitlos: Die Einsicht, dass jede Art von Kontrolle über einen anderen Menschen Illusion bleiben muss. Dass man jemand anderen nie vollständig kennen oder verstehen kann, egal, wie sehr man ihn liebt. Und dass Schmerz subjektiv ist - und jeder auf seine eigene Art leidet.

In Sally Rooneys Roman weiß nicht nur Frances nicht, wie sie leben oder weitermachen soll. Auch ihr alkoholkranker Vater und auch Nick, der immerhin 10 Jahre älter ist als sie, wissen es nicht. Die Inhalte, Fragen und Antworten des Romans strecken sich über Generationen - es ist ein Roman für Generationen: Sally Rooney schreibt nicht darüber, wie 20-Jährige ticken. Sie schreibt darüber, wie Menschen ticken.

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