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Filmstills aus dem Film Boogie Nights

New Line Cinema

Das erste Mal: Boogie Nights

Paul Thomas Andersons schriller Trip durch die Pornofilmindustrie der späten 70er und frühen 80er gilt als Klassiker. Endlich habe ich „Boogie Nights“, erschienen im Jahr 1997, nachgeholt. Spannender noch als den Film fand ich allerdings die vielen Background-Stories rund um die Entstehung.

Von Jan Hestmann

Vom Tellerwäscher zum Pornostar. Das ist die Geschichte des Filmklassikers „Boogie Nights“ von Paul Thomas Anderson. Wenn man sich das Gesamtwerk des populären Regisseurs („Magnolia“, „There Will Be Blood“) ansieht, dann fällt „Boogie Nights“, sein zweiter Langfilm, gewissermaßen heraus - nämlich als besonders poppig und farbenfroh.

In der FM4 Sommerserie „Das erste Mal“ stellen sich Redakteur*innen jenen berühmten Streifen, die sie bislang immer verpasst haben.

Disco-Musik, Plateauschuhe, Schlaghosen, mächtige Frisuren: Seventies-Motive überall. „Boogie Nights“ porträtiert die Pornofilmindustrie der späten Siebziger und frühen Achtziger Jahre und folgt dabei dem perspektivlosen Jüngling Eddie (Mark Wahlberg). Seinem hübschen Gesicht verdankt er es, dass er eines Nachts vom renommierten Pornofilmregisseur Jack Horner (Burt Reynolds) entdeckt wird. Der gut bestückte Eddie kann vor der Kamera überzeugen und mausert sich in kürzester Zeit zum neuen Pornostar Dirk Diggler.

Vorlage 30 Zentimeter Penis

„Boogie Nights“ ist die Fortführung von Paul Thomas Andersons allererstem Kurzfilm, einer Mockumentary mit dem Titel „The Dirk Diggler Story“ (1988), inspiriert durch den Siebziger-Jahre-US-Pornostar John Holmes.

Inoffiziell ist John Holmes also auch die reale Vorlage für „Boogie Nights“ gewesen. Holmes galt damals zwar nicht als besonders schön oder charismatisch - sein 30 Zentimeter langer Penis öffnete ihm allerdings Tür und Tor zur großen Karriere im Porno-Geschäft und machte ihn zum „King of Porn“.

Filmstills aus dem Film Boogie Nights

New Line Cinema

Mark Wahlberg war Anfang der Neunziger noch als Rapper Marky Mark und vor allem als Calvin-Klein-Unterwäschemodell bekannt. Damals schrieb der junge Marky auch eine Autobiografie, die er seinem Penis widmete:

„I wanna dedicate this book to my dick.“

All das mag wohl mitunter dazu geführt haben, dass Mark Wahlberg schließlich von Paul Thomas Anderson für die Rolle des Dirk Diggler in „Boogie Nights“ besetzt wurde. Das sollte sein Durchbruch als Schauspieler sein.

Burt Reynolds hasste „Boogie Nights“

Burt Reynolds hingegen hatte mit „Boogie Nights“ ein Leinwand-Comeback. Er soll bekannterweise aber alles andere als ein Fan des Films sein. Mit dem damals noch sehr jungen Regisseur Paul Thomas Anderson ist es während des Drehs immer wieder zu Reibereien gekommen. Geschichten zufolge soll er Anderson einmal sogar fast geschlagen haben. Auch die Tatsache, dass „Boogie Nights“ Burt Reynolds seine erste und einzige Oscar-Nominierung bescherte, änderte zeitlebens nichts an seiner Meinung zu Film und Regisseur.

In „Boogie Nights“ spielt er den ambitionierten Pornofilmregisseur Jack Horner, einen der letzten seiner Art. Auf Film gedreht versucht er Porno möglichst kunstvoll zu inszenieren, eingebettet in - zumindest für Pornoverhältnisse - komplexe Storylines. Was Jack Horner als große Kunst betrachtet, kommt in „Boogie Nights“ tatsächlich aber ziemlich trashig rüber. Das soll auch Burt Reynolds immer gestört haben. Er habe seine Rolle nie verstanden.

Zuletzt hat sich auch Anderson-Freund Quentin Tarantino Burt Reynolds Figur als eine Schwäche des Films herausgestrichen.

Filmstills aus dem Film Boogie Nights

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Julianne Moore als Ersatzmama und Pornodarstellerin Amber Waves

Eighties killed it

Eddie zieht also in Jack Horners Villa, wo Jack gemeinsam mit seiner Filmcrew, Darsteller*innen, Produzenten und anderen Homies regelmäßig wilde Partys schmeißt. Darunter auch Pornodarstellerin und Muse Maggie alias Amber Waves (Julianne Moore). Mit der Zeit werden Jack und Maggie so etwas wie Eddies Ersatzeltern. So ist „Boogie Nights“ unterm Strich eigentlich eine Art Familiendrama, bloß eben eines, das im Porno-Milieu spielt.

Interview mit Paul Thomas Anderson über „Boogie Nights“

„Boogie Nights“ soll den Untergang einer goldenen Ära abbilden. Die heile Welt der Siebziger Jahre, in der das Pornogeschäft ein rauschendes Fest der Lust und Liebe war und Sex, Drugs & Rock’n’Roll im Übermaß ohne Konsequenzen bleiben, geht über Nacht den Bach hinunter, als die Achtziger hereinbrechen. Es ist kein Geld mehr da für Qualitätsporno, Amateurfilm und Video dominieren ab sofort den Markt. Es folgen unschöne Exzesse, Überdosis, Mord und Totschlag.

Es ist alles sehr überspitzt in „Boogie Nights“, man kann schon von einer comichaften Inszenierung sprechen, in deren Mittelpunkt der Riesenpenis von Dirk Diggler steht. Die Siebziger sind dabei heillos romantisiert - unübersehbar schlägt hier Andersons Vorliebe für dieses Jahrzehnt, das er selbst nur als Kind erlebt hat, durch. Umso unverhältnismäßiger brechen die Achtziger dann wie die Apokalypse herein. Dabei sind die jeweiligen Jahrzehnte bloß Stilmittel einer klassischen Rise-and-Fall-Dramaturgie.

Paul Thomas Anderson lässt in „Boogie Nights“ vergnüglich Komik auf Gewalt krachen. Das lässt teils schon an Tarantinos „Pulp Fiction“ erinnern, der drei Jahre zuvor in die Kinos kam. Besonders sinnbildlich dafür steht wohl eine der eigenartigsten Szenen des Films, „Jessie’s Girl“:

Göttliche Besetzung

„Boogie Nights“ hat einen liebenswürdigen Retro-Soundtrack und eine kurios starke Besetzung, vor allem in den Nebenrollen. Neben Mark Wahlberg, Burt Reynolds und Julianne Moore treffen wir auch noch auf John C. Reilly, Philip Seymour Hoffman, Don Cheadle, William H. Macy und Heather Graham; die meisten werden wir in späteren Filmen von Paul Thomas Anderson wiedersehen.

Satte zweieinhalb Stunden dauert „Boogie Night“, ein rauschender Trip, der mich über 20 Jahre nach seiner Entstehung durchwegs gut unterhält.

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