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Tarantinos Abgesang auf eine Ära

In seinem neunten und angeblich vorletzten Film “Once Upon a Time ... in Hollywood” verbeugt sich der Starregisseur Quentin Tarantino vor dem Los Angeles der Vergangenheit. Rollt das düstere Ende der Sixties auf. Und vermischt Fakten und Fiktion auf kontroverse Weise.

Von Christian Fuchs

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Radio FM4

FM4 Film Talk Podcast: Christian Fuchs spricht mit Alexander Horwath, vormaliger Direktor des Österreichischen Filmmuseums, über das Jahr 1969: Welche popkulturellen und politischen Umstürze sind damals passiert? Welche Veränderungen ereigneten sich in Hollywood? Und wie sieht der Blickwinkel von Quentin Tarantino in seinem Film aus?

1969, dieses Jahr beginnt in einer kollektiven Aufbruchsstimmung. Es scheint für einen Augenblick lang, als ob sich tatsächlich einige Utopien verwirklichen. Der Mensch landet auf dem Mond - und das Weltall rückt plötzlich entscheidend näher. Die Jugend rebelliert rund um den Globus - und Versprechungen eines besseren, befreiteren Lebens liegen in der Luft.

Der abgehalfterte Fernsehdarsteller Rick Dalton nimmt in Quentin Tarantinos neuem Film „Once Upon a Time ... in Hollywood“ wenig von diesen Veränderungen wahr. Für ihn geht eine persönliche Ära zu Ende. Die Westernserien, in denen Rick als fescher Held den Bildschirm dominierte, interessieren das Publikum nicht mehr. Der gockelhafte Schauspieler, von Leonardo DiCaprio großartig tragikomisch gespielt, versucht nun verzweifelt den Sprung auf die große Leinwand – und als B-Movie-Akteur in Hollywood zu überleben.

Schon entschieden cooler wirkt Cliff Booth, Ricks Stuntdouble, der den unsicheren Schauspieler als best buddy auch durch den Alltag manövriert. Brad Pitt kann diese Rolle zurückhaltend anlegen, sich auf seinen verkniffenen Blick verlassen, sein Superstar-Charisma verleiht der Figur ohnehin eine dringliche Präsenz. Ein paar eingestreute und überaus grimmige Erwähnungen zu Cliffs Vergangenheit lassen den Stunt-Profi mit dem breiten Grinsen und lässigen Look aber durchaus gefährlich erscheinen.

Ein Mann redet mit einem anderen

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Liebeserklärung an ein fernes L.A.

Weil sich von einem Quentin-Tarantino-Film ohnehin niemand konventionelles Storytelling erwartet, folgt der Regisseur seinen beiden Protagonisten einfach ein paar Tage lang auf Streifzügen durch Tinseltown. Rick und Cliff besuchen Filmsets und Partys, cruisen durch das Los Angeles der Vergangenheit, das der Film beeindruckend und ohne sichtbare digitale Tricks auferstehen lässt. Aus dem Autoradio dröhnen dabei fiebriger Soul, aufgeganserlter Rock’n’Roll und euphorisierender Bubblegum-Pop, unterbrochen von plärrenden Werbespots.

Besonders berauschend rückt Tarantinos Stammkameramann Robert Richardson die Nächte in diesem Neon-Traumland ins Bild, in denen die Stadt zu einem speziellen Leben erwacht. „Once Upon a Time ... in Hollywood“ ist eine glühende und unverhüllt nostalgische Liebeserklärung an ein fernes L.A., das der Regisseur zu einem bedrohten Paradies verklärt.

Während in der echten US-Filmindustrie anno 1969 Panik herrschte, weil der ganze faule Kommerz-Zauber an den Kassen nicht mehr funktionierte, zelebriert Ultrafanboy Tarantino noch einmal Old-School-Genres wie den Kriegsfilm, den klassischen Western oder das Musical. Inklusive kurzer Auftritte einiger realer Ikonen der damaligen Film- und Fernsehszene. Damien Lewis („Homeland“) überzeugt in einem Cameo als Steve McQueen, Kung-Fu-Legende Bruce Lee (Mike Moh), der seinerzeit durch schundige Serien wirbelte, gerät in einer Konfrontation mit Stuntman Cliff leider zur Karikatur.

Zwei Männer fahren in einem Auto

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Die Blumenkinder des Bösen

Ab einem bestimmten Punkt der locker vor sich hingroovenden, beinahe dreistündigen Erzählung rückt neben den beiden Männern eine Frau immer mehr ins Zentrum. Im Gegensatz zu Rick Dalton und Cliff Booth gab es die glamouröse Sharon Tate (Margot Robbie) wirklich, ihr entsetzlicher Tod markiert für die Pop-Geschichtsschreiber den Wendepunkt, an dem sich 1969 alles verdunkelt. Als die hochschwangere Schauspielerin, zusammen mit einigen Freunden, am 9. August in ihrer Villa förmlich abgeschlachtet wird, fährt der Schock nicht nur Hollywood in die Knochen.

2x2 Karten zu gewinnen

Wir verlosen 2x2 Karten für die Vorpremiere von „Once Upon a Time ... in Hollywood“ (161 Minuten, OV) am 14. August um 20 Uhr im Wiener Gartenbaukino unter allen, die folgende Frage richtig beantworten:

In welchem Film sind sich Leonardo DiCaprio und Margot Robbie schon früher begegnet?

Danke fürs Mitmachen! Die Gewinner*innen wurden per Mail verständigt.

Die Morde der hippiesken Manson-Family bringen die Seifenblase von Love & Peace zum Zerplatzen. Denn plötzlich stehen die zotteligen jungen Leute mit dem friedlichen Lächeln nicht mehr für freie Liebe und Pazifismus. Aus den Flowerpower Kids sind in der öffentlichen Wahrnehmung Blumenkinder des Bösen geworden.

„Fucking Hippies“, mault der Kriegsveteran Cliff ohnehin schon den ganzen Film hindurch – und in einer der spannendsten Episoden begleitet Brad Pitt eine blutjunge Anhalterin auf die gruselige Spahn Movie Ranch. An dem staubigen Ort in L.A. County wurden Anfang der Sechziger noch Cowboystreifen gedreht, 1969 hausen dort der Guru Charles Manson und seine halbnackte Außenseiter-Gang.

Tarantino spielt beim Aufeinandertreffen der beiden Welten – hier der smarte Stuntman, der aber natürlich für das konservative, alte Amerika steht, dort die progressiven Revoluzzer, vor denen man(n) sich aber fürchtet – bewusst manipulativ mit den Publikumsemotionen. Denn wer ein bisschen die Geschichte kennt, weiß um die grauenhaften Taten der Family Bescheid. Wir identifizieren uns also ganz mit dem älteren weißen Mann, der den verstörenden Hippie-Teens handfest die Grenzen aufzeigt.

Mann geht neben einem parkenden Auto her

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Alternatives Historien-Epos

Während die Manson-Mädchen wie Gespenster durch den Film huschen, in kleinen, immer wieder eingestreuten Szenen, repräsentiert Sharon Tate das Licht, den Optimismus und den verführerischen Flair der Late Sixties. Einmal folgt Tarantino dem blonden Shootingstar in ein Kino in Downtown, wo sie sich selbst, in einer schrottigen Agentenfilm-Parodie, auf der Leinwand sieht. Es ist einer dieser berückenden Meta-Momente, die es öfter in den Filmen dieses Regisseurs gibt: Margot Robbie als Sharon Tate amüsiert sich über die echte Sharon Tate und genießt jeden Lacher im Auditorium.

Quentin Tarantino mag Sharon Tate nicht allzu viele Dialogzeilen zugestehen, wie es einige Feministinnen kritisieren. Aber ihre Aura überstrahlt den Film und auch die Handlungsstränge rund um Cliff und Rick. Dank einer entscheidenden Drehbuchidee wohnt Tate in diesem Filmmärchen übrigens in direkter Nachbarschaft zu Leonardo Di Caprios Figur, zusammen mit ihrem polnischen Regiegatten Roman Polanski. Wie Tarantino in „Once Upon a Time ... in Hollywood“ nicht nur mit diesem Einfall Fakten und Fiktion kollidieren lässt, ganz in der Tradition von „Inglourious Basterds“ und „Django Unchained“, löst sicher Kontroversen aus.

Menschen tanzen auf einer Party

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Der neunte und angeblich vorletzte Film von Quentin Tarantino ist also wieder einmal vieles gleichzeitig: packendes Schauspielerkino, eine visuelle Verbeugung vor einem Los Angeles, das so nicht mehr existiert, ein bittersüßer und auch sehr komischer Abgesang auf maskuline Genres, die dem fortschrittlichen New Hollywood Platz machen musste (bis dann wieder die Blockbuster übernahmen, aber das wäre eine andere Story), ein alternatives Historien-Epos. Vor allem ist es aber ein gleichzeitig zärtlicher und harter Film. Tarantino feiert rührend das Kino - und zeigt am Ende mit cinephilen Mitteln dem Jahr 1969 die geballte Faust.

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