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Pride in Polen

APA/AFP/Janek SKARZYNSKI

„LGBT-freie Zonen“ in Polen, Homosexuelle und Transgender-Personen als „Staatsfeinde“

Der Chef der polnischen Regierungspartei PiS erklärt Homosexuelle und Transgender-Personen zu Staatsfeinden. Eine regierungsnahe Zeitung verteilt Aufkleber mit durchgestrichenen Regenbogenfahnen. 30 Gemeinden erklären sich zur „LGBT-freien Zone“.

Von Christoph „Burstup“ Weiss

Im Herbst wird in Polen ein neues Parlament gewählt. Im diesjährigen Wahlkampf werden Unterschiede zum vorigen sichtbar. Vor vier Jahren erklärte die regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) vor allem Immigranten, die sogenannten Bürokraten in Brüssel sowie den Philantropen und Investor George Soros zu Feinden Polens. Heuer hat sich die PiS ein neues Opfer ausgesucht: die LGBT-Community.

Im April bezeichnete Jarosław Kaczyński, früher Ministerpräsident und derzeit Chef der PiS, das Gay-Rights-Movement als „Bedrohung der polnischen Identität und des polnischen Staates“. Im selben Monat erklärten sich 30 von der PiS regierte Stadtgemeinden und politische Bezirke Polens als „frei von LGBT-Ideologie“. Miroslawa Makuchowska von der Plattform Kampagne gegen Homophobie (Kampania przeciw homofobii, KPH), sagt: „Die Hauptstrategie der PiS ist es, den Menschen Angst vor LGBT-Personen einzuflößen. Sie werden als Pädophile bezeichnet, als Bedrohung der Familie und als Bedrohung für religiöse Traditionen.“

Menschenrechts-Aktivistin Elzbieta Podlesna hat in der Stadt Plock ein Poster der Heiligen Maria aufgehängt - mit ihrem Heiligenschein in Regenbogenfarben

Elzbieta Podlesna

Auch einzelne Personen werden zur Zielscheibe. Im Mai plakatierte die Menschenrechts-Aktivistin Elzbieta Podlesna in der Stadt Plock ein Poster der Heiligen Maria - mit ihrem Heiligenschein in Regenbogenfarben. Sie reagierte damit auf eine kirchliche Oster-Schautafel, in der vor Kriminalität und Sünden gewarnt wurde, wobei als Sünden auch die Begriffe „Gender“ und „LGBT“ aufgelistet waren. Nach der Veröffentlichung ihres Marien-Posters wurde die Wohnung der Aktivistin von der Polizei gestürmt und die Frau verhaftet.

Im Juli verbreitete die regierungsnahe Zeitung Gazeta Polska Aufkleber mit durchgestrichener Regenbogenflagge und der Aufschrift „strefa wolna od LGBT“, übersetzt „frei von LGBT“.

Kurz danach wurden die Besucherinnen und Besucher einer Pride-Parade in Bialystok von Rechtsextremen attackiert. Dutzende Menschen wurden verletzt. Miroslawa Makuchowska: „Es wurden Steine und Flaschen geworfen. Menschen wurden in den Straßen gejagt, angespuckt und geschlagen – von Hooligans. Aber es gab auch gewöhnliche Bürger, die aus ihren Häusern herauskamen und starke Aggression zeigten. Kurz vor dem Pride March in Bialysok hat der lokale Bischof dazu aufgerufen, die Veranstaltung zu besuchen und hart dagegen zu protestieren.“

Polizei geht mit Tränengas gegen die Pride in Bialystok vor

APA/AFP/Jerzy Baliski

Ein Gericht in Warsachau verbot der Gazeta Polska mittlerweile die weitere Verbreitung ihres Aufklebers. Die PiS aber dreht weiter an der Eskalationsschraube und will ganz Polen zum „LGBT-freien Land“ erklären. Makuchowska ist angesichts der jüngsten Geschehnisse pessimistisch: „Die Zahl der Menschen, die solidarisch mit der LGBT-Community sind, ist definitiv niedriger als die Zahl jener, die das falsche und schädliche Narrativ der PiS glauben, alle LGBT-Personen wären pädophil und gefährlich. Die PiS gewinnt den Krieg, den sie gegen uns führt.“

Vereinzelt gibt es Protest aus der Zivilgesellschaft: Während der letzten Wochen wurde in Social Media der Hashtag #jestemLGBT, übersetzt „ich bin LGBT“, zum Trend in Polen. Ein Massen-Coming-Out von 20.000 Userinnen und Usern. „Es ist eine Grassroots-Initiative“, sagt Miroslawa Makuchowska. „Sie wurde auf Twitter und Instagram gestartet von einer LGBT-Person, die sagte: Userinnen und User sollten herauskommen und sagen, dass sie keine „Ideologie“ sind und kein abstraktes Konzept, sondern Menschen, die in ihren Heimatgemeinden ihr Leben in Sicherheit leben wollen.“

Der Equality March in Białystok am 20. Juli 2019.

Marcin Onufryjuk / fb Marsz Równości w Białymstoku

Der Equality March in Białystok am 20. Juli 2019. Dutzende Menschen wurden bei Angriffen durch Rechtsextreme verletzt.

Gerade diese Sichtbarkeit sei normalerweise im Kampf gegen Diskriminierung sehr wichtig, sagt Makuchowska. Paradoxerweise führe aber in der jetzigen Situation – im eskalierenden Wahlkampf Polens – Sichtbarkeit zu noch mehr Verfolgung: „Sie erzeugt gerade mehr Gegenreaktionen, mehr Ansporn für die PiS und die Kirche, uns anzugreifen.“ Derzeit etwa steige die Zahl der Facebook-Aufrufe, andere Pride-Paraden und LGBT-Events, die in Polen geplant sind, zu blockieren oder zu attackieren.

Deshalb hat die KPH gemeinsam mit Lambda Warszawa eine Petition auf Allout.org gestartet. „We’re under attack in Poland“ lautet die Überschrift – angesichts der jüngsten Geschehnisse keine reißerische Übertreibung. Die Autoren der Petition bitten um Hilfe seitens der Europäischen Union. Sie solle die Gewalt und Diskriminierung in Polen zu verurteilen. Derzeit haben rund 30.000 Menschen unterschrieben.

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