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Bon Iver

Ben McQuiade

Früher als gedacht: Bon Iver releasen ihr neues Album „i,i“

Ohne Mystik und Überraschung kein Bon Iver: das neue, vierte Album „i,i“ ist drei Wochen vor dem eigentlich geplanten, physischen Release erschienen. Es ist wie eine Art Best-Of der Band zu verstehen. Auf gute Weise.

Von Lisa Schneider

Justin Vernon hat genug. Genug vom Image des bärtigen Barden, der irgendwo in den Wäldern von Wisconsin sitzt und Sehnsuchtslieder schreibt, auf dass alle eure Herzen brechen mögen. Das war schon klar mit dem Release des letzten Bon-Iver-Albums, „22, A Million“, auf dem er seinen sonst eher analog-akutischen Folksound in poröse, vocoderverliebte Spitzfindigkeiten verwandelt hat. Ein Meisterwerk neuester Popgeschichtsschreibung.

Justin Vernon und seine Geheimnisse

„22, A Million“ war vollgestopft bis oben mit technischen Ominösitäten, seltsamen Buchstaben- und Zahlenkombinationen und Songs, die so weit weg von klassischer Songstruktur waren, dass es manchmal in den Ohren nur so klappert. Justin Vernon hatte Spaß. Außer einer Pressekonferenz in Eaux Claire, der Stadt, in der er auch ein schönes Festival mit all seinen guten Musikerfreund*innen veranstaltet, hat er keine erklärenden Interviews gegeben. Ironischerweise hat er damit den Personenkult um ihn nur noch weiter angestachelt. Immerhin: keine romantische Waldhütte mehr.

„22, A Million“ hat Bon Iver zum Insidertipp unter den Mainstreamgrößen gemacht, die Band, auf die sich alle einigen können. Vielleicht gar nicht so sehr die klassischen Fans, sondern eher die Menschen, die selbst Musik machen. Und die verstehen, dass man als Künstler oder Künstlerin immer nach vorne drängen muss.

Cover "i,i" von Bon Iver

Jagjaguwar

„i,i“, das vierte Studioalbum von Bon Iver, erscheint via Jagjaguwar.

Was Justin Vernon nach dem großen Release alles angestellt hat - es ist sehr viel - ist hier übersichtlich zusammengefasst. Ein paar gut vertrackte Soundschablonen hat er bei seinem gemeinsamen Projekt mit The National’s Aaron Dessner Big Red Machine abgeladen. War ihm nach musikalischer Familienfeier, hat er von Feist bis Erlend Øye alle zum People Festival nach Berlin geladen. Getourt hat er auch, lange und viel. Und daneben weitergebaut an dem, was wir jetzt mit dem nächsten kryptischen Titel „i,i“ in Händen halten dürfen.

Kollektive Popmusik

Seinen beneidenswert talentierten Freundeskreis hat Justin Vernon natürlich auch jetzt dazugeholt. Kollaborateur*innen sind dieses Mal unter anderem James Blake, Moses Sumney, Wye Oak’s Jenny Wasner oder Young Thug-Compagnon Wheezy. Statt gesampelten Stimmen wie noch am Vorgänger-Album leben, atmen und arbeiten die Mitkünstler*innen hier fleißig, und alle für ein gemeinsames Ziel: die Stimme Justin Vernons, fast immer gedoppelt, oder mal mehr oder weniger zart verfremdet wieder ins volle Rampenlicht zu heben. Sogar Bruce Hornsby gibt sich die Ehre: Nachdem schon Justin Vernon auf dessen heuer veröffentlichten Album „Absolute Zero“ vertreten war, singt er jetzt - wenn auch nur eine Zeile - auf „U (Man like)“.

Alles begann vor einigen Wochen mit einem schrägen Teaser-Video: „Sincerity is forever in season“, stand da, danach hüpft ein Wolf durch den Schnee, man hört die ersten Akkorde des Über-Hits vom ersten Album „Skinny Love“. „Bon Iver, born in winter, bloomed in spring“, erzählt eine schwere, schöne Männerstimme. Weiter geht’s in den Sommer, mit erwähntem dritten Album „22, A Million“. Und dann: „And now, it might be autumn“.

Dass man anhand dieses plakativen, so gar nicht artsy Trailer das gesamte neue Album wird erklären können, war fast unvorstellbar. Aber: Was ist die Musik von Bon Iver, wenn nicht auf beste Weise merkwürdig?

Über die letzten Monate sind schon mehr Vorab-Singles veröffentlicht worden, als Marketingstrategien normalerweise zur Ausschlachtung preisgeben. Zuerst gleichmal im Doppelpack „U (Man Like)“ und „Hey, Ma“. Kurz darauf das nächste Doppel mit „Jelmore“ und „Faith“. Und dann, letzte Woche, war plötzlich alles da, alle dreizehn Songs, die Namen fremdelnd wie mittlerweile gewohnt: „Naeem“, „Sh’Diah“ oder „RABi“.

Und auch wenn erneut viel kracht und knackt und die Hörgewohnheiten fordert, ist Justin Vernon vor allem immer ein Melodien-Großmeister. Er hat die Grenzen seiner Musik ausgelotet, um jetzt wieder zur Essenz zurückzukehren. „Hey, Ma“, ist vielleicht überhaupt der beste Folk-Song, den Justin Vernon seit dem selbstbetitelten, zweiten Album geschrieben hat: Weich und hymnisch zwischen den sonst so gern gehexelten Beats und Verfremdungen.

Sagen wir: Future-Folk

Es schrummt auch wieder gut auf „i, i“, wie man auf „Marion“ oder „Faith“ hören kann. Die trockene, fast ein bisschen verstimmte Akustikgitarre, der markante Bariton. Mütter, Väter, Götter, das Leben: Ur-Folk-Ingredienzen eben.

Man bekommt das Gefühl, Justin Vernon möchte hier auch wieder die zurück ins Boot holen, die ob der obskuren Fabelhaftigkeit von „22, A Million“ von Bord gegangen sind. Alle anderen werden beim Song „iMi“ miteinstimmen: „I like you / And that ain’t nothing new“.

Schon die ersten vier veröffentlichten Singles haben angedeutet, dass wir hier etwas erhalten, was man als bisheriges Bon-Iver-Karriere-Best-Of bezeichnen könnte. Nicht die schäbigen Sampler, um noch einmal gut Geld zu machen, sondern das, was die Essenz der früheren drei Alben am jetzigen, vierten, zusammenführt. Das Eklektische und das Harmonische, das Schwierigste und Beste gemeinsam. So, wie aktuell neben Justin Vernon, dem Folk-Erneuerer, nur wenige schreiben.

Eine große Frage bleibt offen: Was kommt nach dem Herbst? Am letzten Song, „RABi“, heißt es: „Sunlight feels good now, don’t it? And I don’t have a leaving plan“. Es ist davon auszugehen, dass Justin Vernon die Antwort parat hat. Ob er sie uns verrät, ist eine andere Sache.

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