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Charli XCX

Franz Reiterer

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Das FM4 Frequency Festival 2019 zwischen Neu, Alt, EDM und Pop

Charli XCX und Macklemore beenden das FM4 Frequency Festival 2019. Pop-Highlights, EDM und ein fast gänzlich ausverkauftes Wochenende: der Erfolg gibt den Veranstaltern Recht. Betrachtungen zur 19. Festivalausgabe.

Von Lisa Schneider

Österreichische Festivalkultur in a nutshell: Kein FM4 Frequency Festival ohne das goldene Konglomerat an Coverversionen von Songs wie „Pretty Fly (For A White Guy)“, „Seven Nation Army“ oder „Killing in the name“. Und: „Wonderwall“. Die Kakophonie zwischen EDM-Gebrüll, diversen Campingplatz-Partys und der zwar leisen, aber immer noch schrummenden Indiegitarre sind am letzten Abend im Greenpark St. Pölten am Höhepunkt angekommen. Auch ein Song, der in die Schreckensliste gehört, ist „I Love It“ von Icona Pop. Während sie kreischen, wissen wohl die wenigsten, dass dieser nicht von der schwedischen Band selbst, sondern eigentlich aus der Feder der britischen Musikerin Charli XCX stammt.

Zukünftige Popmusik

Charli XCX ist einer der vielversprechendsten Popstars unserer Zeit. Sie hat schon viel öfter die Strippen im Hintergrund gezogen, als man zählen kann: 2012 ist sie mit besagtem Song „I Love It“ in die weltweiten Charts und Festivalplaylists eingezogen. Sie war mit Santigold und Coldplay auf Tour. Sie hat den Stooges Song „No Fun“ besser gespielt als die Band selbst. Sie hat mit und für Gwen Stefani, Selena Gomez oder Britney Spears geschrieben. Die Liste lässt sich fast endlos fortsetzen.

Während all der Songs, Mixtapes und Kollaborationen schreibt Charli XCX aber natürlich auch für sich selbst. 2013 veröffentlicht sie die noch eher zurückhaltende Gothpop-Perle „True Romance“, danach, 2014, das impulsive Album „Sucker“. Und im September wird das neue, dritte Album von Charli XCX erscheinen. Es heißt „Charli“ und wird nach den Erfolgen der zwischenzeitlich veröffentlichten EPs und Mixtapes das wohl heißeste Album im Popherbst. Oder, wie Charli XCX sagen würde: „I need to just own my own fucking shit finally.“

Wenn Charli XCX „on my own“ sagt, meint sie aber nicht, dass sie die Egoshow durchzieht. Und das ist auch beim gestrigen Set so: von manchen wird sie als die beste, neue Alt-Pop-Ikone gefeiert. Sie geht aber genauso gut auf Leute zu, die nicht ständig die Pitchfork-Startseite durchforsten und vielleicht noch nie von ihr gehört haben. Das merkt man bei Bühnenansagen wie: „You probably didn’t know that song – but thanks for dancing anyway.

Charli XCX steht allein auf der Bühne, aber vor allem im Studio setzt sie weiterhin auf Zusammenarbeit: die Liste an Gästen auf ihrem kommenden Album ist spannender als je zuvor. Mit dabei sind HAIM, Troye Sivan, Christine and the Queens, Lizzo, cupcakKe oder Clairo. Erst am vergangenen Freitag ist eine neue Vorabsingle zum Album erschienen: „Cross You Out“ - gemeinsam mit Sky Ferreira.

Alle Zeichen stehen gut, dass wir uns bei „Charli“ auf die vertonte Pop-Avantgarde freuen dürfen, so, wie sie trocken und klar gestern am Frequency in einem gefühlt viel zu kurzen Set passiert ist. Meine Kollegin Dalia Ahmed sagt: die gute Mischung aus Grimes und Britney Spears. Charli XCX schreibt verwinkelte Popsongs, zu denen man tanzen, über denen man aber auch brüten kann.

This is fucking awesome

Macklemore ist wieder hier. So wie letztes Jahr. Ein bisschen faules Booking, sagen die einen, gute Livegaranten lässt man nicht so einfach ziehen, die anderen. Egal, auf welcher Seite man steht: Goofiness, Konfettikanonen und Statement - Macklemore ist ein Allroundgenie, wenn es um den ganz großen Hiphop/Pop-Zirkus geht. Auch deshalb ist er hier perfekt platziert, auf der größten Bühne und zur guten Zeit, um 23.00 Uhr.

In Kreisen klingen Phrasen wie „there should be no borders“ oder „the importance of diversity“ nach Plattitüde. Zu schnell vergisst man dabei, dass Macklemore zwischen all dem Pomp, Glitzer, wechselnden Outifts, riesigen, knallbunten Visuals und Perücken nicht die spärliche Zeit zwischen den Songs für politische Ansagen nützen müsste. Er macht es trotzdem. Zum Abschluss eines Festivals sind gerade diese scheinbar so einfachen Sätze die, die man sich eventuell mit nach Hause nehmen sollte.

Rangeln um die Spitze

Partypomp und Sozialkritik, das sind die zwei Dinge, die auf einem Festival im besten Fall zusammenfließen. Das FM4 Frequency Festival 2019 ist heuer eher zurückhaltend, was die politischen Bühnenansagen angeht. Dafür wird hier große Poppolitik verhandelt.

Mit Billie Eilish haben wir hier den ersten Auftritt einer schon großen, in Zukunft wahrscheinlich legendären Künstlerin gesehen. Dass da alles getaktet ist, und sie jedes Set ihrer kommenden, monatelangen Tour nicht von Abend zu Abend ändert, ist Teil der Maschinerie, in der sie – gerade 17! – schon seit Jahren steckt. Manche Dinge muss man für den Weltruhm in Kauf nehmen, und das ist im Fall der Fans eine eher unpersönliche Show, die routinierter kaum hätte passieren können. Es wird spannend, Billie Eilish in fünf Jahren – dann am richtigen, am Headliner-Platz, zu sehen.

Billie Eilish @FM4 Frequency Festival

Franz Reiterer

Billie Eilish

Man kann einen schönen Bogen über die letzten drei Konzertabende spannen – in einer möglichen Konstellation heißen die Eckpunkte dann: Billie Eilish, Twenty One Pilots, Yungblud, Charlie XCX und Macklemore. All diese Acts haben, unabhängig vom Genre, eines gemeinsam: Sie gehören zu den großen Playern der internationalen Popindustrie – oder sind auf dem Weg dorthin. Daran gemessen kann das FM4 Frequency durchaus mit gut kuratierten Festivals quer durch Europa mithalten. Das Problem ist eher, mit Ausnahmen, was dazwischen passiert.

Wirft man einen Blick aufs Line-Up, fühlen sich die Lücken oft so an, als wäre einem beim Zeichnen die Malfarbe ausgegangen. Seltsame Genre-Wechsel auf allen Bühnen clashen mit Fehleinschätzungen, auf dass der Bereich vor der Green Stage etwa beim Auftritt von Yungblud knackevoll ist, sich aber danach beim Auftritt von Mavi Phoenix auf ein Drittel entleert. Gut, hier hat auch der zehnminütige Regenguss mithineingespielt.

Am Zeitgeist entlang buchen

Schon letztes Jahr hat sich die Frage gestellt, wie sich das FM4 Frequency in der nationalen, aber auch in der internationalen Festivallandschaft platzieren wird. Viele waren empört. Cloudrap ist im Sommer ’18 gerade an einem weiteren Höhepunkt angekommen, Yung Hurn hat es uns allen bewiesen. Dass heuer mit dem Booking von Billie Eilish ein sehr verfrüht schon angekündigter Glücksgriff gelungen ist, war ein Schritt in die zeitgemäße, notwendige Richtung. Hier hätte man ansetzen und weitermachen können.

Yungblud

Franz Reiterer

Yungblud

Als eines von vielen Beispielen hätten etwa die große britische Band der Stunde, The 1975, gerade diesen ersten Festivalabend besser abgerundet, als es dann eben am Donnerstag mit dem schon eher verstaubten Nostalgie-Wüstenrock von Sunrise Avenue passiert ist. Hätte, würde, könnte: dass auch im Frequency-Booking-Büro nicht einfach der Wunschzettel ausgefüllt und ans Christkind abgeschickt wird, ist klar. Mit dem Streben nach einem zeitgemäßen Popfestival alles, oder zumindest einiges mehr auf eine Karte zu setzen, wäre ja vielleicht trotzdem möglich gewesen.

Das FM4 Frequency hängt seit letztem Jahr in einer Art Limbo fest, wo kräftig versucht wird, das Alte und das Neue zu verbinden. Recht kann man es niemandem machen, und am wenigsten denen, die jedes Jahr noch lauter schreien: „Vor zehn Jahren war alles viel besser!

Was ist besser? Gedankenexperiment: Würden für das kommende FM4 Frequency Festival Acts wie Placebo, Interpol und The Strokes gebucht, würden genau diese zornigen Kommentator*innen denken: „Schön. Endlich wieder so, wie’s früher war.“ Aufs Festival fahren würden sie trotzdem nicht. Weil: „Eh schon alles hundertmal gesehen.

Ich schreibe das alles aus folgender Sicht: Mein erstes FM4 Frequency Festival war das letzte, das am Salzburgring stattgefunden hat. Das ist heuer genau zwölf Jahre her. The Killers waren da, Die Fantastischen Vier, Travis. Peter Doherty bzw. Babyshambles nicht. Ich war dabei, ich weiß, wie es „früher“ war und auch deshalb ist dieser Text keine Beleidigung derjenigen, die mit dem heurigen Line-Up nichts anfangen können.

Gute Festivalerinnerungen sind eine schöne Sache, nur darf man nicht vergessen, wer das Zielpublikum dieser 19. Ausgabe des FM4 Frequency Festival ist.

Jeder Generation ihr Festival, das habe ich letztes Jahr, nach dem FM4 Frequency 2018, geschrieben. Der Satz gilt immer noch. Die heurige Ausgabe war erfolgreich wie selten eine zuvor - allein, was die Ticketvorverkäufe angeht. Das Publikum war schon immer jung, aber heuer – gerade auch wegen des Auftritts von Billie Eilish – so jung wie nie zuvor.

Die eigene Meinung denen zu predigen, die mit einer anderen Art von Musik aufwachsen, die überhaupt anders aufwachsen, ist nicht unbedingt zielführend. Immerhin gibt es in erreichbarer Nähe viele andere Festivals, die man besuchen kann, wenn einem dieses hier nicht mehr zusagt.

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