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Frank Turner und seine weibliche Crew

Dan Massie

Frank Turners „No Man’s Land“ ist eine umstrittene Hommage an legendäre Frauen

Der englische Folk-Punk-Star Frank Turner hat für sein neues Album „No Man’s Land“ Songs über Frauen geschrieben, die ihn faszinieren: Von der als Spionin zum Tod verurteilten Mata Hari über die legendäre amerikanische Gospel- und Blues-Musikerin Rosetta Tharpe bis zu seiner eigenen Mutter. Ein Album mit Herzblut, das aber auch Kritik hervorruft.

Von Eva Umbauer

Das letzte Album von Frank Turner, „Be More Kind“, ist letztes Jahr erschienen und es fühlt sich auch noch recht frisch an. Dennoch hat der niemals ruhende Brite schon wieder einen Longplayer fertig, und zwar ein Konzeptalbum, obwohl er - wie er einmal sagte - niemals ein solches machen wollte. „No Man’s Land“ besteht aus zwölf Songs, in denen Frank Turner über Frauen der Geschichte singt, die ihn persönlich auf unterschiedliche Weise faszinieren.

Keine dieser Frauen weilt mehr unter den Lebenden, die meisten von ihnen lebten vor längerer oder gar richtig langer Zeit, außer seine Mutter, und ihr setzt Frank Turner mit „Rosemary Jane“, dem dreizehnten Song am Album, ein leidenschaftliches, intensives musikalisches Denkmal. „Rosemary Jane“ ist eine Ode an eine widerständige Frau, die von ihrem Ehemann - Franks Vater - psychisch missbraucht wurde. Dieser Song ist dann auch einer der stärksten auf diesem (feministischen?) Album namens „No Man’s Land“.

Frank Turner beginnt das Album mit dem Stück „Jinny Bingham’s Ghost“. Wir befinden uns in dieser Moritat, also schaurigen Ballade, des Folksängers Frank Turner mitten in London, in Camden Town, wo die resolute Wirtin und Apothekerin Jinny Bingham vor langer, langer Zeit lebte und ihr Beisl betrieb. Ihren Mann hatte man an den Galgen geknüpft, weil er Schafe gestohlen hatte. Mit den Männern hatte Jinny fortan kein Glück, sie waren gewalttätig, also vergiftete Jinny sie. Jinny galt als Hexe.

Aber Jinny Bingham war nicht nur „böse“, sie hatte etwa ein großes Herz für arme Leute, und so schwebt ihr Geist noch heute über Camden Town - so besagt es zumindest die Legende -, und sie ist eine Schutzpatronin für alle, die außerhalb der Gesellschaft stehen. Dort wo ihre Gastwirtschaft war, befindet sich heute das Musiklokal Underworld, eine Venue, in der viele Konzerte stattfinden.

Albumcover: Frank Turners "No Man's Land"

Polydor Records

„No Man’s Land“ von Frank Turner ist am 16.8.2019 bei Polydor erschienen.

Frank Turner: „Jinny had this romanticised reputation for gathering up outcasts and outlaws. That’s exactly what attracted me to Camden when I first got there aged 14. I felt like I’d come home for the first time in my life, because I had been feeling socially ostracised. It’s a place for people who don’t fit.“

Geschichtsnerd Frank Turner

Frank Turner bezeichnet sich selbst als „Nerd“, was Geschichte betrifft. Er hat einen Uniabschluss in Geschichte. Aber Frank Turner ist nicht nur ein obsessiv in Geschichtsbüchern lesender Mensch, sondern er liebt auch Mythen und Legenden. Und so verwebt er in den Songs seiner neuen Platte beides: historische (Frauen-)Figuren, um die sich auch viel Mythologie rankt und die zur Legende geworden sind.

Von der mordenden Wirtin im Album-Opener geht Frank Turner zur nächsten Protagonistin, der amerikanischen Gospel/Blues/Jazz-Musikerin Sister Rosetta Tharpe. Das ist ein großer thematischer Sprung. Im Gospel der Anfang der 1970er Jahre verstorbenen Sängerin und Gitarristin steckte schon der Rock ’n’ Roll, als Elvis noch lange nicht auf der Bildfläche war. So nahm Rosetta, die seit 1919 Musik machte, etwa Ende der 1930er Jahre erste Songs auf Platte auf.

Darf Frank Turner denn das?

Rosetta Tharpe war eine Pionierin. Aber das wissen wir ohnehin, meinen zumindest Kritiker*innen, die finden, dass uns das nicht (der Mann) Frank Turner erst erzählen muss; überhaut, so heißt es weiter in so mancher Kritik zu „No Man’s Land“, würde Turner „mansplaining“ betreiben und uns besserwisserisch von ganz besonderen weiblichen Figuren berichten.

Ich sehe das nicht so, zumal Frank Turner jemand ist, der ein stets eifrig Lernender ist und nirgendwo sagt, er wisse die Dinge besser. Frank Turner wiederum entgegnet der Kritik, würden andere (Frauen?) über diese Frauen singen, müsste es nicht er tun.

Wenn man nicht an der Oberfläche der Diskussion des „Darf er denn das?“ hängenbleibt und Frank Turner stattdessen bei jedem einzelnen der Songs genau zuhört, dann lässt sich nicht leugnen, wieviel Zeit und Leidenschaft er in dieses Projekt gesteckt hat und für das er Catherine Marks als Producerin gewinnen konnte. Die gebürtige Australierin lebt und arbeitet in London und hat etwa schon Wolf Alice, die Foals oder die Amazons produziert.

Der einzige Mann unter lauter Frauen

Frank ist der einzige Mann bei dieser Album-Produktion, alle anderen Instrumente - von Streichern über ein Saxofon oder ein Piano - wurden von Musikerinnen gespielt. Dass die Marke Frank Turner dann letztlich alle Mitwirkenden doch ein wenig überschattet, ist Tatsache, aber letztlich kein Problem.

Also her mit der nächsten Mörderin in einem der Songs. Nein, Scherz beiseite, aber das Stück über eine Frau, die per Annonce Männer sucht, mit diesen eine Beziehung eingeht, um sie dann zu töten, ist einer der gelungendsten am Album: „A Perfect Wife“ ist wunderbares Storytelling in der Folk-Tradition und gibt der US-Serial-Killerin Nannie Doss - sie tötete zwischen den 20er und 50er Jahren des letzten Jahrhunderts - gar etwas Menschliches, etwa auch weil Frank Turner hier als Ich-Erzähler(in) singt, was durchaus ein Kritikpunkt sein kann, aber auch etwa beim Song „Eye Of The Day“ Intimität herstellt, die es sonst vielleicht so nicht gäbe.

Im richtig berührenden „Eye Of The Day“ schlüpft Frank Turner in die Figur der Mata Hari, kurz bevor sie - wegen angeblicher Spionage zum Tod verurteilt - stirbt. Mata Hari war eine holländische Tänzerin, deren Mutter von der indonesischen Insel Java stammte. Margaretha Zelle, wie Mata Hari eigentlich hieß, benannte sich nach der Sonne in der Sprache von Java: Mata Hari heißt wortwörtlich „Auge des Tages“. Im sehr poetischen und meditativen „Eye Of The Day" singt Frank Turner "...they called me Margaretha the day I was born... If anybody asks, I named myself after the sun…“.

Alles packende Geschichten

Die meisten der Frauenfiguren, von denen Frank Turner auf „No Man’s Land“ erzählt, haben einen Bezug zu Musik, so etwa auch die 1988 verstorbene britische Baronin Kathleen Annie Pannonica de Koenigswarter. Sie kämpfte in Frankreich gegen Nazi-Deutschland und war eine Jazz-Mäzenin und Liebhaberin der BeBop-Musik. In den 1950er Jahren war sie, sozusagen, auf du und du mit den großen Jazzern der Zeit, Thelonius Monk oder Charlie Parker. Der amerikanische Jazz-Pianist und Komponist Horace Silver widmete ihr einst das Stück „Nica’s Dream“. Auch Frank Turners „Nica“ ist eine Hommage an diese Frau. Mit dem Song geht er musikalisch neue Wege: Das Stück hat ein Jazz-Arrangement. So hat man Frank Turner bisher noch nicht gekannt. Klingt richtig gut.

Ein weiterer packender und recht folkiger Song heißt „Silent Key“. Es geht um die US-Astronautin Christa McAuliffe, die bei der Explosion des Challenger-Raumschiffes in den 1980er Jahren starb. „Silent Key“ fand sich schon einmal auf einer Platte von Frank Turner, jetzt in einer neuen Version.

Bei „Rescue Annie“ gibt es ein tolles Piano. Der Song handelt von einer jungen Frau, die im französischen Fluss Seine ertrank und deren Gesicht dann Vorlage für eine standardisierte Puppe wurde, die zum Erlernen und Trainieren der Herz-Lungen-Wiederbelebung im Rahmen der Ersten Hilfe eingesetzt wird. Interessant.

Weitere legendäre Frauenfiguren, von denen Frank Turner auf „No Man’s Land“ erzählt, sind die frühe ägyptische Feministin Huda Sha’arawi oder die byzantinische Dichterin Kassia, die als früheste Komponistin der westlichen Welt gilt.

All diese Frauen und ihre komplexen Geschichten in Songs packen, die drei oder vier Minuten lang sind? Wie soll das gehen? Das ist ein weiterer möglicher Kritikpunkt. Aber warum nicht? Der Versuch von Frank Turner, genau das zu tun, ist es wert. Und ich werde jetzt nachlesen, wer Catherine Blake, die Frau des großen englischen Dichters William Blake, genau war, denn Frank Turners Song „I Believed You, William Blake“ hat mich neugierig gemacht.

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