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Filmstills aus "Blinded by the light"

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„Blinded by the light“: Biopic eines Outlaws

„Blinded by the light“ ist ein berührender Coming-of-Age-Film, in dem die Lieder von Bruce Springsteen dem britisch-pakistanischen Teenager Javed helfen, sein Leben zu meistern und die Weichen für eine selbstbestimmte Zukunft zu stellen, ohne Brücken zu verbrennen.

Von Natalie Brunner

Es gibt diesen Moment, an dem man überzeugt ist, am falschen Ort und in der falschen Zeit zu leben. Man ist an einem furchtbaren Ort gefangen, umgeben von Menschen, die nicht im Geringsten verstehen, was in einem selbst vorgeht, Menschen, die überhaupt wenig zu verstehen scheinen, und die deprimierendsten dieser Figuren nennt man Eltern.

Und dann, völlig aus dem Nichts, bekommt man von einem Freund oder einer Freundin Musik empfohlen, ja sogar aufgedrängt. Und plötzlich klärt sich das Firmament: Es gibt da draußen Wesen, die nicht nur das Gleiche gefühlt und gewollt haben wie man selbst, sie haben es auch in Worte und Musik verwandeln können. Der Eisberg, der die eigene Existenz umschlossen hat, schmilzt plötzlich und die Welt wird ein Ort voller Möglichkeiten für ein besseres Leben, die man ergreifen oder sich erkämpfen kann.

Für den britisch-pakistanischen Autor und Journalisten Sarfraz Manzoor, der als Kind mit seiner Familie nach Luton in England gezogen ist, war es im Jahr 1987 das Werk von Bruce Springsteen, das eine Tür geöffnet hat. „Greetings from Bury Park: Race, Religion and Rock ’n’ Roll“ ist der Titel seiner Memoiren, auf deren Grundlage er gemeinsam mit der Regisseurin Gurinder Chadha das Skript zum Film „Blinded by the Light“ verfasst hat.

Bruce Springsteen verleiht Selbstvertrauen

Manzoors filmisches Alter Ego heißt Javed und auch für ihn sind es die Alben „Darkness at the Edge of Town“ und „Born to Run“ von Bruce Springsteen, die als Katalysator für seine Entwicklung wirken. Das Werk des Boss gibt ihm den Mut, der Welt die Brillanz, die in ihm schlummert, zu offenbaren. Das, was Springsteen über seinen arbeitslosen Schwager, der nicht weiß, wie er seine drei Kinder ernähren soll, singt, hat Parallelen zu den Gedichten, die er über seinen Vater schreibt, der jeden Tag im besten Anzug vergeblich zum Arbeitsamt geht. Javed bekommt Selbstvertrauen und realisiert, dass die Texte und Gedichte, die er in sein Tagebuch schreibt seit er sieben Jahre alt ist, kein Gedankenmüll sind.

Es ist das Jahr 1987. Javed ist 17 Jahre alt und lebt mit seinen Schwestern und seinen Eltern in einer Mittelklassesiedlung namens „Bury Estate“. Sein Vater hat als Teenager Pakistan verlassen, 16 Jahre in der Autoindustrie gearbeitet und ist stolz, dass sie die erste pakistanische Familie in der Nachbarschaft sind.

Das Gefühl, nirgendwo dazuzugehören

Für Javed beginnt die High School, die ihn in ein vibrierendes und facettenreiches Popkulturuniversum schleudert, dessen Existenz er bisher nicht erahnt hatte. In seiner neuen Schule gibt es die verschiedensten Gruppen von Kids, die Popkultur sprechen, leben, atmen und schaffen. Javed hat das Gefühl, nichts zu sein und nirgendwo hinzugehören.

„In meinem zu Hause gibt es nur eine Meinung, die meines Vaters“, sagt Javed defensiv zu seiner Literaturprofessorin, die sein schriftstellerisches Talent erkennt und ihn ermutigen will, zu seiner eigenen Stimme zu finden.

Der Vater weiß, was das Beste für die Familie ist

Das Leben seines Vaters besteht aus Arbeit und Pflichterfüllung. Die Kinder sollen ein „gutes Leben“ haben. Deshalb sitzt auch Javeds Mutter 12 Stunden pro Tag an der Nähmaschine und tut, was getan werden muss, um dieses „gute Leben“ zu ermöglichen. Die Einkünfte sämtlicher Familienmitglieder werden beim Herrn Papa abgeliefert, da er schaltet und waltet, die Geschicke und Schicksale seiner Kinder plant und bestimmt. Er tut das nicht, weil er ein sadistischer Despot ist, sondern weil er es so gelernt hat: Er, das Oberhaupt der Familie, weiß, was das Beste für die Familie ist und wie er sie vor dem Rassismus der Umwelt schützt. Die Töchter etwa sollen Ehemänner bekommen, die was besseres sind als Taxifahrer, weil das ist jeder Pakistani in Luton.

Filmstills aus "Blinded by the light"

Warner Pictures

Der Konflikt zwischen Javeds Vater, der seinem sich gerade eine neue Identität erschaffenden Sohn erklärt, dass er immer „nur“ Pakistani sein wird, ist unvermeidlich. Dennoch ist der Blick auf den Vater in „Blinded by the Light“, der aus Javeds Perspektive erfolgt, trotz der schwelenden Konfrontation immer liebevoll.

Nur nicht aufmucken

Ein Highlight des Films ist die Szene als Javeds Vater bei seinem Freund auf der Couch sitzt und die beiden sich lachend gegenseitig versichern, dass sie es geschafft haben, hier in Luton, als es noch eine gute Stadt war, also bevor die ganzen anderen Pakistanis gekommen sind.

Diese Szene ist lustig, traurig und berührend. Denn unmittelbar nach der gegenseitigen Versicherung, wie gut es einem doch geht, pinkeln Nachbarskinder durch den Briefschlitz der Eingangstür und brüllen rassistische Beschimpfungen. Am Boden liegt eine Plastikmatte, weil so etwas ständig passiert und der Teppich nicht schmutzig werden soll. Es herrscht große Aufregung im Haus aber niemand geht raus und stellt die Fratzen zur Rede. „Keep your head down“ ist die Handlungsmaxime.

Diese Szene ist ein komplexer filmischer Moment, der eine der vielen Facetten von Rassismus zeigt, und wie er Menschen verstümmelt und zerstört. Er macht etwas Monströses und Schmerzhaftes nachvollziehbar für Zuseherinnen, die so wie ich nicht wissen können, was Rassismus wirklich bedeutet, da sie es nie am eigenen Leib erfahren haben und wohl auch nicht werden.

Bruce Springsteen singt nicht nur für Javed

Spätestens bei dieser Szene wird klar, dass „Blinded by the Light“ ein großer Film ist, ein Film über Familie, Freundschaft, Solidarität, Verständnis, Politik, Kultur, Musik, Liebe, und wie ein junger Mensch es schafft, aus all diesen losen Enden ein soziales Geflecht zu knüpfen, dass ihm und seiner unmittelbaren Umwelt ein gerechtes Leben in einer ungerechten Welt ermöglicht.

Unter all dem liegen die Songs von Bruce Springsteen, denen Javed wie einer Yellow Brick Road folgt, die er aber in den letzten Szenen verlässt. Er wächst über sie hinaus, hat seinen eigenen Weg, seine eigene Stimme gefunden. Javed hat verstanden, dass der Boss nicht nur für ihn singt, sondern auch für andere „Outlaws, Born to Run“ wie seinen Vater, der sich vor 30 Jahren in Karatschi auf den Weg gemacht hat.

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