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Buchcover von "Der Gesang der Flusskrebse" von Delia Owens

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Delia Owens Roman „Der Gesang der Flusskrebse“: Einsame Heldin im Sumpf

Verlassen von ihrer Familie schlägt sich das Mädchen Kya allein in den Sümpfen von North Carolina durch. Delia Owens verwebt in ihrem Debüt „Der Gesang der Flusskrebse“ Coming-Of-Age Drama, Kriminalroman und Liebesgeschichte ineinander.

Von Andreas Gstettner-Brugger

Das Marschland in North Carolina in den fünfziger Jahren. Ein Sumpfgebiet, gekennzeichnet durch hohe Gräser, dunkle Wälder, kleine, sich durchschlängelnde Flüsse, Salzwiesen, Seebänke und jede Menge Insekten und Flügeltiere. Hier wächst die kleine Kya mit ihren Eltern und vier Geschwistern auf. Eines Tages verlässt ihre Mutter die Familie und die schäbige Wellblechdachhütte, in der sie ohne fließend Wasser und Strom hausen.

Zurück bleiben die Kinder mit dem trinkenden und gewalttätigen Vater. Nach und nach fliehen auch Kyas Brüder vom täglichen Terror und der Verwahrlosung, bis das sechsjährige Mädchen alleine übrig bleibt. Mit gesammelten Muscheln und geräuchertem Fisch versucht sie, ein paar Pennys zu verdienen, während die Natur und die Tiere im Marschland ihre einzigen Freunde sind.

Delia Owens "Der Gesang der Flusskrebse ist in der Übersetzung von Ulrike Wasel bei hanserblau erschienen und ist derzeit auf Platz 9 der Spiegel-Bestsellerliste.

„Einige Vögel picken behutsam zwischen Kyas Zehen und sie lachte, weil das kitzelte, bis ihr Tränen über die Wangen strömten, und schließlich brachen Laute, würgende Schluchzer aus der engen Stelle unter ihrer Kehle hervor. Als die Milchtüte leer war, dachte sie, sie würde den Schmerz nicht ertragen, voller Angst, die Vögel würden sie ebenso verlassen wie alle anderen.“

Erst der Junge Tate aus der benachbarten Stadt schafft es ganz behutsam, zur schüchternen und traumatisierten Kya eine Beziehung aufzubauen.

„Etwas in ihr sehnte sich danach, seine Hand zu berühren, ein seltsamer Wunsch, aber ihre Finger weigerten sich. Stattdessen prägte sie sich die bläulichen Adern auf der Innenseite seines Handgelenks ein, so zart wie die gezeichnete Maserung der Flügel von Wespen.“

Doch mit der Öffnung ihres Herzens kehrt nicht nur die ersehnte Erfüllung zwischenmenschlichen Glücks ein, sondern auch die harte Welt des ländlichen Amerikas trifft die junge Kya mit ganzer Wucht, bis durch einen Mord endgültig das Leben aller Figuren aus den Fugen gerät.

Eine Hommage an die Wildnis in uns

Die amerikanische Schriftstellerin Delia Owens ist eigentlich Zoologin und hat zwanzig Jahre lang mit ihrem Mann in Afrika gearbeitet und gelebt. Ihre Erlebnisse haben sie in der Autobiographie „Ruf der Kalahari“ niedergeschrieben, das Anfang der achtziger Jahre erschienen ist.

Portaitfoto der amerikanischen Schriftstellerin Delia Owens

(c) Dawn Marie Tucker

Heute lebt Delia Owens alleine und zurückgezogen an der kanadischen Grenze und hat mit Siebzig ihren ersten Roman „Der Gesang der Flusskrebse“ veröffentlicht, der gleich zum Bestseller geworden ist. Es sind die detaillierten und poetischen Beschreibungen der Wildnis, die einen magischen Sog entwickeln und uns sofort in das Marschland entführen. Auch die herzzerreißende Geschichte der unbeugsamen Heldin Kya entwickelt eine unglaublich dichte Atmosphäre, die frei ist von Klischees, Nostalgie oder romantischer Verklärung. Mit klarer Sprache zeichnet Owens das Bild einer zerrütteten Familie, deren Traumata immer weitere Akte von Gewalt und psychischem Terror hervorbringen. Diesen Abgründen stellt die amerikanische Schriftstellerin die zerbrechliche und sanfte Seele eines Kindes gegenüber, die durch die Natur als Lehrmeister schafft, sich zu einer starken Frau zu entwickeln.

Darüber hinaus verwebt sie in parallelen Erzählsträngen einen spannenden Kriminalfall in das Coming-Of-Age Drama, durch den man immer mehr an der Unschuld der Hauptfigur zu zweifeln beginnt. Doch das Hauptthema des Buches ist die Einsamkeit des Menschen, die sich in dem spannungsgeladenen Verhältnis zur wilden Natur und der Vergänglichkeit allen Lebens widerspiegelt. „Der Gesang der Flusskrebse“ ist ein Roman, der uns an die Wildnis in uns erinnert, die wir oft in Form unseres inneren Kindes wahrnehmen, das wir wohl immer in uns tragen werden. So kann man das Buch als Hommage an die unschuldige Seite der menschlichen Seele lesen, seine ursprüngliche Verbundenheit zur Natur und als Aufruf, den Mut und die Stärke zu entwickeln, seinen ganz eigenen Weg zu gehen.

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