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Stadtkino Basel

Retro-Schocks im Filmmuseum: Die wilde Welt der Giallo-Thriller

Wenn Splatterhorror, Surrealismus und Sexploitation kollidieren: Vom 30. August bis zum 24. Oktober wird in Wien die bisher umfassendste Retrospektive zum Giallo-Genre gezeigt.

Von Christian Fuchs

Bürgerliche Ordnungen zerbröseln, sexuelle Revolutionen werden ausgerufen, Bilder von Kriegen sind omnipräsent: Dass sich die Welt Ende der 60er Jahre im Umbruch befindet, ist bekannt. Wie sehr das Kino von diesen Veränderungen betroffen war, darauf hat uns auch Quentin Tarantino in seinem neuen Film gerade hingewiesen. Ein Genre, in dem sich der turbulente Zeitgeist von damals besonders spiegelt, ist der italienische Giallo-Thriller.

„Giallo“, gelb, der Überbegriff hat literarische Ursprünge. Kriminalromane sind in Italien schon seit den Tagen von klassischen Autoren wie Edgar Wallace oder Agatha Christie in gelbe Einbände verpackt. Irgendwann wird die Farbe aber zum Synonym für besonders spekulative Schundhefte. Als Regisseure wie Mario Bava eine ganz neue Art von reißerischen Krimis präsentieren, steht Gelb plötzlich auch im Kino für Horror, Sex und Mystery.

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Cineteca Nazionale

L’uccello dalle piume di cristallo (Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe), 1969, Dario Argento

Das Irrationale wird gefeiert

In den Giallo-Thrillern selbst regiert aber eine andere Farbe. „Ich träume in Rot“, sagt Dario Argento in einem Interview. „Meine Alpträume sind von Rot beherrscht. Rot ist die Farbe von Glück und Leidenschaft, die Farbe von den Reisen in unser Unterbewusstsein. Aber vor allem ist Rot die Farbe von Angst und Gewalt.“

Der Horrorspezialist Argento gilt mit Filmen wie „Profondo Rosso“ (1975) oder „Tenebre“ (1982) auch als der Miterfinder und ungekrönte König des Giallo. Geheimnisvolle Mörder in schwarzen Lederhandschuhen gehen in seinen Schockern auf Opferjagd, begleitet von einer entgrenzten Kamera. Dario Argento, der ehemalige Filmkritiker, überschreitet stilistisch dabei konsequent die Grenzen zwischen Kunst und Kommerz, ebenso wie er in seinen verworrenen Geschichten die klassische Krimi-Logik ignoriert. In grellen Bildern feiert er das Irrationale. Die bizarren Geständnisse der MörderInnen am Ende der Filme - typisch für das Giallogenre - sorgen bei Argento besonders für Kopfschütteln.

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Profondo rosso (Rosso – Farbe des Todes), 1975, Dario Argento

Paranoia ist allgegenwärtig

Aber auch in etlichen anderen Gialli, von Regisseuren wie Sergio Martino, Pupi Avati, Aldo Lado oder Lucio Fulci, verschwimmen die Trennlinien zwischen Psychothriller und Splattermovie, Surrealismus und Sexploitation auf knallbunte Weise. Die Frauen mögen in diesen Filmen oft die leicht bekleideten Opfer sein. Aber die Männer erweisen sich im Gegenzug stets als impotente, verunsicherte, perverse Gefühlskrüppel im Macho-Outfit.

Vertrauen kann man in der krankhaft neurotischen Giallo-Welt ohnehin niemandem, jede(r) ist verdächtig. Paranoia ist im Giallo allgegenwärtig, wie in der italienischen Realität der 70er Jahre, wo politische Verschwörungen und terroristische Anschläge zum Alltag gehören. Warum wiederum Tiere als Metaphern in so vielen Giallo-Titeln auftauchen - „Vier Fliegen auf grauen Samt“, „Die neunschwänzige Katze“, „Der Schwanz des Skorpions“, darüber lässt sich unter Filmnerds diskutieren.

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L’uccello dalle piume di cristallo (Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe), 1969, Dario Argento

Zwischen Kunstgalerie und Bahnhofskino

Besondere Aufmerksamkeit verdienen neben der oft durchgeknallten Optik die Soundtracks des Grauens. Im bewussten Kontrast zur Brutalität der Mordszenen setzten Komponisten wie der göttliche Ennio Morricone, die umwerfenden Progrocker Goblin, aber auch Stelvio Cipriani oder Fabio Frizzi auf sanftes Hauchen und Seufzen, auf gespenstische Kinderlied-Assoziationen oder funky Loungeklänge.

In den 70ies entstehen jedenfalls einige irrwitzige Giallo-Meisterwerke, die in ihrer Eigenartigkeit in die Kunstgalerie und ins grindige Bahnhofskino zugleich passen. Filme, die in ihren besten Momenten an Avantgarde-Größen wie Michelangelo Antonioni erinnern („Blow Up“) und in denen gleichzeitig der psychologische Symbolismus mit dem Holzhammer ins Gesicht der Zuschauer kracht.

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Non si sevizia un paperino (Quäle nie ein Kind zum Scherz), 1972, Lucio Fulci

In den 80er Jahren verschwindet das Genre allmählich in der Versenkung, bis einige Cinephile irgendwann ein Revival ausrufen. Moderne Leinwand-Revoluzzer wie Nicolas Winding Refn oder Gaspar Noé wären ohne Giallo-Einflüsse undenkbar. Unzählige Musiker, von Trip Hop bis Industrial, Death-Metal bis zur Synthpop-Szene ließen sich über die Dekaden von den Mördermelodien dieser Filme inspirieren. Im Filmmuseum kann man jetzt bis Ende Oktober den ganzen heftigen Originalstoff sehen – gefährliches, grausames, ästhetisch umwerfendes Kino.

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