FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Anna Sorokin, besser bekannt als Anna Delvey, im Gerichtssaal

APA/AFP/TIMOTHY A. CLARY

„My Friend Anna“ - Das banale Buch über das Hochstapler-It-Girl Anna Sorokin

Anna Sorokin bzw. Anna Delvey sind hierzulande noch unbekannte Namen. Das wird sich bald ändern. Die russisch-deutsche Betrügerin hat zehn Monate lang ein luxuriöses Leben in New York geführt. Jetzt sitzt sie hinter Gittern. Ihre Geschichte wird gleichzeitig von den Rivalen Netflix und HBO verfilmt. Das Buch „My Friend Anna“ ist vor Kurzem erschienen.

Von Zita Bereuter

„If I can make it there, I’ll make it anywhere.” Mit einem Zitat aus Frank Sinatras „New York, New York“ appelliert Rechtsanwalt Todd Spodek an die Geschworenen. New York biete grenzenlose Möglichkeiten. Sinatra habe in New York einen grandiosen Neustart hingelegt und genauso habe es Miss Sorokin getan.

Seine Mandantin, Anna Sorokin, sitzt derweil in Designerteilen neben ihm und präsentiert sich. Was die 28-jährige während der Gerichtsverhandlungen trägt, wird detailliert in Magazinen und Presse kommentiert, bis hin zum Instagramaccount Annadelveycourtlooks.

Anna Sorokin, besser bekannt als Anna Delvey, im Gerichtssaal

APA/AFP/TIMOTHY A. CLARY

Orange ist nie das neue Schwarz

Eine Stylistin kümmerte sich um das richtige Erscheinungsbild für die Verteidigung. Mehrfach begann ein Verhandlungstag verspätet, weil Anna Sorokin die übliche Gefängnisbekleidung nicht anziehen wollte. Wie wichtig Aussehen ist, wissen sie und ihr Anwalt.

Mit teuren Marken und einem luxuriösen Lifestyle hat Anna Sorokin als Anna Delvey schon viele getäuscht und betrogen. Anna Sorokins Geschichte ist die einer Hochstaplerin, die die Fotoredakteurin Rachel Deloache Williams in ihrem Buch „My Friend Anna“ aus ihrer Perspektive, eines ihrer Opfer, nacherzählt. (Williams ist Fotoredakteurin bei „Vanity Fair“, auf gut Deutsch der „Jahrmarkt der Eitelkeiten“ – ein idealer Nährboden für ein luxuriöses Leben mit mehr Schein als Sein.)

Anna Sorokin, besser bekannt als Anna Delvey, im Gerichtssaal

APA/AFP/TIMOTHY A. CLARY

„Fake it till you make it“

Anna Delvey kennt man 2016 in der New Yorker High Society. Sie wohnt in angesagten Luxushotels, besucht gerne derartige Restaurants und Clubs und ist im „inner circle“. Anna Delvey gibt sich als deutsche Millionenerbin aus, die eine Kunststiftung gründen will.

Und Anna Delvey hat Geld, viel Geld. Damit geht sie großzügig um: Teuerste Mode, Privatjet, 100 Dollar Trinkgeld.

„Anna war eine durchgeknallte Sechsundzwanzigjährige, die einen Modetick hatte und Ausländerin war. (Damit meine ich, Anna hatte etwas Fremdes an sich, im eigentlichen Sinn des Wortes; sie war ungewöhnlich fremdländisch – kurz: anders.) Ich konnte durchaus nachvollziehen, warum manche Leute so ihre Zweifel hatten. Sie war eine Art Hybrid aus einem Fashion-Girl und einem Börsenchecker, das in einem Botticelli-Körper steckte. Es war verwirrend, ohne Zweifel, aber der Effekt kam ihr zugute“, schreibt Rachel Deloache Williams, die schnell von Annas Unbekümmertheit angetan ist:

Buchcover "My friend Anna"

Goldmann Verlag

„My Friend Anna“ von Rachel Deloache Williams wurde in einem Fünferteam übersetzt von Antje Althans, Claudia Amor, Sylvia Bieker, Antje Hink und Johanna Ott und ist (nur einen Monat nach der Originalausgabe) bei Goldmann erschienen.

„Sie spornte mich dazu an, weniger streng und wertend zu sein, einfach mal loszulassen und Spaß zu haben. Gleichzeitig lud sie mich ein, Teil ihrer Welt zu sein, die aus Hotels, Restaurants und unkonventionellen Unternehmungen bestand. So wurde ich zu ihrem Publikum und ihrer Begleiterin zugleich. Ich denke, ein Teil von mir wollte wohl ein wenig so sein wie sie.“

Die Fassade bröckelt

Die beiden freunden sich an, unternehmen viel und reisen 2017 gemeinsam nach Marokko. Anna lädt ein, in ein exklusives Luxushotel in Marrakesch mit eigenem Butler. Und weil noch Platz ist, kommen die Fitnesstrainerin und ein Filmemacher auch noch mit. Ein prächtiges Leben, das plötzlich Risse bekommt. Mit den Kreditkarten scheint etwas nicht zu stimmen. Rachel Deloache Williams hilft mit ihren kurzfristig aus, schließlich will Anna Delvey das umgehend zurückzahlen. Das zieht sich allerdings, über mehrere Monate und sehr viele Seiten im Buch.

Rachel Deloache Williams beschreibt ausgehend von dem Urlaub in Marrakesch ihre Freundschaft mit Anna Delvey bzw. Sorokin. Vom Kennenlernen über die Freundschaft zum Betrug, den psychischen Belastungen durch die Schulden und dem Wiedersehen vor Gericht.

Über Anna Vadimovna Sorokina erfährt man, dass sie eigentlich aus Russland stammt und mit 16 Jahren mit ihrer Familie nach Deutschland gezogen ist. Ihr Vater ist weder ein russischer Oligarch, Diplomat, Öltycoon, Antiquitätenhändler oder Experte für Solarenergie, sondern war ursprünglich LKW-Fahrer.

Anna Sorokin kam nach einem Job in Paris nach New York. Dort wollte sie eine eigene Kunststiftung gründen. Für den dafür nötigen Kredit von 25 Millionen Dollar und für ihr extravagantes Luxusleben fälschte sie Dokumente und Bankauszüge, erfand Angestellte und Berater, gab eine große Erbschaft vor. Sie zahlte vorwiegend in bar und lieh sich kleine Summen von Bekannten und Begleitern aus, die sprangen kurzfristig mit ihren Kreditkarten ein. Wie eben Rachel Deloache Williams.

„The Fake German Heiress“

Als die Betrügerin auffliegt, reißen sich Magazine und Medien um die Geschichte, die an “Catch Me If You Can” erinnert, diesmal in einer funkelnden Luxuswelt.

Absurd, dass vor Gericht gestritten wird, wer mehr von der Straftat profitieren kann: Die Täterin Anna Sorokin, die ihre Geschichte an Netflix verkauft hat, oder das Opfer Rachel Deloache Williams, das einen Vertrag mit HBO hat. Letztere wird mit diesen Rechten und dem Buch sicher so viel Geld machen, dass sie ihre Schulden bezahlen kann und hoffentlich keine weiteren derart banalen Bücher mehr schreiben wird.

Anna Sorokin fühlt sich jedenfalls nicht schuldig. Sie machte sich scheinbar weniger Sorgen um ihre Strafe, als darüber, wer sie in den Kinofilmen spielen soll.

Am 9. Mai 2019 wird Anna Sorokin schuldig gesprochen. Sie muss mindestens vier, höchstens zwölf Jahre im Gefängnis sitzen. Hinzu kommen Geldstrafen und Rückzahlungen.

„Dank purer Raffinesse erschuf sie sich das Leben, das sie sich wünschte“, erklärt ihr Anwalt lapidar und weiter mutmaßt er: „In uns allen steckt ein kleines bisschen Anna.“
Hoffentlich irrt er sich.

mehr Buch:

Aktuell: