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Mit Brenk Sinatra durch Kaisermühlen

Florian Wörgötter

fm4 Im Viertel

Die Gentrifizierung bedroht auch Brenk Sinatras Kaisermühlen

FM4 Im Viertel, Episode 4: Brenk Sinatra zeigt sein Kaisermühlen in Donaustadt, dem 22. Wiener Gemeindebezirk. Von hier aus schickt der Wiener HipHop-Produzent seine Beats in die Welt. Warum hier kaum jemand noch eine Mietwohnung findet, weshalb er rechte Pöbeleien im „Brandineser“ meidet und wo der „Kaisermühlen Blues“ TV-Geschichte geschrieben hat.

Von Florian Wörgötter

Brenk Sinatra klappert in Badeschlappen über die Polizeibrücke in Kaisermühlen. Sein Blick schweift sprichwörtlich durch die rosa Brille über die Alte Donau: „Jetzt mal ehrlich, hier schauts doch nicht mehr aus wie in Wien“, schwärmt der Ur-Kaisermühlener. Am linken Uferarm erhebt sich die Skyline der UNO-City und des DC Towers („Darth Vader-Turm“). Die Gemeindebau-Burg Goethehof behütet den begrünten Badestrand am Kaiserwasser und der Betonquader des kirchlichen Glockenturms strotzt vor schnörkelloser Scheußlichkeit („Das Schiarche kead zum schenen Leben dazu“).

„Dann schaust du nach rechts und plötzlich bist im Naturpark“, öffnet Brenk seine Arme. Tatsächlich: Das Inselbad Gänsehäufel versteckt sich hinter wildem Wasserwald. Polizeisportler rudern im „Vienna Police Dragon“ übers funkelnd stille Wasser. Eine Karpfen-Gang schwimmt am Schilf. Dahinter versprühen die bunten Holzhäuschen des Kleingartenvereins kubanischen Charme, die Ü60-Bewohner*innen hingegen die stoische Ruhe der Arktis. „Kein Wunder, dass alle nach Kaisermühlen ziehen wollen“, sagt Brenk, der hier auf dieser Brücke seine Gedanken lüftet und über sein Leben reflektiert („Mein Herz, mein Trostspender“).

FM4 Im Viertel: Eine Reportagereihe

In der Radioreihe FM4 Im Viertel spaziert Florian Wörgötter mit österreichischen Musiker*innen durch ihr Wohnviertel. Beim Flanieren durch spannende Gegenden erfahren wir, wie die Künstler*innen leben, wie ihr Grätzl klingt und wie sich dieser Sound in ihrer Musik wiederfindet.

Episode 0: Mit Monobrother durch das Stuwerviertel in Wien Leopoldstadt
Episode 1: Mit 5/8erl in Ehr’n über den Wallensteinplatz in Wien Brigittenau
Episode 2: Mit EsRAP durch das Wiener Brunnenviertel aka Tschuschistan
Episode 3: Mit dem Fuzzman durch Klagenfurt

Straight outta Schüttau

Brenk Sinatra alias Branko Jordanović ist seit seiner Geburt in seinem Bezirk Donaustadt verwurzelt. Dennoch gelingt es dem Wiener HipHop-Producer, seine Beats über die Landesgrenzen hinaus bis an die Westcoast der USA zu vertreiben: Compton-Gangster MC Eiht produzierte er ein ganzes Album, DJ Premier veredelte es mit seinem Mastering. Auch deutsche Rapper wie Haftbefehl, Casper oder Morlockk Dilemma ordern die grundentspannten Tunes des Betty Ford Boys.

In wenigen Tagen erscheint Brenks neues Album „Midnite Ride II“, das bei relaxten 75 Beats pro Minute durch die Nacht bounct. Seinen Fetisch für analoge Synthesizer lebt er auf dem Sequel ungezügelt aus. Beim Spaziergang durch sein Grätzl wird deutlich, woher Brenks Musik ihre Wavyness schöpft.

Kaisermühlen Soul

Wir spazieren durch den Schüttauhof, einen weiteren Gemeindebau mit rosa-weißer Zuckerstangen-Architektur. Rund um die 7er-Stiegen hat Kultautor Ernst Hinterberger seine Gemeindebau-Saga „Kaisermühlen Blues“ (1992–99) angesiedelt. Als der ORF noch als einziger Fernsehsender bundesweit funkte, haben Publikumslieblinge wie Gitti Schimek, der Trautmann und Joschi Täubler den Wiener Volksmund ähnlich populär gemacht wie schon Hinterbergers Mundl in den 1970er Jahren.

Mit Brenk Sinatra durch Kaisermühlen

Florian Wörgötter

Brenk erinnert sich an die regelmäßigen Dreharbeiten im Bezirk. „Angeblich bin ich als Jugendlicher einmal mit meinem Hund durchs Bild gelaufen. Ich konnte mich aber in keiner Episode finden. Wenn jemand die Folge kennt, bitte schreiben“.

Wäre Kaisermühlen ein Lied, klänge es nach stockbesoffener Schrammelmusik mit eierndem VHS-Tape-80er-Synthpop

Dass Hinterbergers subtil gezeichnete Arbeiter-Charaktere auch in der Realität existieren, hat kaum jemand besser eingefangen als Elisabeth T. Spira in ihrer „Alltagsgeschichten“-Episode „Schauplatz Kaisermühlen“ (1994). Legendär wie verstörend offenbart sich vor laufender Kamera der unverhohlene Alltagsrassismus mancher Trankler im Tschocherl. Brenk selbst ging danach auf „Kaisermühlen-Tourismus“, um sich von ihrer Existenz im Gemeindebau zu überzeugen.

Capital Brandineser

Nach einem Schaufensterbesuch im Café Teddy stehen wir vor dem Beisl „Tee-Rum-Café“, einer der letzten „Brandineser“, wo der Branntwein schon zum Frühstück serviert wird. Im Schaufenster türmen sich die Pferdefleisch-Gulasch-Dosen („aus den Siebzigern“). Brenk scherzt: „Hier wurde seit 12 Jahren nicht mehr gelüftet. Wennst reingehst, kriegst einen Nikotinschock und dein weißes Leiberl färbt sich gelb“.

Mit Brenk Sinatra durch Kaisermühlen

Florian Wörgötter

Aus der offenen Lokaltür wehen spritzweinselige Wortfetzen: „Früher richtete sich das Geraunze noch gegen alles und jeden. Heute verkommt es hauptsächlich zur rechten Pöbelei. Deswegen meide ich diese Lokale." Warum er sich auf keine politische Diskussionen einlassen will? „Weil ein hoher Pegel keine Basis für eine gute Diskussion ist. Das bringt einfach nix.“

Penthouse vs. Gemeindebau

Als Brenks Eltern in den 1970er Jahren hierher zogen – die Mutter aus der Slowakei, der Vater aus Ex-Jugoslawien –, sei Kaisermühlen noch ein astreiner Arbeiterbezirk mit niedrigen Mieten gewesen und meilenweit entfernt vom heutigen Sehnsuchtsort. „Heute ist Kaisermühlen der Place-To-Be, denn jeder möchte im Grünen nahe Donau und Lobau wohnen.“

Mit Brenk Sinatra durch Kaisermühlen

Florian Wörgötter

Dementsprechend manifestieren sich Brenk zufolge auch Tendenzen der Gentrifizierung: „Der Altbau wird hier systematisch durch Neubauwohnungen zerstört. Diese können aber nur mehr gekauft, anstatt gemietet werden“. Immer mehr Penthouse-Wohnungen schießen aus abgerissenen Altbau-Kratern, in denen sich vor allem wohlhabende UNO-Diplomat*innen ansiedeln würden.

Doch die Gentrifizierung zeigt auch eine positive Seite: Die vielzitierten Massenschlägereien und Messerstechereien hätten sich seit seiner Kindheit reduziert. Das Altwiener-Symbol solcher Eskapaden, das mystifizierte „Café Bauchstich“, habe offenbar für immer geschlossen. „Die Schläger von damals schieben heute Kinderwägen und pfeifen Ö3-Lieder.“

Wien oder Berlin?

Auch Brenk selbst sucht nach einer neuen Bleibe. Einerseits, weil auch seine Mietwohnung irgendwann modernisiert werden soll. Andererseits, weil seine ständig wachsende Synthesizer-Familie bald ein eigenes Kinderzimmer braucht.

Mit Brenk Sinatra durch Kaisermühlen

Florian Wörgötter

Wenn sich eine passende Wohnung findet, wäre er sogar bereit, nach Berlin zu ziehen. Schließlich fließt der musikalische Honig dort etwas flüssiger als hierzulande. Weshalb er auch schon jetzt viel (Arbeits-)Zeit in der deutschen Hauptstadt verbringt. „85 % meiner Einnahmen kommen bereits aus dem Ausland", so der selbständige Berufsmusiker. „Leider kann man als Musiker in Österreich immer noch schwer bis kaum überleben.“

Russische Raketensynths

Am Ende noch ein verdienter XXL-Sommerspritzer am Ufer-Gastgarten des „Zum Schinakel" samt Producer-Nerdtalk. Brenk erklärt, warum ein analoger Synthesizer aus russischer Raketentechnologie in jeden Haushalt gehört, wie Wäscheklammern und ein Vierspurgerät die ärgsten Chord-Progressions erzeugen, und dass Wiens Jazzlegende Joe Zawinul heute gutgemachten Trap sehr wohl schätzen würde und Quincy Jones Rapper nur hasste, weil seine Tochter 2Pac gedatet hat.

Mit Brenk Sinatra durch Kaisermühlen

Florian Wörgötter

Im Sonnenuntergang vorm Gänsehäufel stelle ich noch die allerletzte, forschungsleitende Frage: Wäre Kaisermühlen ein Musikstück, wie würde es klingen? „Eine große Portion richtig besoffene Schrammelmusik und ganz viel eiernder VHS-Tape-80er-Synthpop.“ Badeschluss.

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