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Das erste Mal „Wild At Heart“

Eher „void at heart“.

Von Albert Farkas

Dafür, dass ich letzten Herbst einer Einladung zu einer Halloween-Kostümparty unter dem Motto “David Lynch” gefolgt bin (ich habe mir zur Verkleidung ein Stirnband mit Radiergummis geflochten), ist mein Wissen über das Schaffen des vielgerühmten Regie-Exzentrikers erschreckend lückenhaft. Ich habe mir niemals in einem Medientheoriekurs die Schlüsselszenen aus Mulholland Drive durch eine Wärmebildkamera hindurch angeschaut, oder überhaupt einige seiner meistdiskutierten Werke gesehen.

In der FM4 Sommerserie Das erste Mal stellen sich Redakteur*innen jenen berühmten Streifen, die sie bislang immer verpasst haben.

Als mir also auffällt, dass eines der großen Wiener Open-Air Sommerkinos Lynchs Film „Wild At Heart“ dieses Jahr im Programm hat, ergreife ich die Gelegenheit beim Schopf. Der Film verspricht episch-amerikanisches Flair und wurde 1990 mit der Goldenen Palme von Cannes ausgezeichnet, was als Qualitätsgarantie eigentlich ausreichen sollte.

Große Bilder

Der großen Kinoleinwand im Augarten ist es dann zu verdanken, dass die paar wenigen positiven Aspekte von „Wild At Heart“ auch tatsächlich zur Geltung kommen. Es ist der bildgewaltigste Film von David Lynch, den ich bis jetzt gesehen habe, und er steigert sich in einen opulenten Rausch aus Landschaftsaufnahmen von endlosen amerikanischen Acker- und Wüstenpanoramen, intensiv farblich hervorstechenden modischen Aufmachungen und erquickend agil eingefangenen Bewegungsabläufen.

Bald aber wird schon klar, dass die Überwältigung durch die Bilder, eingefasst in eine Mischung diverser standardisierter Genre-Darstellungskonventionen, an die Stelle jedweder erzählerischer Tiefe tritt, und das macht mich nervös.

On the road

Die beiden Lover Sailor und Lula (Nicolas Cage und Laura Dern) brennen durch. Mehr ist zur Handlung auch wirklich nicht unbedingt zu sagen, und es tut auch nichts zur Sache. Sailor und Lula sind keine plastischen Charaktere, sondern eindimensionale Archetypen, und irgendwie wissen sie das auch. Ihre Liebe wirkt hingebungsvoll genug, aber nichts Eigenes kommt ihnen über ihre Lippen. Wie sie sich zueinander als Liebespaar verhalten, und was sie einander sagen, haben sie sich ihrerseits von irgendwelchen Filmen oder Pop-Phänomenen aus den 1950ern bis zur Filmgegenwart in den 80ern abgeschaut und internalisiert. Die Liebesbekundungen, die sie einander gegenüber im breitesten Südstaaten-Hillbilly-Dialekt beschwören, und die genau so gut in Comic-Sprechblasen hineinpassen würden, sind so abgeschmackt und formelhaft, dass sie wie ein ständiges Augenzwinkern in einem fort die vierte Wand durchbrechen.

Filmstills aus Wild at heart

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“Wild At Heart” ist auch sonst in jedem Sinne des Wortes explizit. Lulas Mutter Marietta erfüllt buchstäblich die Rolle, die man im Englischen mit der Bezeichnung “pantomime villain” umschreibt, bis hin zu einer Szene, in der sie sich das gesamte Gesicht mit Lippenstift beschmiert, so als wäre sie, wie es in einer zeitgenössischen Kritik amüsant angemerkt wird, in der Sesamstraße, und wie besessen auf dem Teppichboden herumkrabbelt. Eine “pantomime villainess” konnotiert auch ein einfach aufzubauendes, stereotypes Feindbild, wie ein Bösewicht aus einem Märchen. Ein (modernes) Märchen will auch “Wild At Heart” sein, was Lynch mit aufdringlich gehäuften Verweisen auf den “Zauberer von Oz” klarmacht. Näher ist der Film allerdings an der Geschichte von Adam und Eva. Nur ist alles um eine Stufe verruchter und düsterer.

Trash in der Unterwelt

Lula und Sailor brauchen keine Angst mehr davor zu haben, verdorben zu werden, denn das sind sie schon. Sailors Ursünde besteht darin, einen schwarzen Handlanger seiner Schwiegermama gleich zu Anfang des Films wortwörtlich zu Brei geschlagen zu haben. Eine scheußliche Szene, deren Konstellation einen, wenn man sich den generellen Mangel an ethnischer Vielfalt in David Lynchs restlichem Werk vor Augen führt, mit Unbehagen erfüllt. Und die echte Welt außerhalb des Paradieses ist auch schon einfach nicht bloß mehr nur prosaisch und mühsam, sondern eine veritable Unterwelt voll von grotesken, manischen Freaks mit verzerrten Fratzen.

Wenn man David Lynch wohlgesonnen ist, kann man ihm zugute halten, dass er sich mit “Wild At Heart” aufrichtig bemüht hat, seinen zu diesem Zeitpunkt letzten Film “Blue Velvet” nicht einfach zu wiederholen. Während sich die Abgründe der vorstädtischen Gesellschaft in “Blue Velvet” nach und nach subtil herausschälen, ist die Perversion in “Wild At Heart” bereits ein offen nach außen getragenes Kennzeichnungsmerkmal. Etliche zur Anwendung kommende Verfremdungseffekte zielen darauf ab, das Publikum davon abzuhalten, sich auch nur eine Minute in den Film vertiefen zu können. So bricht aus Angelo Badalamentis schwülstig-orchestralem Soundtrack immer wieder jäh wüster Speed-Metal heraus (und umgekehrt). Ein Hotel in den tiefsten Einöden Texas’ wird von einer Handvoll viktorianischer Gentlemen betrieben (Überbleibsel vielleicht aus dem “Elephant Man”?). Grobschlächtige expressionistische Anleihen bei Werbespot- und Musikvideo-Ästhetik unterlaufen das Geschehen.

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Meta-Ware

Die Auseinandersetzung verlagert sich letztendlich in die Köpfe der Zuschauerinnen und Zuschauer, die sich, falls sie keine passionierten Pulp-Fans sind, fragen, warum sie sich anschauen, wie sich zum Beispiel ein verschwendeter Crispin Glover ohne jegliche narrative Bewandtnis in einem Exkurs Kakerlaken in seinen Hintern einführt, oder Willem Dafoe Laura Dern in einem fünfminütigen Kompaktaufguss von “Blue Velvet” körperlich nötigt.

“Wild At Heart” ist dahingehend genausowenig tatsächlich ein Film über ein Paar auf der Flucht, wie “Funny Games” ein Film über einen Hausfriedensbruch, oder “Starship Troopers” über intergalaktische Kriegsführung, sondern, wie diese beiden anderen Beispiele, über die Rezeptionsgewohnheiten des Publikums, und inwiefern sie es ihm trotz der offensichtlichen, vor den Kopf stoßenden Effekthascherei ermöglichen, mit dem vermeintlichen Plot mitzugehen.

Aufgrund von Produktionsschwierigkeiten unter großem Zeitdruck in nur wenigen Wochen von David Lynch adaptiert und entwickelt, und weniger entschlossen als “Natural Born Killers”, weniger unterhaltsam als “Raising Arizona” und weniger wortgewandt als “True Romance”, ist “Wild At Heart” das eine unter den am Übergang von den 1980ern zu den 1990ern aus dem Kraut schießenden Liebes-Road Movies, das man getrost auslassen kann.

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