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Ezra Furman

Jessica Lehrman

Time to get to work: Ezra Furman ist FM4 Artist of the Week

Wut, Angst und Sorgen um die Ärmsten der Welt liefern den Hintergrund für „Twelve Nudes“, das neue Album von Ezra Furman, voll mit lauten, direkten Liedern über Herausforderungen und Probleme des 21. Jahrhunderts.

Von Christoph Sepin

Als ich mit Ezra Furman über sein neues Album „Twelve Nudes“ telefoniere, haben wir gerade die Nachricht bekommen, dass Toni Morrison vor wenigen Stunden verstorben sei. Mit einem Zitat der Autorin beginnt dann auch gleich das Gespräch: „Toni Morrison hat gesagt“, so Furman, „jetzt ist die Zeit, in der sich Künstler und Künstlerinnen an die Arbeit machen. Nicht wenn alles gut ist, sondern in Zeiten von Furcht“.

Gesellschaft, Politik, Klimakrise, globale Notfälle: Themen hat Ezra Furman genug gefunden für sein neues Album. „In letzter Zeit denke ich mir, mein Job ist es in meine Seele zu blicken und zu schauen, was sich dort drin befindet“, sagt Furman. Und was er zurzeit dort entdeckt sind Wut, Angst und Sorgen. Sorgen um die Ärmsten der Welt. „Es ist mein Job, das rauszubringen und den Menschen dabei zu helfen, in diese Realitäten einzuchecken“.

Schnell, trinkend, rauchend, schmerzhaft, laut

Aufgenommen ist „Twelve Nudes“ während einer Session in Oakland worden. Schnell, trinkend, rauchend, schmerzhaft, laut, so sagt es der Pressetext. „This is our punk record“, fügt Furman hinzu. Dieser Produktionsprozess wird beim Hören des Albums schnell transportiert. Kurz ist am Opening Track „Calm Down aka I Should Not Be Alone“ noch der klassische Rock’n’Roll aus Furmans früheren Arbeiten zu hören: Das Upbeat-Getrommel, das Rolling Stones-Woop-Woop. Aber dann wird ganz schnell zerlegt, geschrien, angeprangert, verzerrt und übersteuert. „Baby calm down, I know you can’t because I can’t calm down“, brüllt Furman da.

All zu lange hat es nicht gedauert vom letzten Album „Transangelic Exodus“ aus dem Jahr 2018 bis zur Veröffentlichung des Nachfolgers „Twelve Nudes“. Die düstere, oft triste Welt auch damals schon das große Thema, während das auf „Transangelic Exodus“ aber noch in eine fantastische Geschichte um einen gefallenen Engel eingebettet war, zielt Furman auf der neuen Platte auf Konfrontation mit der Realität ab. „Man kann mehr Dringlichkeit auf dem neuen Album hören und es ist mit mehr Dringlichkeit gemacht worden“, fasst er zusammen. „The emergencies have intensified“.

Ezra Furman

Ezra Furman

„Twelve Nudes“ von Ezra Furman ist auf Bella Union erschienen.

Das lässt sich schon am Albumtitel ablesen, „Twelve Nudes“ hier als Symbol für die Nacktheit und Direktheit der Lieder, „with nothing to hide“, so Furman. Wut hier auch das wichtige Element auf der Platte: Ich schlage Furman passend zur Punkausrichtung die John Lydon-Textzeile „Anger is an energy“ als thematischen Grundsatz vor, er kontert mit Joe Strummers „Anger can be power“ aus „Clampdown“ von The Clash. „Vielleicht kann uns Musik daran erinnern, dass wir nicht so hilflos sind, wie wir uns manchmal fühlen“, sagt Furman zu diesem Ansatz, Wut als Methode anzuwenden, um Kraft zu gewinnen.

Dieses Gefühl vermitteln Furman und seine Band schon seit langem bei den herausragenden Liveshows: Gemeinschaft, Zusammenhalt, Energie und Kraft auf das Publikum zu übertragen. Das jetzt auf einer Platte zu vermitteln, das war eine große Herausforderung auf „Twelve Nudes“.

„Wenn du das Gefühl hast, meine Musik hat dir Energie gegeben, verwende das, um etwas zu machen, das zählt. Und wenn dir nichts einfällt, darf ich die Bewegung vorschlagen, um den Klimawandel zu stoppen“.

Eines, wenn nicht das wichtigste Anliegen für Furman: Fast hätte das Album sogar einfach auch „Climate Change“ geheißen.

Ein furchtloses Album

Gesellschaftliche Herausforderungen werden genommen, werden auf persönlicher Ebene erzählt und erreichen durch Furmans Texte wiederum Allgemeingültigkeit: Hier auch noch hervorzuheben, dass als erste Single zur Platte veröffentlichte „I Wanna Be Your Girlfriend“. „Das Lied ist Transgenderpersonen gewidmet, wovon ich eine bin. Ich hab mich früher nicht als transgender bezeichnet, aber jetzt mache ich das“, so Furman.

Entstanden ist ein Liebeslied, ein Lied der romantischen Sehnsucht. „Aber auch Sehnsucht danach, ernst genommen zu werden. Wir möchten ernst genommen werden und oft bemerken Leute nicht, wenn sie auf unserer Menschenwürde trampeln“. Und das fasst Furman wundervoll mit der Textzeile zusammen: „But maybe, baby, it’s not all about what you thought that you wanted. It’s about the way I can make you feel“.

Und auch wenn, wie im anfangs erwähnten Zitat von Toni Morrison, eine Zeit der Furcht als Inspiration für „Twelve Nudes“ verwendet wurde, ist das ein furchtloses Album. Ein Album, das sich mit Selbstverständlichkeit an die Probleme der Welt heranwagt und diese nicht einfach abarbeitet, sondern vollgepackt mit Emotionen persönlich und direkt wiedergibt. Ezra Furman hat sich an die Arbeit gemacht, das Endresultat ist laut, verzerrt, wütend und wunderschön.

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