FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Wahlzettel

Pixabay

Demokratie ohne Demokratie

Dirk lebt seit 31 Jahren in Österreich. Er arbeitet hier als Autor und Entertainer, er zahlt hier Steuern und interessiert sich dafür, wie es in seinem Österreich weitergeht. Ohne österreichische Staatsbürgerschaft zählt seine Stimme bei der kommenden Wahl aber null.

Von Lukas Tagwerker

In Österreich wohnende EU-Bürger*innen dürfen ihre Stimme auch bei Kommunalwahlen abgeben. Bei den Wahlen zum Parlament bleibt die Teilnahme aber an die österreichische Staatsbürgerschaft geknüpft. Diese Staatsbürgerschaft zu erlangen ist schwer. Politikwissenschafter*innen sprechen davon, dass die österreichische eine der „restriktivsten Staatsbürgerschaften weltweit“ ist.

Aus all dem ergibt sich ein Problem für die Demokratie in Österreich: während die Bevölkerung wächst, schrumpft die Zahl der Menschen mit Wahlrecht. Bei der Wahl am 29.9.2019 werden 1,2 Millionen Menschen im Wahlalter vom Urnengang ausgeschlossen.

Julie, Pass Egal

SOS Mitmensch

Schrumpfösterreich wählt – Gesamtösterreich wartet auf ein reformiertes Wahlrecht

Die auseinandergehende Schere zwischen Wahlbevölkerung und Gesamtbevölkerung gefährdet laut dem Politologen Gerd Valchars ein Grundprinzip der Demokratie: diejenigen, die den Gesetzen unterworfen sind, sollten mit denen identisch sein, die diese Gesetze (durch ihre gewählte Vertretung) beschließen.

Die Interessen von Menschen ohne Wahlrecht gehen im politischen Raum verloren. Da die Parteien sie nicht vertreten können, macht es auch keinen Sinn, um diese Personengruppe (jede*r sechste in Österreich) zu werben, sie anzusprechen, ja überhaupt mit ihnen zu reden. So verschwinden 1,2 Millionen Menschen aus dem Blickfeld.

In Zeiten globaler Mobilität, da auch aus Österreich eine postmigrantische Einwanderungsgesellschaft geworden ist, nimmt die Zahl von dauerhaft ansässigen Nicht-Staatsbürger*innen zu. Das Handeln einer Regierung, die von einer parlamentarischen Mehrheit abhängig ist, wird von einem immer geringeren Bevölkerungsanteil legitimiert.

Da die wachsende Zahl von Menschen ohne Wahlrecht verhältnismäßig stark in Städten, unter Jugendlichen und unter den Geringverdiener*innen zu finden ist, werden diese Bevölkerungsgruppen - im Verhältnis ihrer tatsächlichen Größe zu ihrer politischen Vertretung – unterrepräsentiert.

NRW17 Grafik

Gerd Valchars

Wiener Bezirke, in denen nur mehr die Hälfte der Wohnbevölkerung ein Wahlrecht hat, haben so auch nur mehr das halbe politische Gewicht.

Dass das Wahlrecht an die Staatsbürgerschaft und die Erlangung der Staatsbürgerschaft (regulär nach 10 Jahren Aufenthalt) an monatliche Mindesteinkommen deutlich über 1.100 Euro geknüpft ist, führt dazu, dass überwiegend Arbeiter*innen, Alleinerziehende und Mindestpensionist*innen von demokratischen Grundrechten ausgeschlossen bleiben. Sie dürfen keine Demonstrationen anmelden, keine Petitionen ans Parlament stellen und eben nicht wählen.

SOS Mitmensch www.sosmitmensch.at veranstaltet am 24.September zum ersten Mal in allen Bundesländern die Pass-Egal-Wahl. Dabei werden tausende Menschen mit und ohne Staatsbürgerschaft symbolisch gemeinsam ihre Stimmen abgeben.

Den zur Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft geforderten „Nachweis eines hinreichend gesicherten Lebensunterhalts“ könnten übrigens viele Bürgerinnen gar nicht erbringen: aktuell verdienen 60% der österreichischen Arbeiterinnen dafür nicht genug.

Neben Modellen von Wohnbürgerschaft – in Neuseeland z.B. dürfen Eingewanderte auch ohne Staatsbürgerschaft nach einem Jahr Aufenthalt wählen gehen – und einer Ermöglichung von Doppelstaatsbürgerschaften für Menschen mit mehr als einer Heimat wäre vor allem die Senkung der finanziellen Hürden bei der Einbürgerung ein Mittel gegen das Demokratiedefizit.

Frustration, beschädigtes Selbstwertgefühl, dauerhafte Nicht-Zugehörigkeit – diese Erfahrungen könnten bei einer Reform des Wahlrechts ein Ende finden. Die Gruppe der heutigen Nicht-Staatsbürger*innen wäre plötzlich ein riesiges Wähler*innensegment. Rassistische Feindbildpolitik würde mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu einer Risiko-Strategie. Gut möglich, dass ein Schließen der demokratischen Lücke auch wieder mehr Sachlichkeit in den Politikdiskurs einziehen ließe.

„Ich bin nicht alleine, wir sind sehr viele, denen es genauso geht. Lasst uns wählen!“ fordert Dirk, der seit über drei Jahrzehnten in Österreich lebt.

Was bedeutet dir dein Wahlrecht?

Darfst du nicht wählen, würdest aber gerne?

Um welche Themen sollte sich die kommende Regierung kümmern?

Livetalk Event

FM4

FM4 Auf Laut Livetalk in der Brunnenpassage
Moderation: Ali Cem Deniz (Radio FM4)

Es diskutieren:

Esra Özmen (ESRAP), Rapperin
Gerald Hörhan, Unternehmer und Investment-Punk
Nicole Schöndorfer, Autorin
Ildar Da, Punkmusiker
Duffy Sylejmani (FEMME DMC), Rapperin
Heute!
Zum Facebook-Event

Start in der Brunnenpassage: 20:00
Start on Air: 20:30

FM4 Auf Laut live aus der Brunnenpassage am Wiener Yppenplatz: Was für eine Wahl!?

Dass russisches Geld österreichische Politiker kauft, war dann doch zu viel. Nach dem Ibiza-Skandal werden am 29. September die Wähler*innen gefragt, „das Volk entscheidet“, heißt es. Über eine Million Menschen dürfen bei den Parlamentswahlen ihre Stimme aber nicht abgeben, obwohl sie hier seit vielen Jahren leben, arbeiten und Steuern zahlen. Ohne Pass haben sie kein Wahlrecht. Was bedeutet der Ausschluss großer Teile der arbeitenden Bevölkerung für die Demokratie? Welche Interessen vertreten die zur Wahl stehenden Parteien? Und um welche gesellschaftlichen Probleme – Bildungssystem, Wohnen, die drohende Klimakatastrophe – soll sich die nächste Regierung kümmern?

Aktuell: