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Die Fleißigen und die Faulen

Todors Taxifahrer teilt die Menschen in fleißig und faul ein. Sein Sohn wohnt in London und gehört zu den Fleißigen.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Oft kommt mir vor, dass nichts zufällig passiert. Der Taxifahrer, der mich zum Flughafen in Sofia bringt, schaut aus wie der Zwillingsbruder von Boris Johnson. Nur sind seine Haare ganz weiß und nicht blond. Im Auto hängt sein Dienstausweis. Der Taxifahrer heißt ebenfalls Boris. Als er erfährt, dass ich im Ausland lebe, seufzt er tief und sagt: “Alle, die hart arbeiten, sind weggegangen. Hier sind nur Faulenzer geblieben!”

Das ist sehr schmeichelhaft, denn zum ersten Mal in meinem Leben zählt mich jemand zu den Fleißigen. Normalerweise gehöre ich zu den Faulenzern. Ich frage den Taxifahrer, ob er wohl zu den Faulen gehört, weil er immer noch in Sofia lebt. Er seufzt erneut: “Ich arbeite hart, weiß aber nicht warum!”

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Dann erzählt er mir von seinem einzigen Sohn, der in London lebt und arbeitet. Das Profil seines Sohnes wird zunehmend klarer: klug, fleißig und unternehmerisch. Der Sohn absol-vierte eine englischsprachige Schule in Sofia und - “cherchez la femme” - folgte seiner Freundin nach London. Dort studiert sie Informatik, und er arbeitet jeden Tag zwölf Stun-den, um sie zu unterstützen. Er begann als Lagerarbeiter in einem Supermarkt, dann stieg er zum Kassierer auf, jetzt ist er bereits stellvertretender Leiter der Filiale.

Jeden Tag streitet er mit Lieferanten, faulen Mitarbeitern und unzufriedenen Kunden. Und so bringt er “Brot und Butter” auf den Tisch. Nach zwölf Stunden Arbeit muss er noch sei-ner Freundin bei ihren Uniaufgaben helfen. Der Taxifahrer seufzt wieder. “Und danach fällt er wie tot ins Bett!”. Ich will wissen, ob ihn sein Sohn manchmal besucht. “Nein”, seufzt Boris, “ihm geht es gut dort.”

Ich frage mich, was wohl das Gute an dem gerade beschriebenen Lebensstil des Sohnes ist, will aber keinen weiteren Seufzer verursachen und sage nichts. Deshalb bemerke ich nur, dass sein Namensvetter Boris Johnson meint, dass Großbritannien nur von faulen Migran-ten aufgesucht wird, die Sozialhilfe wollen. Dieses Mal seufzt der Fahrer nicht: “Das Wichtigste für einen Politiker ist, zu wissen, woher das Brot kommt. Wenn sie meinen Sohn verjagen, wer wird dann das Brot bringen? Wird es Boris Johnson selbst verkaufen?” Ich stelle mir Boris Johnson als Bäcker vor mit Mehl im Gesicht und muss lachen. In der Zwischenzeit haben wir den Flughafen erreicht.

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