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Das neue Album von !!!

Die Dance Punks !!! aus NYC verpassen uns mit „Wallop“ eine Ohrfeige und feiern den Poptimismus.

Von Christian Lehner

Man könnte die Sache kurz halten und sagen: Die Dance-Punk-Band !!! aus New York City hat ihr achtes Dance-Punk-Album, „Wallop“, veröffentlicht. Es ist ein gutes Dance-Punk-Album geworden. Dieses Mal ist aber auch ein bisschen 1990er-Pop à la Britney Spears dabei. Das hat Gründe.

Ihr seid noch immer da? Gut! Denn nun wollen wir die Gründe ergründen. Hier also der Longread mit Gedankengirlanden zum Zustand der Popmusik im Jahre 2019. Vorsicht, es wird hochtrabend, doch die Geschichte beginnt ganz banal in einem Hotelzimmer in Berlin.

„Ich war in einer Zeit jung, als Pop noch als das Böse schlechthin galt“, sagt Nic Offer. Der Mann mit den angegrauten Locken und dem spitzbübischen Grinsen spricht über die 1980er-Jahre. Der nostalgische Blick zurück in Serien wie „Stranger Things“ verklärt das Jahrzehnt des Vokuhilas, der Schulterpolster und des Kalten Krieges zum kunterbunten Kinderfasching in der Shopping Mall, wo doch der Alltag ziemlich grau und von existenziellen Ängsten geprägt war (Atombomben und so).

Der Soundtrack dazu lässt die Dekade als eine kuschelige Prom Night erscheinen: New Wave neben Punk, neben Soft-Rock, neben Goth und Charts-Balladen. Dabei lagen sich diese Stämme nicht selten in den damals noch mit FCKW gestärkten Haaren. Anders gesagt: Wer Joy Division mochte, konnte mit „Africa“ von Toto eher weniger anfangen und umgekehrt.

Was ist Poptimismus?

Heute, im Streaming-Zeitalter, kann man sich das gar nicht mehr vorstellen. Alles geht, solange es den Zuhörenden irgendwo irgendwie abholt. Am besten mobil. Die Konsument*innen pfeifen zunehmend auf Abgrenzung durch Genres. Acts wie Billie Eilish, Ed Sheeran und The 1975 wechseln ihren Stil nicht mehr von Album zu Album, wie man das früher tat (wenn man überhaupt entwicklungswillig war), sondern mehrmals pro Platte.

Nic Offer von !!! in Berlin

Christian Lehner

Dahinter steckt nicht nur die allumfassende Verfügbarkeit von Musik, die vor gut 20 Jahren mit dem Aufkommen von YouTube, MySpace und diverser Tauschbörsen einsetzte und für dementsprechende Prägung im Jugendzimmer sorgte, sondern auch Kalkül. Songs mit unterschiedlichen Klangbildern lassen sich auf verschiedene Playlists verteilen. Spotify und Co weisen diese Spiellisten zwar noch immer als Genres aus, doch viel wichtiger als ein bestimmter Stil ist beim Streaming die Anmutung eines Songs, das Gefühl, das er auslöst, die Stimmung, die verbreitet wird.

Jemand wie Billie Eilish beherrscht dieses Post-Genre-Spiel perfekt, weil es ihrer künstlerischen Vision entspricht. Bei Ed Sheeran hingegen verkommt dieser Ansatz zur Zielgruppenoptimierung, die sich am Ende aller historischer Genrespuren entledigt hat und wie das große Nichts klingt.

Wenn alles gleichberechtigt nebeneinander steht, ist Pop der große Gewinner. „Poptimismus“ nennt Nic Offer diese Entwicklung im FM4-Interview.

Der Dance-Punk der Nullerjahre

Offer hatte Ende der 1990er-Jahre das Musikerkollektiv !!! gegründet. Unter Rückgriff auf den Post-Punk der 1980er Jahre brachten !!! den Sound der Dance-Clubs auf die Rockbühne. Gegründet in Kalifornien, stießen !!! gemeinsam mit Bands wie The Rapture, LCD-Soundsystem und Radio 4 das Dance-Punk-Movement in NYC an. Der damalige Bürgermeister, Rudy Giuliani, hatte unter Rückgriff auf ein Anti-Jazz-Gesetz der 1920er Jahre einen „Dancing Ban“ über New York verhängt, der vor allem Dancefloor-Lokale traf.

Viele Clubheads umgingen das Verbot mit der Gründung von Bands und der Verschmelzung von Dub, Funk und elektronischen Beats mit schneidenden Gitarren und funkenden Bässen. Dieser Mikro-Rebellion setzten !!! mit dem Stück „Me And Giuliani Down By The Schoolyard (A True Story)" ein Ton gewordenes Denkmal.

Heute ist der „Dancing Ban“ Geschichte – ebenso wie viele Dance-Punk-Bands. Doch !!! sind immer noch in Bewegung. „Wallop“ ist der Titel des achten Studioalbums der New Yorker. Der schneidige Funk ist noch präsent, aber es haben sich neue, ungewohnte Sounds in den Mix geschummelt. „Wallop“ bedeutet so viel wie „Watsche“. Die dürfte für langjährige Fans darin bestehen, dass !!! viele Sounds der 1990er-Jahre in das neue Album eingearbeitet haben. Dabei handelt es sich aber weniger um Drum’n’Bass oder Dubstep, sondern um Charts-Pop der Neigungsrichtung Britney Spears, Janet Jackson oder gar Roxette.

Was zunächst absurd klingt, stellt sich bei näherer Betrachtung als gar nicht so abwegig dar. Der Mainstream-Pop der 1990er Jahre vereinte gleich mehrere Stile in sich: elektronische Clubmusik (Eurodance!), Synth-Pop aus den 1980er Jahren, Rock und Spurenelemente von R’n’B und Rap. Auch der berühmt-berüchtigte Autotune-Effekt kam erstmals prominent zum Einsatz und zwar in Chers Hit „Believe“. Dass dieses Soundgemisch in vielen zeitgenössischen Produktionen auftaucht, hält Offer für keinen Zufall.

Der ewige Zyklus des Pop

„Der Recycling-Zyklus im Pop funktioniert im 20-Jahre-Abstand. Eine Auseinandersetzung mit dem Pop von heute ist immer auch eine Auseinandersetzung mit dem, was vor 20 Jahren passierte. Wir wollten ein Album machen, das diese Auseinandersetzung reflektiert, anstatt uns ein weiteres Mal auf Post-Punk zu beziehen.“

Tatsächlich klingen Stücke wie „Serbia Drums“ und „Couldn’t Have Known“, als ob !!! gemeinsam mit Ace Of Base in die Achterbahn gestiegen wären und irgendwo am Weg die Swedish House Mafia eingesammelt hätten. „Wir mögen, was die Skandinavier im Pop gemacht haben und noch immer machen, oder jemand wie Rosalía, die auf eine völlig andere Art und Weise Grenzen sprengt. Der Pop von heute ist experimentierfreudig“, sagt Nic Offer dazu.

Sendungsbild Interview Podcast

Radio FM4

Das Interview mit Nic Offer im FM4 Interviewpodcast

Dass die 1990er-Jahre wieder hip sind, ist jetzt nicht sooo die Neuigkeit, dass Popmusik die Vergangenheit zitiert, auch nicht. Und dass sich mit Kategorien wie Genre, Underground und Mainstream nicht mehr so einfach hantieren lässt wie in der Vergangenheit, hat sich auch bereits herumgesprochen. Dem in den 1980er-Jahren musiksozialisierten Nic Offer ist allerdings bewusst, dass das lange Zeit anders war, und er macht es an der Pop-Prominenz von damals fest.

„In den 80ern war Pop bei uns total uncool. Ich kann mich an ein Interview erinnern, in dem Morrissey sagte, Madonna und Prince wären Idioten. Und nun sieh dir an, wie Madonna und Prince heute bewertet werden und wer heute der Idiot ist.“

Doch Nic Offer sieht auch erste Wolken am Horizont des Poptimismus aufziehen. „Ich habe das Gefühl, dass jetzt, wo alle bei Pop gelandet sind und alle Taylor Swift und sogar Justin Bieber gut finden, dass da bald ein Sättigungsgrad erreicht sein wird und ganz neue Referenzpunkte entstehen.“

Ob !!! nach über 20 Jahren Bandgeschichte zu ihren eigenen Anfängen zurückkehren werden, wird sich wohl beim nächsten Album zeigen. Und wie wird Popmusik nach dem 90ies-Hype klingen? Dann wäre als Fokuspunkt der Retro der Nullerjahre dran. Das wäre ja megameta.

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