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Grimes

Grimes

song zum sonntag

Da blutet die Erde: Grimes bringt Glück und Gewalt

Der Song zum Sonntag: Grimes & i_o - „Violence“

Von Christoph Sepin

Claire Boucher ist Bewohnerin ihres eigenen Universums. Die Welt von Grimes ist bunt und düster zugleich, ein Remix aus Videospielsymbolik und Popkulturzeitgeist, einerseits aufgeladen mit Do-It-Yourself-Ästhetik, dann wieder in Perfektion hochproduziert. Widersprüche treffen in diesen verzerrten Visionen aufeinander: Krieg und Gewalt auf wohlig-warme, zuckersüße Glücksmomente.

Obwohl das alles eigentlich schwer möglich sein sollte, schafft Grimes diese alternativen Realitäten mühelos heraufzubeschwören. Nicht erst seit den neuesten Liedern, nicht erst seit dem letzten Album „Art Angels“ aus dem Jahr 2015, sondern schon seit Beginn ihrer Karriere.

  • Alle Songs zum Sonntag auf FM4
  • Auch die geschätzten Wissenschafts- und Popjournalist*innen Thomas Kramar und Heide Rampetzreiter machen sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song ihre Gedanken.

Zeit für Miss Anthropocene

In den letzten Monaten hat Grimes mit anderen hervorragenden Personen der Musikwelt gemeinsam gearbeitet: Mit Janelle Monáe ist das Lied „Pynk“ entstanden, mit Poppy das posthumanistische Emo-Wunderwerk „Play Destroy“. Und dann im März die wundervolle Nachricht, dass mit „Miss_Anthropocene“ noch heuer das fünfte Album von Grimes erscheinen soll. Und das alles unter einem herrlich verstörenden Grundkonzept.

Die Welt geht unter, das weiß Grimes, baut aber eine Welt, in der diese Selbstzerstörung gefeiert wird: „Miss_Anthropocene“ soll ein Konzeptalbum werden, thematisch soll es sich um die Göttin des Klimawandels drehen und, so schreibt Grimes, „each song will be a different embodiement of human extinction as depicted through a pop star Demonology“. Im Fall einer kreativen Perfektionistin wie Grimes ist das eine Ansage, die Gänsehaut vor Vorfreude gibt. Und ein Versprechen, das mit „Violence“ jetzt schon fabelhaft ausgeführt wird.

Wenigstens irgendein Gefühl

Wenn Grimes über Gewalt singt, dann ist das ein Grund zur Freude: „I am like, begging for you baby“, singt sie verschwommen und kaum verständlich. „Makes you wanna party, baby, it’s violence“. Als Ersteindruck, ohne die erweiterte Hintergrundgeschichte zu den neuen Texten von Grimes zu kennen, ist das als Eröffnungszeile schon intensiv genug: Ist das eine Abhängigkeit auf zwischenmenschlicher Ebene, die hier besungen wird? Das Betteln, die Gewalt, die menschlichen Abgründe? Ja, auch, und dann viel mehr.

Violence Cover

Grimes

Die Erde blutet in „Violence“.

Grimes lässt in „Violence“ Mutter Erde zu Wort kommen, spricht direkt mit den Menschen kurz vor dem Untergang und scheint das eigene Schicksal zu akzeptieren: „You feed off hurting me“, lautet die Feststellung, aber feier doch einfach weiter, bis zum bösen Ende, weil irgendwie gefällt mir das: „You wanna make me bad, and I like it like that“.

Das ist schon musikalisch wunderbar durchdacht und konzeptioniert: Nebelige Bässe und warme Ambientsounds, dann ein simpler, effektiver Beat. Instrumente und Effekte tauchen mal auf, dann wieder ab, viele Spuren werden erst bei mehrmaligem Hören bemerkbar. Trotzdem verzichtet Grimes nicht auf klassische Popstrukturen und Motive: „You wanna pay me back, said I like it like that“ ist hier der catchy Refrain.

Visuelle Weiterführung bietet das Musikvideo zu „Violence“, zu Beginn eine Grimes, die „The Art of War“ studiert, dann eine Tanzchoreografie der großartigen Natsuki Miya, die man sofort auswendig lernen möchte. Die Liebe zum Detail in der Musik ist auch im Musikvideo sofort zu erkennen.

Es ist beeindruckend, mit welcher Leichtigkeit Grimes von Release zu Release weiterhin überraschen und begeistern kann - und auf scheinbar simple Weise, die doch auch komplexen Themen ihrer Welten vermitteln kann. Auf diesem Lied, einer der besten Veröffentlichungen des Jahres, ist das eben der Soundtrack zum Weltuntergang. Ihre Hand streckt sie mit „Violence“ aus, um in das Universum von „Miss_Anthropocene“ einzutauchen. Und es sei geraten, diese Einladung anzunehmen.

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