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Peter H./Pixabay

„Der Store“ beschreibt eine Zukunft, auf die wir zusteuern

Als modernes „1984“ wird der Roman „Der Store“ beworben, als neuere „Schöne neue Welt“. Im Unterschied zu anderen Dystopien ist im Roman von Rob Hart klar, wie die Menschheit hierhin kam. Damit ist „Der Store“ nicht nur Thriller, sondern auch eine direkte Kritik an unserer Gesellschaft.

Von Lena Raffetseder

Die Erde ist fast unbewohnbar geworden. Die Meeresspiegel sind gestiegen. Die Welt ist um ein paar Grad heißer geworden, die Luft ist enorm verschmutzt, Jobs gibt es kaum. Die Politik hat keine Lösungen. Ein Unternehmen scheint aber der Heilsbringer zu sein: „Cloud“ – offenbar von „Amazon“ inspiriert – ist das mächtigste Unternehmen der Welt. 30 Millionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat der Online-Händler. In den vielen „Cloud“-Locations, den „MotherClouds“, können die Angestellten praktischerweise auch gleich leben und ihre spärliche Freizeit verbringen.

„Cloud“-Alltag und Undercover-Arbeit

„Der Store“ beginnt, als Paxton und Zinnia in einer „MotherCloud“ anheuern. Paxton ist zwar kein großer Fan des Unternehmens, sehnt sich aber nach Stabilität, einem Zuhause und Sicherheit. Das gibt es eben nur bei „Cloud“. Zinnia beginnt ihren Job im Lager, wo sie Waren für den Drohnenversand verpackt. Von Anfang an ist klar, dass Zinnia anderes vorhat als von Regal zu Regal zu hetzen. Sie ist Wirtschaftsspionin und soll die Geheimnisse der Cloud aufdecken. Durch ihre Neugier erfährt man, wie „Cloud“ funktioniert. Neben Paxton und Zinnia liefert Autor Rob Hart mit „Cloud“-CEO Gibson Wells eine dritte Perspektive. Der todkranke Wells - ein fast überzeichneter Bösewicht – muss seine Nachfolge regeln und sein Vermächtnis sichern.

„Der Markt bestimmt“

Thriller, Dystopie, Gesellschaftskritik, Liebesgeschichte.Rob Hart verbindet all diese Aspekte. Herausgekommen sind 600 Seiten, die fesseln und aufregen. Denn die Bewohnerinnen und Bewohner der „MotherCloud“ werden laufend bewertet, ihr Geld ist nichts wert, sie haben keine Rechte, keine freien Tage und sie werden permanent über ein Armband überwacht.

„Außerhalb Ihrer Wohnung muss das CloudBand zu jeder Zeit getragen werden. Aufgrund der sensiblen Informationen, die auf jedem CloudBand gespeichert sind, wird im Sicherheitssystem von Cloud ein Alarm ausgelöst, wenn es zu lange abgelegt wird oder jemand anderes Ihr Band tragen sollte.“

„Der Store“ (Originaltitel „The Warehouse“) ist im Heyne Verlag erschienen. Übersetzt hat den Roman Bernhard Kleinschmidt.

„Cloud“ überwacht, ist Monopol und macht Gesetze. Und alles hat damit begonnen, dass Kundinnen und Kunden immer den niedrigsten Preis bezahlten und im Gegenzug der „Cloud“ ihre Daten überlassen haben. So rechtfertigt CEO Wells seine Unternehmenspraktiken: er hat den Konsument*innen schließlich nur das gegeben, was sie wollten.

Angestellte als Wegwerfprodukte

Die Filmrechte für „Der Store“ – Rob Harts erstem Unterhaltungsroman - wurden schon verkauft, Regie soll Ron Howard führen. Hart hat bereits eine Krimiserie geschrieben und hat als Journalist und als Beamter im öffentlichen Dienst von New York gearbeitet. „Der Store“ widmet Hart Maria Fernandes, einer Dunkin‘ Donuts Mitarbeiterin, die 2014 durch eintretendes Gas in ihrem Auto erstickte, als sie dort zwischen Schichten ihrer drei Teilzeitjobs schlief. Fernandes hat dem Problem ein Gesicht gegeben, sagt Hart in einem Interview: „Wie Unternehmen ihre Angestellten wie Wegwerfprodukte behandeln. In dem Jahr, als Maria starb, konnte sie kaum $550 monatlich für ihr Keller-Apartment zahlen, während der CEO von Dunkin‘ Donuts 10 Millionen Dollar im Jahr verdiente.“

Die Schilderung der Arbeitssituation in den Unternehmenszentralen der „Cloud“ ist schockierend, aber bereits Realität. „iPhone City“ nennen Bewohnerinnen und Bewohner die Stadt um die Foxconn-Fabrik im chinesischen Zhengzhou. Die Parallelen zum fiktiven „Store“ sind offensichtlich: wenig Freizeit, engste Angestellten-Wohnungen, kaum Rechte und Suizide. Foxconn diente als eine Inspiration sagt Autor Hart, andere waren Amazon und Walmart.

Eine realistische Dystopie

Man fühlt sich schnell als Teil der „Cloud“. Bekommen Zinnia oder Paxton eine Mitteilung des Unternehmens, bilden diese ein eigenes Kapitel. Das ist dann fast so, als ob man sich selbst gerade in der „MotherCloud“ zurecht finden müsste. Durch die Wiederholung ganzer Textpassagen wird die monotone Arbeit der Angestellten greifbar. Langweilig wird es nicht. Die romantische Note wäre aber nicht notwendig gewesen, denn „Der Store“ gibt genug an Spannung her. Man ist schließlich dabei, als Zinnia die erschreckenden Geheimnisse der Cloud lüftet. Besonders eine Stelle musste ich mehrmals lesen, weil sie mich so verstörte.

Im Unterschied zu anderen Dystopien wie „Handmaid’s Tale“ oder „1984“ fragt man sich bei „Der Store“ nicht, wie die Menschheit so weit kommen konnte. Rob Hart entwirft in seinem Roman eine Welt, auf die wir zusteuern könnten: extreme Hitze durch die Klimakrise, unbewohnbare Gegenden, ein Unternehmen mit Monopolstellung das die billigsten Produkte anbietet und einen Ausweg aus der Arbeitslosigkeit bietet, dabei aber die Angestellten dem Profit opfert. Und dann merkt man, dass man eigentlich schon mittendrin steckt, im Store. „So ist es eben mit der Freiheit. Sie gehört dir, bis du sie aufgibst.“

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