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Joker am Venedig Filmfestival

La Biennale di Venezia

The Loser takes it all

Die Internationalen Filmfestspiele von Venedig standen dieses Jahr im Zeichen der Klimakrise. Aktivist*innen besetzten am Samstag den Roten Teppich. Als US-Regisseur Todd Phillips und sein „Joker“ Joaquin Phoenix dann aus der Limousine stiegen, konnte man treffsicher über einen Löwen für das fantastische Batman-Spin-Off spekulieren. Und es wurde zurecht der Goldene für den besten Film.

Von Petra Erdmann

Der „Joker“ war ganz klar der Kritikerdarling des Wettbewerbs. Ohne mit den Wimpern zu zucken, handelte man gleich nach seiner Weltpremiere letzte Woche am Lido dem „Joker“ als Oscarfavoriten in die Schuhe. Doch so recht traute sich kaum wer glauben, dass die Jurypräsidentin Lucrecia Martel eine Hollywood-Großproduktion zum Gewinner kürt. Der Goldene Löwe gebührt dieser Geschichte eines Losers, Arthur Fleck. Joaquin Phoenix spielt den psychisch kranken und liebenswürdigen Außenseiter aus dem Comic-Universum von DC, der langsam zum psychopatischen Killerclown „Joker“ mutiert und schnell die höchste Quote für den Oscar-Tipp als bester Hauptdarsteller einfahren wird.

„I thank Joaquin Phoenix for his open minded, beautiful and insane talents“, so “Joker”-Macher Todd Phillips (“Hangover”) und „Thanks to Warner Brothers for stepping out of your comfort zone “. Eigentlich ist “Joker” ein atemberaubend realistischer Horror-Film, der das Genre der Comicverfilmungen kräftig gegen den aufgemotzten Blockbuster-Strich bürstet. Unter tosendem Applaus nahm Todd Phillips, der aussah wie ein junger Donald Sutherland-look-a-like, den Hauptpreis entgegen, während Phoenix stumm im Hintergrund stand. „Grazie, Grazie“ nuschelte der Joker-Schauspieler dann doch noch vor seinem Abtritt ins Mikrophon.

Joker am Venedig Filmfestival

La Biennale di Venezia

Für Humanität

An diesem Abend sollten noch mehrere Preisträger*innen ergreifende Plädoyers für eine weltumfassende Humanität und gegen unmenschliche Politik halten. Der charismatische Colpa Volpi-Gewinner und bester Hauptdarsteller, Luca Marinelli erinnerte an die, „die für immer auf den Meeresgründen schlafen“. Lautstark sprach sich der Seefahrer aus der poetischen Bildungsromanverfilmung „Martin Eden“ gegen eine tödlich restriktive Flüchtlingspolitik aus.

Luca Marinelli

La Biennale di Venezia

Auch Französin Ariane Ascaride, die unter Regie ihres Mannes Robert Guédiguian im Sozialdrama „Gloria Mundi“ zur besten Hauptdarstellerin gekürt wurde, verteidigte als Tochter eines italienischen Einwanderers aus Marseille die Multikulturalität. Ascaride verkörpert in „Gloria Mundi“ eine Putzfrau, die sich in ihrer Arbeiterinnenjugend den linken Protesten angeschlossen hatte und nun, streikmüde, um ihre Existenz kämpft. Ihre Kinder hingegen setzen mehr auf das schnelle Geld und haben wenig Solidarität mit der Familie.

Erfreulich, dass mehrere Regisseure aus repressiven Systemen für ihre Arbeit am Lido aufgezeichnet wurden, nachdem sie mit größter Mühe zum Filmfestival kommen konnten. Die pakistanische Regierung hatte dem „Orrizonti“-Kurzfilm-Gewinner Saim Sadiq zunächst die Ausreise verweigert. Erst zwei Stunden vor der Weltpremiere konnte Sadiq eintreffen, um seinen Kurzfilm “Darling“ in Europa vorzustellen. Die Bollywood-Hommage zeigt die Ausbeutung, aber auch die Huldigung der queeren Dance-Subkultur in der Heimat des Filmemachers.

Filmstill aus "Darling"

Darling

Der einzige Animationsfilm des Wettbewerbs, „No. 7 Cherry Lane“ war eine überragende Pop-Referenz auf die Unruhen von 1967 in Hongkong. Der melancholische Liebesfilm ist durchdrungen von der künstlerischen Freiheit und der Inspiration des europäischen Kinos, die Regisseur Yonfan in den 60er Jahren genoss. Dafür gab es den Award für das beste Drehbuch. Regisseur Yonfan war nach 40 Filmen mächtig stolz auf seine erste wichtige Auszeichnung. Er äußerte seine klare Unterstützung für die aktuellen Proteste in Hongkong.

Ein Still aus dem Film NO. 7 CHERRY LANE

Far Sun Film Company Limited

Die argentinische Regisseurin Lucrecia Martel („Zama“) ist bekannt für ein formalstrenges Arthouse-Kino. Es waren sogar Buhrufe im Gala-Saal zu hören als Martel die Showbühne betrat. Dass die feministische und offen lesbische Filmemacherin den in den USA wegen sexuellen Missbrauchs angeklagten Roman Polanski als Preisträger in Erwägung ziehen würde, galt als ausgeschlossen. Dennoch und wider allen Gerüchteküchen-Klischees erhielt Roman Polanski den Großen Preis der Jury. Sein beachtliches, wenn auch klassisch anmutendes Justizdrama „J´accuse“ erhielt den Großen Preis der Jury.

Polanski und die Justiz

„J´accuse“ erzählt von der Dreyfus-Affäre, einer massiven antisemitischen Verschwörung im französischen Militärapparat. Der jüdische Offizier Alfred Dreyfus (Louis Garrel) wurde um 1900 fälschlicherweise wegen Landesverrats und Spionage auf die Teufelsinsel lebenslang verbannt, bis er viele Jahre später rehabilitiert werden konnte. Polanskis Ehefrau und Schauspielerin Emmanuel Seigner spielt eine Nebenrolle in „J´accuse“. Seigner nahm den Preis mit einem äußerst knappen Statement entgegen. Ihr Mann danke, vor allem den Produzenten, Schauspielern und dem Team. Kein Wort zu Polanskis eigenen Justizverwicklungen und seinen Schwierigkeiten, ins Rampenlicht als einer der wichtigsten Regisseure des 20. Jahrhunderts zurück zu kehren.

Ein Filmmstill aus dem Film About Endlessness

About Endlessness

Den Silbernen Löwen hat der Schwede Roy Andersson verdient gewonnen. „Lustige und unabhängige Filme“, wolle er machen, sagte Anderssons Produzent. Er nahm anstelle des Regisseurs, der wegen eines Hüftleidens in Stockholm geblieben war, die Statuette entgegen.

Alle Gewinner der 76. Internationalen Filmfestspiele in Venedig findet ihr hier

„About Endlessness“ besticht durch seine Akkuratheit und Kurzweiligkeit. Der absurd witzige Episodenfilm inszeniert seine depressiven Protagonisten als Tableaux Vivants. Ein Priester, der seinen Glauben verliert und den Messwein literweise ins sich reinkübelt oder der Zahnarzt, der den wehleidigen Patienten allein zurücklässt – an solchen verzweifelten Alltagsminiaturen kann man sich kaum sattsehen.

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