Ein bisschen Peace and Love
Leicht wurde es dem Fuzzstock Festival bei seiner allerersten Ausgabe nicht gemacht. Nach ein paar letzten südlicheren Tagen mit 30 Grad begann es pünktlich am Freitag zu Festivalbeginn zu regnen und hörte praktisch bis zu den letzten Klängen nicht mehr auf. Nun ist es leider so, dass die Hauptbühne beim Fuzzstock als Außenbühne konzipiert ist. Man kann ihr gegenüber den Hang erklimmen, wo im Winter Schifahrer und im Sommer Sommerrodler herunterkommen und im strömenden Regen niemand, und von dort aus gemütlich auf die Bühne sehen theoretisch.

Ingo Pertramer
Gastgeber Fuzzman
Vielen Dank an Ingo Petramer für die magischen Fotos
Man kann auf Strohballen sitzen oder auf Heurigenbänken, zwischen denen beim Bieranstich durch Fuzzman eine zünftige Blaskapelle aufspielt, aber die meiste Zeit leider muss man sich unter würdelosen Plastikponchos verstecken und sich die Schwere von nassen Zigaretten in die Lungen saugen. Dass der Auftakt des Fuzzstock Festivals, das den heimischen Festivalsommer ab nun hoffentlich für immer bereichern möge, trotz der Scheißkälte ein bezaubernder Erfolg war, ist dem Team zu verdanken sowie Besucher*Innen wie jener jungen Dame, die auf die Frage nach ihrem Highlight des Wochenendes ohne nachzudenken sagt: „Das Schönste war der Regen. Weil er so wurscht war.“

Ingo Pertramer
Pippa
Zu organisieren gab es fürs erste Fuzzstock wohl schon ohne Wettersachen genug. Bühnen und Zelte, WCs (bitte überall so machen: Öklos statt Plastik), Catering und Sicherheit natürlich, in diesem Fall aber zum Beispiel auch Campingmöglichkeiten und Schlafplätze (klar im Vorteil) für ein paar hundert Leute, was sich als nicht unknifflig herausstellt, weil in der Nähe des Austragungsortes Klippitztörl irgendwas mit Red Bull, Bundesheer und Flugzeugen stattfindet und daher die Region durch Millionen Menschen ausgebucht ist.
Auf magische Weise aber kommt nicht nur jede*r irgendwo unter, es gibt auch dauernd Shuttles zwischen den Orten und Pensionen, von der nächsten Zugstation Wolfsberg zum Gelände, rauf auf den Berg, rüber ins Nebental, vorbei an den weißen Kühen und Kärntner Nebelwäldern. Die Natur geht rund um Klippitztörl verschwenderisch mit ihren Wundern um. In den Pensionen hängen Zettel mit Murmeltier-Logo und Festival-Telefonnummer, falls man irgendwo abgeholt werden muss, und auch die Besucher*Innen schließen sich ständig zu neuen Mitfahrgruppen und anderen Hilfsbereitschaften zusammen. Wer Menschen hasst, kommt vielleicht besser nicht hierher.

Ingo Pertramer
Ein paar Beobachtungen zum Musikprogramm: Pauls Jets haben beim Fuzzstock Festival alle Songs bisher in ihrem besten Konzert bisher präsentiert. Pauls Jets Paul kann nämlich zaubern, und wie schon ab der ersten Single „Üben üben üben“ aus dem letzten Sommer verstärkt sich immer mehr das Gefühl, dass das, was man von dieser Band kennt, jeweils nur eine 1/1000stel-Sekundenblende-Aufnahme all der Ideen ist, die Pauls Jets haben und noch haben werden. Wer wartet nicht auf diese Frage „Magst du mit mir eine Band gründen?“ gesungen von diesen Dreien?

Ingo Pertramer
Pauls Jets
Auch das, was man über Voodoo Jürgens‘ kommendes zweites Album erwarten und erhoffen darf, dürfte sich laut ersten Vorgeschmäckern in Form von „Angst haums“ und den nunmehr live gehörten Vorab-Songs als wahr erweisen: Voodoo bleibt der beste Geschichtenerzähler des Landes, wird sowohl in seinen Texten als auch musikalisch düsterer und klarer, und die Ansa Panier als sympathische Truppe spielt so auf eine ideale Art zusammen und sieht auch so aus, beinahe als wären sie gecastet.

Ingo Pertramer
Voodoo Jürgens & Die Ansa Panier
Über die musikalische Wanderung mit Fuzzman, die am Samstagvormittag unglaubliche 150 Leute im Regen fröhlich auf den Berg lockte, kann mangels Jack Wolfskin-Jacke, Goretexschuhen und Berner Sennenhundwelpen mit wärmendem Rumfass kein persönlicher Bericht abgegeben werden, sie wurde bei der Highlight-Umfrage in der Samstagnacht aber mehrmals ausdrücklich erwähnt. Ebenso hört man, dass Austrofred zu seiner Morgengymnastik-Stunde (versäumt aus naheliegenden Gründen) einen Self-Motivation-Kurs dazulieferte. Wer in der Früh zehnmal „Ich bin kein Würschtl“ schreit, geht besser durch den Tag, versichern glaubhaft zwei strahlende Besucher.

Ingo Pertramer
Fit mit Austrofred

Ingo Pertramer
Kreisky
Am Vorabend stellten sich Kreisky, nur kaum personelle Überschneidungen zu Austrofred, einmal mehr als die eleganteste, schärfste Rockband des Landes dar, deren Wut in gutsitzenden Anzügen und mit keinem Sound- und Wortgramm zuviel über die Bühne fegt, in sehr guten Dancemoves. Nino aus Wien spielt sich an der Gitarre die Finger blutig. Er tritt an diesem Abend, ungewöhnlich für eine so große Bühne, solo ohne seine Band auf, was immer eine gute Gelegenheit ist, Nino als Songschreiber umso mehr wahr zu nehmen. „Bevor du schläfst“ spielt er spontan überhaupt ganz acapella, stummes Staunen am bummvollen Platz, denn alles darin leuchtet.

Ingo Pertramer
Nino aus Wien
Am ersten Abend gab es leider noch nicht die sehr gute Fuzzstock-Idee, alle Konzerte in das weiße Zelt genannt „Zelt“ zu verlegen, weshalb der Gig der wunderbaren Alicia Edelweiss am Releasetag ihres in der besten Hinsicht schönen Albums „When I’m enlightened, everything will be better“ leider nur schwer gegen 10-Grad-Wasserströme in ungeschützte Nacken ankommen kann. Energetisch wie immer und ein guter Stachel im doch eher kuscheligen Programm waren noch, leider nur zu kurz gesehen: Esrap. Nicht so gut war: Louie Austen, aber er trug eine tolle Kombination aus Trachtenjacke und Barcrooner-Hut.

Ingo Pertramer
Alicia Edelweiss

Ingo Pertramer
Esrap
Zu Kärnten als Austragungsort des Fuzzstock, dessen perfekter Gastgeber Herwig Zamernik mit seiner herzlichen Art und liebe- und lustvollen Kunst im Übrigen ist, ist noch zu sagen: Vom Shuttlebusfahrer bis zur Pensionswirtin schienen auch die Klippitztörler Anrainer*Innen gesammelt über die Ankunft des neuen Festivals zu freuen und taten alles, um ihm zu Erfolg zu verhelfen. Eine Wohltat im Gegensatz zu altbekannten Anwohner-Streitigkeiten in der Großstadt. Not saying any names, aber sie beginnt zum Beispiel mit W.

Ingo Pertramer
Ein bisschen Peace and Love
Aber auch in Klagenfurt, das derzeit das Glück hat, mit „For Forest“ eine der wundervollsten Kunstinstallationen im öffentlichen Raum zu beherbergen, trifft das Schöne auf Widerstände. Im Wörtherseestadion wächst nämlich derzeit ein Wald, man kann ihn in Kombination mit dem Fuzzstock Festival zum Beispiel besuchen. Gepflanzt hat ihn dorthin der Schweizer Künstler Klaus Littmann nach einer Zeichnung des Tirolers Max Peintner.
Wie wäre es, wenn wir die Natur als ebenso spektakulär betrachteten wie ein Sport-Großevent? Diese Frage stellt ebenso simpel wie raffiniert der Mischwald, zusammengestellt von Landschaftsarchitekten nach Naturmaßstäben der Region, der auf dem Spielfeld viele Meter, sehr hoch jedenfalls, stumm und beeindruckend in die Höhe ragt.
FOR FOREST - Media Reel (with English interview) from FOR FOREST on Vimeo.
Während der Amazonas brennt und die Steppe in Sibirien, während es also längst nicht mehr selbstverständlich ist, dass ich „wenn ich einen Baum sehen will einfach in den Wald geh“ (Hauptargument der erbitterten „For Forest“-Projektgegner), stehen vor dem Stadion seit Wochen offenbar Menschen mit Motorsägen. Sie sollten in den kommenden zwei Monaten, in denen der Wald jeden Tag zu Tages- und Nachtzeiten bei freiem Eintritt zu besichtigen ist, einmal ein paar Schritte durch das Tor gehen und sich in Demut auf die Tribünen setzen. Man muss nur fünf Minuten hinsehen und lauschen, um zu verstehen. Natur und Technik treten hier in eine wunderbar unkomplizierte Beziehung, und die Kunst leuchtet gleichwohl unaufdringlich wie unignorierbar in den harten Alltag hinüber. Da ist kein Baum, der dich nicht sieht. Du musst dein Leben ändern.

Ingo Pertramer
Manic Youth

Ingo Pertramer
Yokohomo
Publiziert am 08.09.2019