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Projekt Volksherrschaft im Garten

Claudia Unterweger / radio fm4

Mein Garten redet mit mir

Die Natur als stumme Ressource für uns Menschen gehört schnellstens abgeschafft. In einem verwilderten Garten am Stadtrand von Wien haben auch Pflanzen, Tiere und Bakterien ein Mitbestimmungsrecht im „Parlament der Organismen“.

Von Claudia Unterweger

Plantfluencerinnen posten Fotos ihrer Zimmerpflanzen, messen sich im Urban Gardening und verbringen das Wochenende - ganz klassisch - im Grünen: auch die Millenials haben die Natur entdeckt. Hübsch, erholsam und vor allem nützlich für uns Menschen soll sie sein. Aber genau diese egoistische Sichtweise auf die Welt um uns herum führt zu Ausbeutung und Zerstörung unseres Planeten. In der seit 20 Jahren brachliegenden Ruine des ehemals größten Gewächshauses von Wien wird jetzt die Notbremse gezogen.

Projekt Volksherrschaft im Garten

Manuel Zauner

Eine Mini-Demokratie im Grünen

Hier, in der verwilderten Ecke von Wien-Floridsdorf tagt das „Parlament der Organismen“. Mehr als 450 verschiedene nicht-menschliche Arten werden von menschlichen Vertreter*innen repräsentiert. Anrainerinnen, Gemüsebauern und Naturbegeisterte Aktivistinnen. Durch ein Losverfahren fällt die Entscheidung, wer den Zurückgebogenen Amaranth, die vom Aussterben bedrohte Weinbergschnecken oder deren natürliche Feinde, die Käuzchen vertritt. Für den nicht ganz unwahrscheinlichen Fall, dass menschliche Repräsentant*innen auf der Leitung stehen, wenn ihnen nicht-menschliche Lebewesen ihre Bedürfnisse mitteilen, steuern Biolog*innen Hintergrundwissen bei. Ein demokratiepolitischer Feldversuch des Berliner/Wiener Kunstkollektivs Club Real als Modell für die restliche Welt?

Sich an den Nussbaum angekettet

Dabei werden Interessenskonflikte unterschiedlicher Organismen oft genauso lautstark ausgetragen wie im britischen House of Commons, erzählt mir die Anrainerin Ursula Napravnik. Sie hat als Vertreterin des Nussbaums gegen den Gesetzesantrag anderer Gehölze gekämpft, den Nussbaum von seinem angestammten Platz im Gewächshaus abzusiedeln. Walnussbäume sondern einen toxischen Wirkstoff ab, der andere Organismen in seiner Nähe in ihrem Wachstum hemmt. Also quasi die Konkurrenz um die Nährstoffe ausschaltet. Als eine parlamentarische Mehrheit für die Umsiedelung des Nussbaums beschloss, hat sich Volksvertreterin Ursula als letztes Mittel des Zivilen Widerstandes an ihren Baum gekettet. Genützt hat es nichts. Der Nussbaum wurde ausgegraben, verpflanzt - und ist nach der Zwangsumsiedelung kläglich eingegangen.

Laufend werden Interessierte gesucht, die eine Tier- oder Pflanzenart vertreten wollen im Parlament der Organismen​. Die nächste Parlamentssitzung findet diesen Samstag statt, im Gewächshaus in der Nordmanngasse 60 in Wien-Floridsdorf.

Wie schwierig es ist, politische Entscheidungen zu fällen, die allen gerecht werden, ist Ursula Napravnik erst im Gartenparlament klar geworden. „Demokratie ist kompliziert“, sagt sie. Und betont zugleich, wie wichtig die Ko-Existenz auf Augenhöhe und Solidarität zwischen uns Menschen und der sogenannten „Natur“ sei. Schließlich sind auch wir ein Teil dieser Natur, auch wenn wir dieses große Ganze gerne verdrängen.

Erste Rodungen im Gange

Bald könnte jedoch das Mitspracherecht der Organismen auf der wildwuchernden Gstettn von Bautrupps überrollt werden. Denn in absehbarer Zeit sollen auf dem Grundstück Wohnblocks in den Himmel wachsen. Ursula zeigt auf eine Reihe gefällter Bäume: „Wir alle spüren ihn schon, den Klimawandel. Warum entscheiden die Verantwortlichen nicht endlich: Aus! Schluss!? Es gibt soviel leerstehenden Wohnraum, den sich die Leute nicht leisten können. Es kann nicht sein, dass stattdessen soviel Boden versiegelt wird. Ich kann es nicht verstehen.“

FM4 Auf Laut: Der Efeu spricht!

Welche Beziehungen leben wir täglich im Umgang mit anderen Lebewesen? Die Wachstumswirtschaft verursacht durch intensive Bodennutzung und Verbrennung fossiler Energien gerade einen Klimakollaps. Dabei ereignet sich das sechste Massen-Artensterben in der Geschichte des Planeten, das erste, das von einer einzelnen Spezies ausgelöst wird: von uns Menschen.

Was passiert, wenn wir Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen eigene Rechte zugestehen? Und wie wäre es, wenn bisher nicht gehörte Lebewesen die Macht übernehmen?

Mit Lukas Tagwerker diskutieren Georg Reinhardt vom Club Real sowie Projekt-Anrainer und Salatbauer Josef Trinko. Anrufen und mitdiskutieren könnt ihr ab 21 Uhr unter 0800 226 996.

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