„Unbelievable“: Die Frau, der man nicht glaubt
Von Pia Reiser
„True Crime“ war mal ein Genre-Stempel, den Privatsender gerne auf mittelprächtige Produktionen knallten, die sich sensationslüstern und mit Freude an ausschweifenden Hypothesen an realen Verbrechen abarbeiteten. Zahlreiche Serien und Podcasts der letzten zehn Jahre haben das „True Crime“-Genre befreit vom Mief der reinen Opferbemitleidung und Tatortbegaffung, Podcasts wie „Serial“, Dokuserien wie „The Staircase“ und Serien wie „American Crime Story: The People v. O. J. Simpson“ wollten weitaus mehr als bloßen Krimi-Grusel und gieriges Starren in menschliche Abgründe, sie wurden unter anderem zu Auseinandersetzungen mit Polizeiarbeit und dem amerikanischen Justizsystem.
Die neue Netflix-Miniserie „Unbelievable“ fällt auch in diese Kategorie. Beruhend auf dem Artikel „An Unbelievable Story of Rape“, der auch in der beklemmenden Episode „Anatomy of a doubt“ des sensationellen Podcasts „This American Life“ behandelt wurde, erzählt „Unbelievable“ von dem tatsächlich unglaublichen Fall einer jungen Frau namens Marie. Die 18-Jährige wird im Jahr 2008 in den frühen Morgenstunden in ihrer Wohnung von einem maskierten Mann gefesselt und vergewaltigt. Ein paar Monate später steht allerdings sie selbst als Angeklagte vor Gericht - wegen angeblicher Falschaussage.
Die junge Frau hatte ihre Aussage über die Vergewaltigung zurückgezogen, nachdem sie von der Polizei, die Ungereimtheiten in ihrer Aussage sah, unter Druck gesetzt worden war. „I just wanted to go home“, sagt Kaitlin Denver als Marie in „Unbelievable“ nach Stunden am Polizeirevier und im Krankenhaus, wo sie weniger als Opfer denn als Täterin behandelt wird. Sie wird auf Spuren der Vergewaltigung hin untersucht, von Anfang an wird eher nach Beweisen für die Wahrheit ihrer Geschichte gesucht als nach Hinweisen auf den Täter.

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"The credibility of the victim is often on trial as much as the guilt of the accused“, steht in dem Artikel, der Ausgangspunkt für „Unbelievable“ war. Und Marie, die junge Frau, die von Pflegeeltern zu Pflegeeltern gereicht worden war, schenkt man keinen Glauben, vor allem dann nicht mehr, als selbst eine ihrer Pflegemütter Zweifel an der Vergewaltigung äußert. Das Bild von Marie entspricht nicht dem, wie man sich ein Opfer vorstellt, und so wird sie schließlich zur Täterin, angeklagt wegen Falschaussage.
Marie, die paradoxe Opfer-Täter-Umkehr und der lange Nachhall des Traumas sind ein Erzählstrang von „Unbelievable“. Der zweite spielt 2011, hier machen sich zwei Ermittlerinnen verschiedener Departments auf die Suche nach einem Serienvergewaltiger. Von Maries Fall wissen die beiden nichts. Immer wieder dreht sich „Unbelievable“ um fehlende oder schief gelaufene Kommunikation. Vom ersten Polizisten, der mit Marie in ihrer Wohnung spricht und sichtlich kein Training im Umgang mit Opfern sexueller Gewalt hat, bis zur fehlenden Vernetzung der verschiedenen Police Departments. Dass es sich um einen Serientäter handelt, wird eher zufällig entdeckt, der Täter suchte sich seine Opfer in verschiedenen Städten.
Toni Collette und Meritt Weaver spielen die Ermittlerinnen und auch wenn im Kern von „Unbelievable“ ein whodunnit steckt, so will die Serie doch mehr als Krimi-Katharsis bei der Täterfindung. Die Serie lässt sich Zeit, um auch die Frustrationen einer derartigen Ermittlung abzubilden. Eventuell hat man das Auto des Täters auf einem Überwachungsvideo, doch das Nummernschild kann man nicht lesen. Statt Hightech-Gadget-Show wie bei „C.S.I“ wird hier viel mit Leuchtstiften in Namenslisten markiert, telefoniert, werden Datenbanken durchgescrollt. Frustration gibt es aber nicht nur wegen der zähen Ermittlungsarbeit.

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„Unbelievable“ ist ab 13.9.2019 via Netflix verfügbar.
Das Drehbuch zur Serie „Unbelievable“ entstand zum Teil inmitten der stürmisch geführten Debatten rund um #metoo, Spuren dieser Diskussionen sind in der Serie sichtbar, in der Thematisierung sexueller Gewalt und wie Opfern oft nicht Glauben geschenkt wird, aber auch, wenn Toni Collette nach einem langen Tag an ihrem Schreibtisch ihre Wut über fehlende Gleichberechtigung und Sexismus rausfaucht. “No one is looking at this data about violence against women! I mean, what if men were raped at the rate women are? What if Taggart were afraid that someone was going to fuck him in the ass when he’s walking home from the grocery store at night?… Where is his outrage?“

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Nicht nur die Figurenzeichnung der Ermittlerinnen, auch die der Frauen, die vergewaltigt wurden, geht weit über den gewohnten Krimi- oder Drama-Standard hinaus. Für die DrehbuchautorInnen sind die verschiedenen Reaktionen auf ein Trauma im Mittelpunkt gestanden und wie durch fehlende Empathie und Systemversagen eine junge Frau, die vergewaltigt worden ist, als Angeklagte vor Gericht landet. „Unbelievable“ ist keine leichte Serienkost und alles andere als ein gewöhnlicher Krimi. Dramaturgie- und stimmunsgtechnisch ist „Unbelievable“ näher an „True Detective“ als an „Law and Order“.
Publiziert am 13.09.2019