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Daniel Johnston 2010 live

ALAIN JOCARD / AFP

The Sorry Entertainer

Zum Tod von Daniel Johnston (1961 – 2019)

Von Boris Jordan

Hier herrscht große Trauer. Die Lieblings- Plattendealerin und ich senken nur die Augen. Beide hatten wir seit gestern, als die Nachricht vom Ableben von Daniel Johnston durch Twitter geisterte, stundenlang alte Platten gehört, um uns wieder in die seltsame Welt des Daniel Johnston hineinzutrauen, eine seltsame, gequälte und zugleich dankbare Welt aus Hunderten Liedern wie eine ausgestreckte Hand, die eine*n durch ein ganzes Leben begleitet.

Nirgendwo sonst finden sich Lieder so traurig und so optimistisch, so sehnsuchtsvoll und abgeklärt, so daseinsbejahend und todesbedächtig, so ernst und belehrend, so angstvoll und hoffnunggebend, bald naiv, bald weise, immer voller Dringlichkeit und Liebe. Liebe zu unerreichbaren Mädchen und zu Casper, dem freundlichen Geist. Liebe zu King Kong, Comic-Superhelden und außerirdischen Enten, zum Boxer Joe Louis und seinem „heart of a fighter“, zu John Lennon und zu Gott, von dessen Existenz er „nichts weiß“, aber auf die er „hofft“ („Hoping"). Liebe zu einem offenen Herzen und den richtigen Dingen - und nicht zuletzt Liebe zur Liebe selbst, der echten wahren Liebe, die Johnston – den Apostel Paulus paraphrasierend – in einem Couplet als „patient and kind“ definiert und die – so ist er überzeugt und überzeugt auch uns - „am Ende uns alle finden wird“.

Als ob ein düster-dialektischer Homunkulus auf seiner Schulter säße, hat uns Daniel Johnston in die Untiefen seines Daseins blicken lassen, das auch von Angst und Einsamkeit, Satansglauben und Erlösungssehnsucht, Zweifel und Scheu geprägt war, in Liedern die „Tod“, „Nichts“, „Ich hasse mich selbst“ und „Ohne Liebe“ heißen – und dennoch voller Weisheit sind und klarer Sicht und dem Mut, dieser lieblosen Welt ehrlich gutwillig die Stirn zu bieten.

Die vielleicht in Daniel Johnstons halbem Leben bestimmende Frage „Daniel wer?“, die ungläubig-halbbelustigte Reaktion auf sein intensives Geschrammel und Gequieke, mit dem er seine unvergleichlichen Miniaturen meist vortrug, sind längst vorbei. Sie sind in den letzten Jahren einer verklärten Einigkeit gewichen, denn - ich zitiere mich selbst - hier ist aus unerwarteter Ecke ein riesiges Oevre gekommen, das „größer, echter, wahrer, mehrdimensionaler als das meiste ist, was die amerikanische Kunst seit Emily Dickinson hervorgebracht hat“.

Spätestens seit dem berühmten, Daniel Johnstons Künstlerleben bestimmenden Moment, in dem Kurt Cobain in einem mutmaßlich selbstgemachten Daniel Johnston T-Shirt einen MTV Music Award abholte, haben sich mehrere Generationen bestimmender Indiemusiker*Innen darauf geeinigt, dass der in seinem Hinterzimmer ohne Equipment unaufhörlich auf instrumental niedrigstem Niveau dargebotene Songs produzierende Johnston das größte Songwriter-Genie der achtziger Jahre war.

Früh schon hatte man Gerüchte gehört von dem einsamen, bipolaren Homerecorder, der zuerst eine unerreichbare High-School-Liebe mit selbstgemachten Songs auf selbstbemalten Kassetten überzeugen wollte und bei McDonalds die Tische abräumte. Dann kamen die Version von „Speeding Motorcycle“ von Yo La Tengo auf deren Folkrock-Coveralbum „Fakebook“, eine Studioplatte mit Kramer von Shockabilly und zweien von Sonic Youth, eine mit Jad Fair von Half Japanese und eine mit Paul Leary von den Butthole Surfers.

Weiters der „Kurt-Cobain-Moment“, der Einsatz eines Songs in Larry Clarks „Kids“, die Zusammenarbeit mit Mark Linkous von Sparklehorse, die preisgekrönte und sehenswerte Doku „The Devil and Daniel Johnston“, ein Auftritt bei den „Simpsons“ seines ältesten und größten Fans Matt Groening - sowie unzählige Coverversionen von Beck, Bright Eyes, Tom Waits, Wilco, TV On The Radio, Mike Watt, Johnny Depp, die Wave Pictures (die vor ein paar Jahren ein gesamtes Album nachgespielt haben), Beach House, Death Cab for Cutie und und und... Egal, welche dieser Momente (und es gibt noch sehr viele) eine*n auf Daniel Johnston aufmerksam machten, es gibt kaum jemanden, der/die sich diesem so klaren und frischen wie grüblerischen und diffusen Werk ganz verschließen konnte - und kann.

Daniel Johnston 2010 live

ALAIN JOCARD / AFP

Nicht, dass Daniel Johnston eine Berühmtheit gewesen wäre. Anders als das andere, oft in seinem Zusammenhang genannte bipolare Genie Brian Wilson ist er weitgehend ein Geheimtipp geblieben. Wie diesem war Ruhm und Öffentlichkeit dem freundlichen Mann aus Austin stets fremd. Als MTV in Austin war, um die Butthole Surfers und die texanische Szene zu dokumentieren, schrieb er daraufhin einen Song darüber, dass er im Fernsehen war und alle „ihn angestarrt“ hätten, was für ihn so gewesen sei, als hätte er „die Hand des Teufels“ gehalten („Held the hand“ , ein Signing bei der Plattenfirma von Metallica soll er ebenfalls aus Teufelsskepsis abgelehnt haben. Auf Youtube sieht man den schüchternen Johnston sich freundlich vor einer Kamera winden, als ihm ein aufgedrehter Berufsjugendlicher hektisch lauter Geschenke andrehen will. Das Touren – meist vor ausverkauften mittelgroßen Häusern voller treuer Fans -, bei dem er stets von seinem Vater begleitet und betreut worden ist, war eine große mentale wie körperliche Anstrengung. 2015 hatte er damit aufgehört.

Fettkakao-Betreiber Andi Dvořák, der damals auch das Wien-Konzert veranstaltet hat, ist heute, 12.9., ab 19.00 Uhr in der FM4 Homebase zu Gast, um mit uns über Daniel Johnston zu sprechen.

Glücklich die, die ihn 2012 nochmal in Wien sehen konnten, veranstaltet vom Wiener Fettkakao Label, begleitet von einer eigens zusammengestellten Wiener Band, bestehend aus Wolfgang Möstl, Bernhard Fleischmann, Veronika Eberhart und Rudi Hebenstreit. Das Wien-Konzert im Rahmen seiner „Why Me?“- Tour war eines der schönsten und berührendsten meines Konzertlebens, und ich bin nicht eben freigiebig mit derlei Körpermetapher-Superlativen.

Vielleicht werden wir ja im Herbst mit einer überarbeiteten Werkschau belohnt, die einen Einblick und Überblick über dieses große Werk bietet. Wie die Lieblings-Plattendealerin und ich bestürzt feststellen mussten, sind alle Vinyl-Veröffentlichungen von Daniel Johnston bis auf die Kassetten-Werkschau „Hi, How Are You“ aus dem Katalog gestrichen. Und es sollte noch massenhaft Songs dieses Mannes geben, der nach eigener Angabe jeden Tag gesungen oder gezeichnet hat, um seine gequälte Seele mit Kunst zu retten.

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