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Martin Hinteregger

APA/ROBERT JAEGER

Blumenaus Fußball-Journal

A bsoffene Gschicht...

Das krokodilstränenduselige Heischen um Nachsicht, wenn man unter Alkohol-Einfluss Scheiße gebaut hat, funktioniert in Fußball und Politik gleichermaßen. Gut. In Österreich halt. Und erzählt vieles, wenn nicht alles über die grundsätzliche Verfasstheit des Landes.

Von Martin Blumenau

Martin Hinteregger, 27, ein kantiger und in fast jeder Hinsicht untypischer Klasse-Kicker, hat sich zu seinem Geburtstag betrunken und ist (einen Tag vor einem sehr wichtigen Länderspiel) erst frühmorgens ins Team-Trainingslager gewankt.

So weit, so wenig Beinbruch. Es hat immer schon fußballerische Säufer und andere drug-doer gegeben, von Best und Maradona abwärts.

Hinteregger ist Wiederholungstäter. Erst in der sommerlichen Vorbereitung war er in einem Video zu sehen, abgefüllt und nicht mehr gehfähig, an seinem jungen Teamkollegen Kevin Danso hängend. Die vergleichsweise hohe Frequenz der öffentlich gewordenen Verfehlungen hat auch damit zu tun, dass es Hinteregger, einen Digital-Verweigerer, auch sehr, sehr wurscht ist, wie er rüberkommt.

Der Kärntner, der mit 14 nach Salzburg in die dortige Fußball-Schule kam und seit drei Jahren in der deutschen Liga spielt, ist Hobby-Jäger, hat ein ländlich geprägtes, in vielen Bereichen rückwärtsgewandtes Weltbild und scheut keinen Konflikt. Er wäre lieber vor 30, 40 Jahren Fußballer gewesen, als man noch normal sein konnte, „über die Stränge schlagen“ ohne Handyvideogefahr, Lothar-Matthäus-Style.

Alles also höchst nachvollziehbar - nach österreichischen Maßstäben, wo die alkoholselige Bierzelt-Mentalität schon in die Kindheit einbricht und sich diverse Männlichkeitsrituale entlang einer Säuferkarriere orientieren. Ist ja normal.

Und genau an dieser Linie entlang bewegt sich auch die Rezeption von Hintereggers Aktionen. Und da wird’s interessant. Während sich etwa ein Migranten-Kid wie der ebenso kantige und untypische Arnautovic, ein wohl noch hochklassigerer Kicker, in den Medien mit durchaus absichtlich gesetztem Unterton anblaffen lassen muss, wenn er (nüchtern) mit bosnischen Kontrahenten Selfies macht, kriegt Hinteregger den Persilschein. Ganz wie bei den (nur zufällig auch sehr blonden) Grenzüberschreitern Trump oder Johnson ist es egal, was er macht: Man sieht’s ihm, dem Lausbuben, nach.
War ja nur a bsoffene Gschicht.

Es ist kein Zufall, dass der im Ibiza-Video sichtbare Verlust eines moralischen Kompasses mit derselben Argumentation abgefangen wird - und auch verfängt, weitestgehend, in einer Bevölkerung, die sich damit gleich selber freisprechen kann, von Sünde. Mit diesem gewissen Augenzwinkern, dieser Pseudokumpanei, mit der sich Mächtige mit Ohnmächtigen gemein zu machen versuchen. In einer Art vorauseilendem, sehr katholisch geprägten Ablasshandel. Und es ist schon gar kein Zufall, dass diese Art von Folklore nur für die „Unsrigen“ gilt, die autochthon vorgeprägten und keinesfalls für die „Zuagrasten“, von den protestantischen Piefkes angefangen bis zum Muselmann-Schreckgespenst. Es ist gar nicht auszudenken, was passiert wäre, wäre nicht Hinteregger auf Danso gehangen, sondern umgekehrt. Die Assoziationen zum schwarzen Dealer, der die Einheimischen verdirbt, wären schon vorbereitet.

In diesem Zusammenhang eine wahre Geschichte von früher, aus Hintereggers Sehnsuchtszeit: Ein Großklub-Präsident hat einmal off the record von einem wichtigen Spieler (auch einem Innenverteidiger, by the way) erzählt, den er abgeben musste, obwohl er eine Stütze des Teams war. Der Spieler war nämlich eine ausgewiesene Schnapsnase und hatte begonnen seine Mitspieler mit seiner Sucht zu infizieren.

Diese Gefahr besteht bei Hinti, wie die Fans seines aktuellen Vereins Eintracht Frankfurt den dort kultisch verehrten Verteidiger nennen, schon allein wegen seiner bewussten Außenseiterrolle nicht. Trotzdem wird er, je wichtiger und je unwidersprochener er wird und je mehr seine Dummheiten durchgewunken oder vertuscht werden, zum Negativ-Vorbild für andere.

Hinteregger fällt außerdem nicht nur wegen Alkohol aus. Er lehnt (auch ganz 80er-Jahre-Style) so etwas wie eine Mental-Betreuung komplett ab und hat auch, was seine körperlichen Wehwehchen betrifft, einen eigenen Zugang. Die Folge: Hinteregger ist in den letzten drei Jahren 11 Mal wegen diverser Verletzungen/Krankheiten insgesamt über 20 Wochen ausgefallen. Zum Vergleich: Sein ÖFB-Team-Nebenmann Dragovic hatte im gleichen Zeitraum ganze zwei Verletzungspausen.

Noch eine Geschichte off the record, die auch einen Teamspieler mit großer Zukunft betrifft: Der hat einmal eine Team-Einberufung mit einer in ihrer Bedeutung stark übertriebenen Verletzung abgesagt, um statt am Teamtrainingslager bei einem ihm wichtigen Fest teilnehmen zu können. Eh auch menschlich und nachvollziehbar und alles. Und wenn es aufgeflogen wäre, hätte sich niemand empört, weil es sich ja um kein undankbares Migrantenkind gehandelt hatte.

Diese und etliche andere Fälle, in denen sich ganz deutlich manifestiert, dass keinesfalls mit 80, 90 oder gar 100% Einsatz gearbeitet wird, sondern zentralen Playern einfach das gerade einmal Notwendige (oder weniger) genügt, stellen dem ÖFB kein gutes Zeugnis aus. Wenn der Präsident sich hinstellt und Hinteregger in lachhaften Jäger-Metaphern einen Freibrief ausstellt, verfestigt sich diese Mentalität zu dem, was für die Hintereggers, ihre journalistischen Beifallklatscher und auch gern am Alkohol-Glas nuckelnde VIP-Einflüsterer „Normalität“ darstellt.

Wenn die Abweichung, wenn der Störfaktor (und sorry, aber Sich-Besaufen vorm Ländermatch ist ein solcher, ein zutiefst destruktiver, ja selbstzerstörerischer Akt, über den Hinteregger dringend mit einem Therapeuten reden sollte) von jenen, die sich ihre alltägliche Trunkenheit schönreden wollen, als Normalität markiert wird und sie damit auch noch öffentlich durchkommen, dann läuft etwas ganz entschieden schief.

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Das sind die Vorgängertexte, egal ob als #dailyblumenau auf der neuen oder der alten Website, oder im langjährigen Journal. Regelmäßiges zu diesen Themenfeldern abseits des Fußballs folgt im Herbst.

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